Philipp Wolfrum, ehemaliger Schüler erzählt von seiner neuen Anstellung als Musiklehrer in Bamberg und sein musikalisches Schaffen


Philipp Wolfrum, Bamberg, 06.03.1879

Bamberg, am 6.März 1879.

Hochverehrter Herr Professor!

Jetzt erst ist es mir vergönnt, meinen Gefühlen der Dankbarkeit gegen Sie Ausdruck zu geben. Nachdem mir Fritzsch und Forberg abschlägige Antwort gaben, hat sich Aibl in München über meinen Erstgeborenen erbarmt; dass sich nun auch recht Käufer fänden! Gern hätte ich mir erlaubt, Ihnen Proben meiner bisherigen Thätigkeit zur gütigen Beurteilung zu übersenden; allein ich habe hier ein grösseres Werk, wie die c-moll Symphonie oder mein Klavierquintett noch nicht zum Abschluss bringen können. Einerseits lebe ich hier in Verhältnissen, die einem jede Lust zum Schaffen nehmen, wie z.B., dass ich in meiner Seminar- Dienstwohnung beständig mit Orgel- und Clavierübungen belästigt werde, da nämlich in dem Zimmer rechts von meiner Wohnung ein Harmonium mit Pedal, in dem links ein Clavier, in dem über meiner Wohnung ebenfalls ein Clavier in oft schaudererregender Weise traktirt werden - für gute Fortpflanzung der Töne sorgen die auch in mein Zimmer einmündenden Luftheizungskanäle; andrerseits wurde ich durch eine Gelegenheitscomposition vom Vollenden meiner grössern Sachen abgehalten, indem ich nämlich mit einem Lied und einem Streichquartettsatz der Bewerbung um das Mozartstipendium in Frankfurt beitrat; Herr Prof. Dr. Herzog [1] in Erlangen war so freundlich, die Arbeiten anzusehen und an ihre Adresse zu übermitteln. Er sprach sich im höchsten Grade lobend über meine Arbeiten aus und gab mir die besten Hoffnungen. Will sehen, ob ich Glück habe, noch ein Jahr bei Ihnen und ein weiteres Jahr bei Johannes Brahms studiren zu können!

Ferner bin ich auch von unsrer Anstalt sehr in Anspruch genommen, und besonders ist es der Musiktheorie-Unterricht, der einer eingehenden Vorbereitung bedarf, wenn man ihn nicht systemlos und schablonenhaft geben will. Ich habe Hauptmann's Harmonik und Metrik zu wiederholten Malen durchstudirt und gefunden, dass es zwar entwickelt, wo andere Bücher wie Richter etc. dogmatisiren, und somit erst eigentlich dem Unterricht eine gesunde Basis gibt, dass es aber doch in vielen Punkten den praktischen Zweck ganz Nebensache sein lässt, ja der Praxis zuwider theoretisirt. Von den bisher eingeführten Lehrblüchern wie Hohmann, Helm etc. schweige ich am besten. - Was Chorgesang betrifft, der sich auch in meinen Händen befindet, so hatte ich einige Mühe, im Seminar eine Schule (Wüllner) einzuführen; von einer solchen war früher nämlich nicht die Rede, und liegt auch der Unterricht an den Präparandenschulen noch sehr im Argen. Ich bin bis jetzt von den Leistungen meiner 100 Barden nicht erbaut, wenn auch die Fastnachtsproduction (bei welchen u.a. 2 Lieder aus Ihrem op. 74 [2] gesungen wurden) zur allseitigen und besonderen Zufriedenheit des Seminar-Inspektors von Statten ging.

 Von unseren Orgeln kann ich keine zur Übung brauchen, da die Pedale viel zu lange Mensur haben; doch wird Steinmeyer an Ostern die grösste der 5 Orgeln so abändern, dass er eines von seinen Pedalen anbringen kann. In den Herbstferien des vorigen Jahres spielte ich in meiner Heimat fast täglich 2 Stunden, oft noch länger, Orgel und auch während der Weihnachtsferien habe ich mich fleissig geübt, sodass mir die schwierigeren Bach'schen Sachen in ihrem technischen Teile ganz wol gelangen. Verhältnismässig am fleissigsten war ich im Clavierspiel; ich hatte hier auch schon mal einen anständigen Erfolg. Ich spielte im II. Abonnementsconcert Beethovens op. 57 [3] vollständig, dann 3 kleinere Sachen von Chopin, Schumann etc., und mit dem Concertmeister Bruck aus Wien die Sonate op. 21 von Niels Wilh. Gade; sodann begleitete ich sämmtliche Lieder etc., die Frl. Friedländer aus Leipzig sang; meine Solostücke spielte ich aus dem Kopfe. Noch im Laufe dieses Monats will ich hier mit Frl. Krieger ein selbständiges Concert" geben, in welchem ich die ganze g-moll-Suite von S. Bach, Ihr op. 8 [4] und Chopins Ballade op. 47 (engl.) spielen will; den Schluss des Concerts soll Brahm's op. 53 - Rhapsodie für Altsolo und Männcherchor (25 Seminaristen) bilden.

Sonst stehe ich dem hiesigen Musikleben vollständig ferne und gebe nur dem Arrangeur der Künstlerconcerte Dr. Boveri Unterricht in Harmonielehre und Contrapunkt. Entschuldigen Sie gütigst, dass ich Sie mit diesen vielen Details belästige; ich glaubte eben, Ihnen, als meinem damaligen Lehrer, genaue Rechenschaft von meinem Thun und Treiben zu schulden.

Indem ich mich Ihnen vielmals empfehle, zeichne ich in grösster Hochachtung

Ihr

dankbar ergebener

Ph. Woifrum.

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[1] Johann Georg Herzog (1822-1909) war bis 1854 Rheinbergers Orgellehrer. (Vgl. Band 1, S. 59ff)
[2] "In der Zechstube". 5 heitere Gesänge für vier Männerstimmen
[3] Klaviersonate f-moll
[4] "Waldmärchen". Konzertskizze für Pianoforte