Franz von Holstein berichtet J. G. Rheinberger von seinem Besuch der Münchener Aufführung seiner Oper "Der Erbe von Morley"


Brief von Franz von Holstein an Josef Rheinberger:

 

Leipzig, 1.12.1874

Lieber verehrter Freund!

Recht sehr leid that es mir, München verlassen zu müssen, ohne Ihnen noch einmal die Hand drücken und Lebewohl sagen zu können. Wir haben uns zu rneinem Bedauern seltener gesehen, als mir lieb war. Mich beschäftigten die Proben. Ihnen die kostbare Zeit zu stehlen, trug ich ohnehin Scheu. Für die schönen Nachmittagsstunden, die wir bei Ihnen verleben durften, lassen Sie sich nachträglich noch recht herzlich danken, sowie Ihnen die Freude über Ihre "Wasserfee" [1] auszusprechen, deren vorzügliche Vorführung im Konzert der Vokalkapelle [2] mich entzückte. Eben kommt ein Briefchen mit Glückwünschen von Ihrer lieben Frau. Ja, wir sind mit frohem, dankbaren Herzen heimgereist und fanden auch die Mama recht hübsch munter. Jetzt, nach dem guten Erfolg meines "Erben" kommt es Ihnen vielleicht unbegreiflich vor, dass wir mit der Besetzung unzufrieden, um das Ausfallen der Vorstellung besorgt waren. Hätten Sie die Generalprobe gehört, wo kaum ein Stück ohne mehrfaches Abklopfen vorüber ging, und König und Frl. Gottlieb fast alle Einsätze verfehlte, Sie würden unsere Sorge begreifen. Die Persönlichkeiten der beiden jungen Sänger passten ja im Grunde vortrefflich zu den Rollen, nur ihre Zaghaftigkeit, Schüchternheit und die durch das Einreden von allen Seiten erzeugte musikalische Unsicherheit machten uns bange. Dann auch die Stimmung des Publikums namentlich gegen Herrn König. Dass auch Andere unsere Sorge theilten, merkte ich in München, und hier nach unserer Rückkehr, wo Lachner die Besetzung als sehr bedenklich erklärt hatte, und unsere Freunde voller Besorgniss der Entscheidung harrten. Wohl wird ihrem feinen Ohr nicht entgangen sein, dass Frl. Gottlieb am Ende des Quintetts mit ihrem Athem zu Ende war und Frl. Radecke den Schluss überlassen musste, dass sie die Schlusstakte des Wiedersehens-Duetts verfehlte, beim Aktschluss ganz fortblieb, im letzten Finale um 8 Takte zu spät auftrat etc. Auch König hudelte einige Male gehörig. Aber das thut ja nichts. Die beiden lieben jungen Künstler stürzten sich mit einem wahren Todesmuth in ihre Aufgaben und waren besser im Spiel als nur annähernd in den Proben. Man lernt in Theaterdingen eben nicht aus. Schminke, Kostüm und das Gefühl "Es gilt" vermögen gar viel. Das bewies mir vor allem die Schefzky, welche in den Proben vollständig kalt und langweilig, am Abend der Aufführung vorzüglich war. Dass der Parthie des Charles der helle, freudige Tenorklang fehlte, den namentlich das Duett im ersten Akt fordert, das hört freilich nur heraus, wer die Musik kennt und schon hörte - vor allem aber der Komponist. So wirkten denn auch überhaupt die von Levi mit feinster Nuancierung studierten Ensembles mehr als die Solostücke. Dass es so gut ging, dass Frl. Gottlieb und König gefielen, freut mich fast eben so um diese Beiden, als meinetwegen. Sie waren geradezu rührend in den Proben in ihrem Eifer und dem Bekenntnis ihrer eigenen Unzulänglichkeit, was mir eben keinen Muth machte, so sehr ich die Bescheidenheit zu schätzen wusste, die es ihnen diktierte. Brulliot hat wieder mit seinen feinsinnigen Arrangements Grosses geleistet. So dankbar ich für die Aufführung allen Betheiligten bin, muss ich im Stillen (ganz unter uns gesagt) doch Levi darin Recht geben, dass Leute wie Kindermann, Vogl und die Stehle noch ganz andern Eindruck gemacht haben würden. Die Gottlieb hatte aber etwas so Rührendes, weil sie sich selbst spielte. König that das Möglichste, aus sich herauszugehen, und das Ensemble war schön, dass ich, wie gesagt, sehr glücklich darüber bin. Nur darin muss ich Perfall unrecht geben, dass wir die jungen Leute eingeschüchtert hatten. Wir haben sie nur ermuthigt, wenn Andere sie einschüchterten. Nun Addio für heute! Nochmals tausend Dank für alles Freundliche, was uns von Ihnen widerfahren, und herzlichste Grüsse Ihrer lieben Frau

Aufrichtigst der Ihrige

F. v. Holstein.

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[1] "Die Wasserfee", für vier Singstimmen oder kleinen gem. Chor und Pianoforte, op. 21.
[2] Soirée der kgl. Vokalkapelle im "Odeon" am 24.11.1874.