Rezension des Werkes "Thürmers Töchterlein" aus dem Unterhaltungsblatt der "Neuesten Nachrichten" (München Nr. 35 vom 1. Mai 1873, S.418-420)


Rezension des Werkes "Türmers Töchterlein" aus den "Neuesten Nachrichten":

München, 1. Mai 1873

TÜRMERS TÖCHTERLEIN Komische Oper in 4 Akten frei nach Franz Trautmann von Max Stahl. Musik von Jos. Rheinberger.

Eine neue Oper ist ein wahres Ereigniss in unserem Bühnenleben. Nun, lange genug hat es gewährt, bis des "Thürmers Töchterlein" endlich einmal das Lampenlicht erblickt und sich dem Publikum zu geneigtem Wohlwollen vorzustellen Gelegenheit gefunden hat.

Seit einem Jahre hiess es immer, dass die Oper in allernächster Zeit zur Aufführung gelange und doch musste sie bis zum 23. April warten, bis ihr endlich gestattet wurde, sich öffentlich zu zeigen.

Die Oper ist von Rheinberger in vier Akten geschrieben: noch kurz vor der Aufführung, man sagte uns, in der Hauptprobe, wurde der Beschluss gefatsst, sie in fünf Akte auszudehnen. Wir werden später auf diese nach unserem Dafürhalten ungeglückte Verlängerung zurückkommen.

Das Sujet ist einer hübschen, gemüthvollen Erzählung von Franz Trautmann entnommen. Dass die Schweden im Mai des Jahres 1632 in München sich einquartirt haben, wissen die Leute schon von der Tafel des historischen Vereines an einem Hause des Marienplatzes, in weichem Gustav Adolf in dieser Zeit gewohnt hat. Die Handlung, die sich auf diesem ernsten Hintergrund abspielt, ist einfach und gemüthlich, ein echtes Münchner Stimmungsbild. Der Bearbeiter dieser Erzählung, Max Stahl, hat einen glücklichen und dankbaren Stoff vorgefunden: es ware nur an ihm gelegen gewesen, die vorhandenen dramatischen Anfänge zu einem wirksamen Stücke zu gestalten und herauszuarbeiten und dem Komponisten so ein Textbuch zur Verfügung zu stellen, das ihm Gelegenheit gibt, sich musikalisch auszusprechen, zugleich aber auch die Forderungen erfüllt, welche wir heutzutage an jeden Operntext der Neuzeit zu stellen berechtigt sind.

Was uns beim oberflächlichen Blättern in diesem Buche auffällt, ist in erster Reihe die saloppe Versbildung. Man sieht, es habe hier ein talentvoller junger Mann mit vieler Behaglichkeit, doch ohne allzu grosse Anstrengungen einen Text geschrieben, der seinen Hauptzweck darin zu haben scheint, dass er ihm (dem Autor) gefällt. Es ist der Mangel einer strengen Kritik, der sich bei der Faktur dieser Verse unangenehm bemerkbar macht. "Ja wären alle Männer wie Ihr - die Schweden sicher verlören", heisst es einmal in allzu platter Ausdrucksweise, "O grosser Heil'ger helfe Du!" "O Stern, an Dir mein Herz ich stähle" "O schiene mir der Liebe Segen" "Dort hangt der Schlüssel zum Petersthürmer" - sind Sätze, die wir jetzt nicht mehr vertragen. Und vergleichen wir die Worte, welche von der Bühne herab erklingen, mit denen, die im Buche stehen, so müssen wir uns erst noch freuen, dass wenigstens die gröbsten Unebenheiten im Textbuche ausgestossen wurden.

