David Rheinberger schickt Fanny Rheinberger das Sagenbuch von Vonbun und schreibt ihr vom Schlossgeist auf Gutenberg, einem "Schlossweibchen".


Vaduz, 29.1.80 [recte 1881]

Meine liebe Schwägerin!

Das Sagenbuch von Vonbun wirst Du hoffentlich erhalten haben u. vielleicht mehr als eine Sage zu einer Ballade geeignet finden. Die Grimm'sche Schreibart gefällt mir nicht, sie erschwert das Lesen sehr, besonders, wenn noch ein unbekannter Dialekt dazukommt.

Wenn ich mich recht erinnere, kommen auch Sagen über Gutenberg darin vor, ich habe es zu lange nicht mehr gelesen. Interessiren dürfte Dich, dass sich im vorigen Sommer dort wieder der Schlossgeist hat blicken lassen: das sogenannte in Balzers unter dem Namen bekannte "Schloss- weibchen". Ein paar kranke Zöglinge in Gutenberg, die Nachts nicht recht schlafen konnten, haben es beim Mondschein leibhaft auf der Ruine u. um das Institut herum lustwandeln gesehen, welche es des anderen Morgens der Oberin mitgetheilt haben, die aber gemeint hat, es sei wahrscheinlich etwa eine Holzdiebin gewesen u. am Abend dann dem Nachtwächter den Auftrag ertheilt hat, ein wachsames Auge zu haben. Derselbe hat sodann das Fräulein auch wieder gesehen, aber eben gesehen, dass es durchaus keine Absicht auf Holz gehabt habe.

Nach der Beschreibung des Costüms u. Kopfputzes dürfte es vor ca 200 Jahren gelebt, geliebt u. vielleicht gesündigt haben. Alle Leute von Balzers wollen dasselbe schon öfters gesehen u. in ihrer Jugend von ihm erzählen gehört haben.

Ist das nicht prächtig!

[…]

Jetzt grüsse mir recht schön Kurt u. leb wohl u. schreib bald wieder Deinem treuen Schwager

David.

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