Hedwig von Holstein berichtet Fanny Rheinberger über die Eindrücke, die ihr Gatte bei den ersten Bayreuther Aufführungen der Wagnerschen "Ring-Tetralogie" hatte


Brief von Hedwig von Holstein an Fanny Rheinberger:

 

Gastein, 9.9.1876

Liebste Fanny!

Wie glückselig war mein Franzi, als er in die reine Bergluft zu mir nach Aussee kam! Einige Tage lang ging er ganz verdummt umher, er sprach wenig, und immer wieder sagte er: Ach wie dank' ich Gott, dass ich nicht mehr in Bayreuth bin! Er konnte & wollte die 4. Oper nicht mehr hören, hatte er doch vom Siegfried auch nur einen Act noch ertragen können und ist krank und elend in sein Bett gefallen. Die Generalproben hatte er alle angehört und mir täglich darüber geschrieben. Das Zusammensein mit seinen alten Freunden und Bekannten, die er seit vielen Jahren nicht gesehen, mit den Sängern und Sängerinnen seines Haideschachts [1], die Bekanntschaft mit interessanten neuen Menschen regte ihn an und stachelte ihn auf, die übermenschlichen Anstrengungen zu ertragen. Auch war ihm ja das neue Theater mit all' den erfinderischen Einrichtungen sehr interessant, und die ersten Wagnerschen Klänge üben ja zuweilen einen gewissen Zauber aus. So schrieb er einmal in einer Art von Begeisterung über die Götterdämmerung, welches Werk ihm den grössten Eindruck machte in den Proben. Wie es dann aber zu den Aufführungen kam und die Ansprüche sich steigerten, so schwand der Zauber völlig. Franz fand alle Münchner Aufführungen bei weitem schöner, was Sänger, Decorationen und Regie betrifft, ja, unvergleichlich geschickter und wirksamer. Warum also dieser ungeheure Aufwand an Geld und Kraft und Künstlerdasein? Am meisten leid haben ihm die armen Orchesterleute gethan. Wilhelmi und Alle haben in Hemdärmeln da unten in der Höhle gesessen, und Schweiss ist ihnen von der Stickluft sichtbarlich von der Stirn geflossen. Was ist doch das Alles für eine Unnatur! - Sehr bald ist meinem lieben Herzensmann die Wagnersche Sinnlichkeit zum Ekel geworden, dass er eben nicht mehr konnte, und - er lief davon! Gewiss sehr zu seinem Glück, denn er hat solchen wahnsinnigen Druck auf seinem armen Gehirn gefühlt

[im Original folgt ein Plakat]

und wurde von so starkem Nasenbluten befallen, dass Grieg [2], sein Norweger Nachbar, ihn durchaus nicht allein hat abreisen lassen wollen, weil er an Nervenfieber oder Schlaganfall gedacht hat. Wie war ich froh, als die ersten Tage vorüber waren und der Rausch ausgeschlafen, der liebe alte Franz in seiner Frische und Ganzheit wieder mit mir im Gebirge herumwandelte! Es ist kein Spritzchen Schmutz an ihm hängen geblieben, rein ist er wieder, wie er war, Gott sei Dank! /.../

 

______________

[1] "Der Haideschacht", Oper von Franz von Holstein.
[2] Edvard (Hagerup) Grieg (1843-1907), norwegischer Komponist.