Der Hauptvorwurf, welcher dem Buche gemacht werden kann, bezieht sich auf seinen Mangel an dramatischem Leben, an spannenden oder komischen Situationen. Hätte es der Dichter verstanden, den Hintergrund, der im letzten Akte plötzlich zum Vordergrund wird, schon in den ersten Akten schärfer zu zeichnen, hätte er die Furcht der Stadt München vor dem Herannahen der Schweden ernsthafter und entschiedener accentuirt, so wäre das Ganze lebendiger und interessanter geworden, dann hätte die ganz gewöhnliche Liebesgeschichte, die sich jetzt ohne eigentliche Intrigue in novellischer Breite abspielt, an Theilnahme Seitens des Publikums gewonnen. Jetzt noch uns zuzumuthen, an einer gewöhnlichen Herzensgeschichte - Goldschmiedgeselle Wildenbrandt contra Stadtschreiber Wurzel - Antheil zu nehmen, ist, nachdem der höchste Trumpf in dieser Richtung mit dem Beckmesser in den Meistersingern ausgespielt wurde, eine Forderung, die nicht acceptirt wird: diese gemüthlichen Zeiten sind vorbei. Die Charaktere, welche das Buch vorführt, sind längst vergriffen, wurden längst schon in zutreffender und ergötzlicher Weise auf der Bühne geschildert. Selbst den Lokalton hat der Dichter nicht festzuhalten vermocht: kein Mensch hätte, wenn auf dem Zettel gestanden wäre, die Scene spielt in Donauwörth oder Bamberg oder sonst in einer Stadt, welche Gustav Adolf genommen hat, an München gedacht; wir finden kaum einen Versuch, das echte, alte München zu schildern. Auch hier hätte der Text zu den Meistersingern wieder Muster sein können, dort hätte der Dichter gelernt, wie in einem Operntext der Lokalcharakter voll und kräftig zum Ausdruck gelangt.

Ein ebenfalls grosser Fehler liegt unseres Erachtens in dem Umstand, dass das Buch nicht scharf von einander sich abhebende Stimmungen bringt: die ganze Geschichte spielt sich ohne rechte Leidenschaft, blos in leichten Gefühlsanwandlungen, die noch dazu alle einander ziemlich ähnlich sehen, ab. Das ist für einen Operntext, der dem Komponisten Gelegenheit geben muss, eine Reihe von leidenschaftlichen Momenten musikalisch wiederzugeben, ausserordentlich schlimm. Nur in Kontrasten gibt es eine Bühnenwirkung und wer Operntexte schreiben will, muss sich dieser Generalregel vor Allem bewusst sein.

Man wird uns einwerfen, dass es auf solche Weise, wie wir das Szenar verlangt haben, keine komische Oper gegeben hätte. Aber musste es denn gerade eine komische Oper sein, weiche aus diesem Sujet zugeschnitten werden sollte? Und ist es denn jetzt eine komische Oper geworden? Wo sind denn die komischen Situationen, welche den Haupttheil der Handlung aussprechen sollen? Wir haben wohl einzelne, mitunter sogar nicht einmal glückliche Spässe gehört, aber von einer komischen Oper haben wir nichts vernommen. Aus diesem Sujet liess sich nur eine lyrische Oper machen und wir glauben, der Dichter hätte hiezu auch ganz das Zeug gehabt, wenn er sich von vorneherein nicht darauf kaprizirt hätte, gerade eine komische Oper zu schreiben.

Für nicht minder verunglückt halten wir die eigenthümliche Vorliebe des Dichters, den gefürchteten Gelblederkönig in einer komischen Oper auf die Bühne zu bringen, um gleich einem alten auf den Brettern seit Jahrhunderten schon einheimischen Onkel die vom Dichter kommandirte Verbindung zu Stande zu bringen. Wo ein Gustav Adolf persönlich auftritt, muss das historische Kolorit ganz anders betont werden, als es in "Thürmers Töchterlein" der Fall ist. Dazu kommt, dass sich selten auf einer anderen Bühne eine ausreichende Repräsentation für diese historische Figur findet, da die besseren Kräfte alle bereits im Feuer stehen.

Alles in Allem gerechnet, halten wir den Text nicht als eine glückliche That: er trägt den Haupttheil der Schuld, wenn die Oper nicht über die Freundeskreise der Autoren hinaus durchschlagenden und andauernden Erfolg findet.

Doch die Hauptsache bei einer Oper ist ja die Musik. Einverstanden, wenn der Komponist es vermochte, die Klippen des Textes glücklich zu umschiffen und es verstand, mit seiner dramatischen Gestaltungsgabe die Fehler desselben zu verbessern oder zu verstecken.

