Der Bayrische Kurier berichtet über die Erstaufführung in München von Rheinbergers "Christophorus"


Bayrische Kurier, Nr. 357, 29. Dezember 1882

 

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F. von Hoffnaass hat die Legende des Christophorus in wohlklingende, zur Komposition wohl geeignete Verse gebracht und so ein episch-lyrisches Gedicht geschaffen, dem die dramatische Steigerung keineswegs ermangelt. Der Riese, nachmals Christophorus genannt, will seine Kraft und seine Stärke nur dem Mächtigsten der Erde dienstbar machen und wird von einem Einsiedler unter Hinweis auf den Gekreuzigten bewogen, am Ufer des Jordans zu weilen, um die müden Pilgrime über den Fluss zu tragen, bis einst ein Kindlein den gleichen Dienst von ihm begehrt. Doch der Riese inmitten der Fluth

… kann nicht mehr, es wächst die Fluth…

Und aus den Adern drängt mein Blut.

Kindlein, Kindlein, was ist mit dir?

Mir ist, als trüg’ ich die Welt auf mir!

Christkind

Du trägst die Welt du den, der sie geschaffen,

Denn ich bin Christus, Gottes Sohn.

Du suchtest mich

Und dientest mir mit der Liebe Waffen:

„Barmherzigkeit.“

Nun sei bereit,

Empfange der Treue Lohn.

Mit einem Chor der himmlischen Geister schliesst die schön gegliederte Dichtung, welche dem Komponisten J. Rheinberger Gelegenheit gibt, seine volle Meisterschaft und sein Talent im besten Licht zu zeigen. Das Werk ist mit einer Ouverture in C-moll eingeleitet, die an sich schon ein vorzügliches Concertstück und für das ausführende Orchester ein Probestück ersten Ranges bildet. Sie besteht aus einem langsamen, einleitenden Satz, dem eine grandiose Fuge folgt, deren Thema, ein reicher Stoff vom Meister in klarer, verständlicher Weise angeordnet und durchgeführt ist. In den Chören ruht des Ganzen Schwerpunkt und sie bilden auch den weitaus gelungensten Theil. Von den Solisten fordert der Komponist selbstlose Hingebung und Begeisterung, ohne Ihnen besondere Effektstellen zu bieten, um nach moderner Art den Beifall herauszufordern; die Tenorparthie (Einsiedler) ist besonders reich an melodischem Fluss; poetisch gedacht, die Sopranparthie (Christkind) setzt aber einen ausgezeichneten, hellklingenden Sopran voraus. Die Chöre verbinden mit reicher Polyphonie ebenso reiche Harmonik, die nicht blos für den Musiker, sondern auch für den Musikfreund von aussergewöhnlichem Interesse sind. Für den Ersteren ist ein Chor: „Satanas ziehet zur Jagd“ im engst geführten Canon in der Oktav von ganz besonders hohem Interesse, die Begleitung sind Hörner und Sordinen, Trommel und Becken (dieses sehr gedämpft) und erzeugen eine sehr originelle Wirkung. Mit dem Eintritt der Christusstimme ist der Komposition ein anderer Charakter aufgeprägt durch die Einführung der Orgel. Wir finden uns nun ganz auf dem Gebiet der rein geistlichen, wir möchten sagen kirchlichen Tonkunst. Den grossartig aufgebauten und überaus wirksamen Schlusschor, der das Werk krönt, stehen wir nicht an, als die bedeutendste Schöpfung Rheinbergers, die uns bekannt, anzuerkennen.

Die Aufführung hatte einen glänzenden Erfolg und die verwendeten Solisten, die Damen Herzog und Blank und die Herren Mikorey und Fuchs, haben vollauf Anspruch auf den gebührenden Theil der reichen und ehrenden Anerkennung, die sich nach Vollendung der Aufführung in einmüthiger Weise kundgab.

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