J. G. Rheinberger widmet dem Musikhistoriker August Wilhelm Ambros sein Streichquintett in a-moll, op 82


Brief von Josef Rheinberger an August Wilhelm Ambros:


 

München, 10.10.1874

Wie Sie an beiliegendem Notenheft ersehen, habe ich mir erlaubt, das Titelblatt meines neuen Quintetts mit Ihrem allverehrten Namen zu schmücken, sowohl in Erinnerung an den mit Ihnen verlebten Abend, als auch um meinen Dank, den mir Ihre belehrenden und genussreichen Schriften erweckten, Ausdruck zu geben. Indem ich lebhaft wünsche, dass Ihnen das Werk gefallen möge, gestehe ich eben so offen, dass ich mir dabei Mühe gab, etwas Ihrem Namen nicht Unwerthes zu schaffen. Möchte es Ihnen Freude machen !

Seit Ihrem Hiersein hatten wir die unvorhergesehene Freude, in Kreuth Frau Bärenreither begrüssen zu dürfen; sie war zwei Wochen mit ihrem jüngsten Sohn täglich in unserer Gesellschaft, da war viel von Ihnen die Rede. Es war mir und meiner Frau sehr leid, dass die Badesaison so geschwind zu Ende ging; denn wir verehren Frau Bärenreither ganz ausserordentlich. Den Monat September brachten wir in Italien zu, d.h. Oberitalien; für Rom und Neapel reichte die Zeit wohl nicht hin. Wir machten die Rundreise: Verona, Mailand, Bologna, Florenz, Venedig & Verona zurück und sahen so viel des Schönen, dass wir Beide noch jetzt ganz erfüllt davon sind. Gar oft dachte ich an das von Ihnen im zweiten Band der bunten Blätter Gesagte! Gegenwärtig schreibe ich an einer Sinfonie, welche zu meiner Überraschung die Società orchestrale di Firenze bei mir bestellte; hat doch noch keine deutsche Gesellschaft je etwas bei mir bestellt.

Gestern Abend sah ich zum erstenmale die von Ihnen erwähnte Oper Le Roi l'a dit von Delibes; sie wurde nicht schlecht gegeben (die Tempi hätten hie und da etwas leichter beschwingt sein dürfen) und gefiel dem Publikum, d.h. jenem Theil des Publikums, das noch andres goutiren kann, als Wagner'sche Orchester- & Vocal-Eruptionen. Ich selbst finde den musikal. Theil der Oper geistreich, witzig und pikant im guten Sinne. Schade, dass nicht zur Abwechselung hie und da eine gefühlswarme, tiefere Melodie auftaucht. Leidenschaft ist eben doch die Seele der Musik und sollte auch in der komischen Oper nicht ganz verbannt sein. Die Cantaten-Episode "Furien" wirkte ganz köstlich; übrigens darf jeder Componist seinem Librettisten für solche Situationen dankbar sein. Von guter Wirkung war auch das grosse Duett von Jonath und Benoit.

 

Wie haben Sie, hochverehrter Herr, den Nachsommer zugebracht? Der "wunderthätige Magus" [1] ist nicht eingetroffen. Sie verzeihen die kleine Mahnung!

Wohl weiss ich, wie sehr Ihre Zeit in Anspruch genommen ist, trotzdem hoffe ich auf einen recht baldigen Brief. Von meiner Frau herzlichste Empfehlung; auch bei mir ist es nicht blos Redensart, wenn ich mich nenne

Ihr hochachtungsvoll und herzlichst ergebener

Jos. Rheinberger

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[1] Rheinbergers Schauspielmusik zu Calderons Schauspiel "Der wunderthätige Magus", op. 30, komponiert 1865.