Aber hat Rheinberger diess gethan? So viel Wohlwollen wir dem neuen Werke auch entgegenbringen, so sträubt sich doch unser gesunder Sinn, diese Frage schlechtweg zu bejahen. Rheinberger's Talent ist lyrisch angelegt, die lyrischen Stellen bilden auch die Höhepunkte des in seinen Einzelheiten schönen Werkes. Aber von einem Aufschwunge der Musik zu einem dramatischen Leben finden sich nur wenige und unzulängliche Spuren. Selbst die dichterisch noch gelungenste Gerichtsszene im (jetzt) dritten Akte ging dadurch spannungslos vorbei und dem Publikum kam auch da keinen Augenblick der Gedanke, es könnte dem jungen Goldschmiedgesellen eine Weile übel ergehen.

Es ist Rheinberger's Talent anders geartet als z.B. das eines Lortzing; in den Werken des letzteren finden wir eine derbe Komik, einen frischen Humor an allen Ecken und Enden. Wir wissen aber, dass Rheinberger sich ihn nicht zum Vorbild nehmen konnte, denn unser Komponist liebt es nicht, sich so derb auszusprechen und zuweilen so possenhaften Ton anzuschlagen, wie es Lortzing so häufig that; er strebte offenbar vielmehr dem viel feineren Nikolai nach und wenn wir uns nicht täuschen, waren ihm "Die lustigen Weiber von Windsor" Muster und Vorbild. Diesen Vorzug müssen wir rühmend hervorheben: die Musik in Thürmers Töchterlein ist durchwegs edel und elegant. Zuweilen schlägt der Komponist einen volksthümlichen Ton an, der frisch und wohlthuend sich in Herz und Ohr schmeichelt, das Lied "Kam ein Mägdlein hold und gut" - ist ein reizendes Beispiel hiefür. Den heissblutigen Goldschmiedgesellen zeichnete Rheinberger mit grosser Virtuosität: in seinem Liede "Brausend wogte mir das Blut" klingt es von jugendlichem Uebermuth und "Becher, Zecher, Singen, Klingen" tönt so keck und doch so ärgerlich, dass wir diese Nummer den besten der ganzen Oper zuzählen. Es gab Zuhörer, welche der Oper und so auch diesem Liede die Originalität absprachen, sie meinten, as fänden sich in ihr häufige Anklänge, die der Tondichter durch Ausweichungen und Modulationen unmerklicher zu machen gesucht habe. Wir konnten das nicht finden: uns schienen die meisten Lieder - welche doch die schönsten Theile der Oper sind - lebendig und ureigen einer tiefen und feinfühligen Empfindung zu entsteigen und in anmuthigen, zum Theile sogar recht kräftigen Weisen auszuklingen.

Die Melodie "Wollt ihr Blumen, kommt zu mir!" trat uns z.B. so schlicht und liebreizend entgegen, wie wir uns Gertrud dachten und Heinrich's Trinklied "Wir leben hier in den Tag hinein" sucht an Stimmung und Frische seinesgleichen. Nicht minder charakteristisch erscheint uns das Thürmerlied; es ist schön empfunden und ebenso glücklich ausgeführt. Dagegen konnten wir uns mit dem Sologesang des Wurzel, womit der dritte (nach dem Buch der zweite) Akt anhebt, nicht befreunden: wir vermissten hier den komischen Habitus, es kam der Humor, den wir suchten, nicht zum Ausdruck.

So finden wir eben überall unsere frühere Behauptung begründet, dass Rheinberger nicht sein eigentliches Talent zu beschäftigen weiss, wenn er sich mit der musikalischen Illustration eines komischen Textes abmüht und sich zu Arbeiten zwingt, welche seiner ganzen poetischmusikalischen Anlage widersprechen. Die Lyrik ist sein Feld, dort versteht er reiche Lorbeeren zu pflücken, dorthin ist sein Talent verwiesen und es ist ein Verkennen seiner eigenen Fähigkeit, wenn er sich darauf kaprizirt, auch komische Opern schreiben zu wollen.

In der Mache zeigte er - gegenüber seinen sieben Raben - entschiedene Fortschritte. Er hat es gelernt, musikalische Charaktere zu schaffen und den einzelnen Partien ein bestimmt abgegrenztes Gepräge zu geben. Seine Instrumentation ist ausserordentlich kunstvoll und verständig: er hat sich die Kunstgriffe der Neueren mit vollem Recht zu Nutzen gemacht und diese Neuerungen oft mit grossem Glücke und feinem Gefühle für Tonfarbe und Wohlklang angewendet. Nach dieser Seite hin ist die Oper wahrhaft meisterhaft und in mustergültig. Mit gleicher Auszeichnung müssen wir der Orchesterstücke gedenken:

Ouverture und Schwedenmarsch zählen wir den besten Schöpfungen der Neuzeit bei.

Nun fragt sich, wie die grossen Vorzüge, welche das Werk aufweist, auch jetzt noch in glücklicherer, wirksamerer Weise verwerthet werden könnten. Wir glauben, dass zumal einige Striche dem Gesammterfolg von grossem Vortheil wären. Wie schon früher erzählt, wurden noch in der elften Stunde aus den ursprünglichen ersten zwei Akten drei Akte gemacht, wahrscheinlich wohl, um der Regie bequemere Gelegenheit zu schaffen, die Dekorationen zusammenzustellen. Nun aber verlangt die Trinkstube sicherlich keine allzu grosse Virtuosität im Zusammenstellen und der Zwischenvorhang ermöglicht dieses ohnehin auf die bequemste Weise. Warum also die Handlung verzögern und die Oper verschleppen? Dazu kommt noch, dass jetzt drei Akte hintereinander in gleichartiger Weise schliessen: im ersten bleibt Gertrud allein zurück und singt ihr Gefühl aus, im zweiten Wurzel, im dritten wiederum Wurzel.

Diese Gleichförmigkeit langweilt, da muss geändert werden. Ferner möchten wir die Arie, mit welcher Wurzel den dritten Akt beginnt, zum Abstrich empfehlen, in gleicher Weise seine Arie "Weh mein Kopf", in welcher er sich genau noch in der Gemüthsstimmung vom Aktschluss befindet.

Die beste Aenderung wäre allerdings diese, für die Parthie des Wurzel einen Sänger zu finden, dessen Komik von innen heraus kommt, der sich nicht plagt und müht, komisch zu scheinen, und doch nie lachen macht. Wir anerkennen den Fleiss und den Eifer, mit weichem Hr. Mayer diese Partie studirt und auf die Bühne gebracht hat, wir loben seine vielen gesanglichen Vorzüge - aber Komiker kann man eben nicht werden, das muss man von Natur aus sein. Diese äusserliche, gewaltsame Komik, die im Schweisse ihres Angesichts Lachen erregen will, bringt in der Regel nur einen gegentheiligen Eindruck hervor und gerade der schwachen Parthie des Wurzel hätte ein Komiker von Gottes Gnaden mit Erfolg nachhelfen können.

Der übrige Theil der Aufführung verdiente die beste Auszeichnung. Frln. Stehle (Gertrud) war das schlichte, seelenvolle, ungeschminkte Bürgerskind mit dem tiefen Gemüthe, wie es der Komponist verlangte, und Hr. Vogl sang so schneidig und herausfordernd, dass der kecke, übermüthige Goldschmiedgeselle leibhaftig vor uns hinzutreten schien. Auch Frau Diez sang die Cordula mit der dieser Künstlerin eigenen Gewissenhaftigkeit und Sauberkeit, während Hr. Kindermann als Gustav Adolf ein Meisterstück in der musikalisch-dramatischen Repräsentation auf die Bühne stellte. Auch Hrn. Bausewein müssen wir das Lob aussprechen, dass er sein Thürmerlied recht innig gesungen hat. Nicht mindere Auszeichnung verdienen Chor und Orchester. Die neuen Dekorationen des Hrn. Quaglio fanden wohlwollende Anerkennung.

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