Rheinberger über die Tatsache dass Henriette heiratet (Abschiedsbrief N° 1)


München, den 12. 3.01

Theuerste Freundin!

Es ist wohl das letzte mal, dass ich mich dieser vertrauten Anrede an Sie bediene. War ich auch, wie Sie es aus meinem letzten Briefen ersahen, vollständig auf Ihren ernsten Lebensschritt vorbereitet, so überraschte mich doch das so schnelle Eintreffen dieser Thatsache, die ich erst für den Herbst vermuthete. Es gilt also Abschied zu nehmen von einem lieb gewordenen Gedankenaustausch mit einer Persönlichkeit, die mir trotz verschiedenster Lebensstellung, Alters und äussern Verhältnisse in höchstem Grade sympathisch und teuer geworden ist und mir für den beginnenden Abend des Lebens in meiner nun doppelten Vereinsamung unvergesslich sein wird! Und wenn ich Ihnen nun danke für die vielfach bestäthigte Liebe und Freundschaft, die Sie mir seiner Zeit so unerwartet und herzlich entgegengebracht haben, so geschieht dies mit einem Gefühl der Wehmuth, ja der Trauer, das nur der zu verstehen im Stande ist, welcher weiss, dass es für diesen Verlust keinen Ersatz mehr gibt. Aber ich will ja nicht über ein Ereigniss klagen, das Sie glücklich macht - so weit reicht mein Egoismus nicht! -

Dass meine vielen Briefe an meine hohe Gebieterin der Ausfluss vollkommensten und aufrichtigsten Vertrauens waren, wissen Sie recht wohl - ebenso, dass ich Niemanden sonst diese Einsicht in meinen Lebensgang, meine vielfachen Beziehungen zu manchen Persönlichkeiten, meine herzlichen Empfindungen Ihnen gegenüber gestattet hätte - deswegen stelle ich Ihnen anheim, ob Sie nicht besser thun, dieselben zu vernichten. Ihre Briefe an mich sind sicher aufbewahrt, darüber mögen Sie ruhig sein. Sollten Sie auch in Zukunft da und dort sich bewogen fühlen, sich gegen mich auszusprechen, so werden Sie bei mir stets offenes Herz und Ohr finden - das ist ja selbstverständlich; ebenso, dass ich Ihre Briefe immer umgehend beantworten werde. Aus eigener Initiative Ihnen zu schreiben, könnte ich mich schwerer entschliessen - schon um den Schein des Aufdringlichen zu vermeiden; und somit sei diese Angelegenheit vollständig in Ihrer Hand. -

In meinen vielen, ausführlichen Mittheilungen war ich nach bester Überzeugung bestrebt, nur Ihre Wohlfahrt im Auge zu behalten und günstig auf Ihr seelisches Leben und Bestreben einzuwirken. Wenn diese meine gute Absicht vielleicht fruchtlos blieb, so reut es mich doch nicht, und ich möchte kein Wort in dieser Hinsicht zurücknehmen - aber bemerken darf ich wohl, dass manches Widerspruchsvolle in Ihren Briefen, das unerklärlich schien, mir jetzt klar ist. Waren Ihnen meine Warnungen und Bitten (wie ich wohl fühlte) manchmal lästig, so geschahen dieselben, ohne dass ich Ihre näheren Beweggründe kannte, die sich denselben entgegenstellten. Ich war des Ernstes jener Angelegenheit, die mich so sehr bekümmerte, wohlbewusst, vielmehr als Sie, indem Sie die Tragweite derselben gewiss unterschätzen - doch will ich auf Vergangenes, weil nun zwecklos, nicht mehr zurückkommen. Aber musste es nicht auffallen, dass Sie auf meine letzt ausgesprochene Bitte, dass wir nicht mit einer Dissonanz scheiden möchten, wieder keine Antwort hatten! -

Der gewöhnliche Montagsbrief war eben fertig gestellt, als Freitag, den 8. d. Ihre so inhaltsschwere Mittheilung kam; selbstverständlich unterliess ich deswegen seine Zusendung. -

Wie bei Ihnen in Berlin herrscht auch hier die Influenza. Vergangenen Sonntag hat's auch mich gepackt, und bin ich nun recht krank - habe Bluthusten, Fieber, grosse Schmerzen - kurz, ich bin in schlimmer Verfassung, was Sie wohl auch dem Briefe anmerken werden. Zum Glück ist wenigstens meine etwas umfangreiche Duenna eine vortreffliche Krankenwärterin, und mein Arzt, Dr. Stieler, (ein Bruder des Dichters) gibt sich aufs liebenswürdigste die Mühe, mich aufzuheitern, was ihm zu seiner Verwunderung gar nicht gelingen will. - Bei meiner gegenwärtigen unfreiwilligen Musse blätterte ich zufällig in einem Buche aus Miez' Nachlass; es war "Grantley Manor" von der Lady Georgiana Fullerton; ich musste oft lächeln, wie die Zeichnung der Miss Margaret auf meine hohe Gebieterin hinwies - die Ähnlichkeit war geradezu frappant! Natürlich Zufall!

Wie mir Frl. E. R. mittheilte, ist jenes projektierte Konzert nun auf den 22. April festgesetzt; sie litt nämlich die ganze Zeit an Stimmlosigkeit. Auch Frau Herzog werde mitwirken - sie war lange Zeit meine Solistin in der k. Vocalcapelle; damals allerdings noch nicht so berühmt wie jetzt. - Alles veraltet so schnell! Tempi passati! -

 

17.3.

Während der Arzt da war, brachte der Postbote einen Arm voll Sendungen, oben auf Ihre Blumen, Buch und Brief! und da musste ich noch 20 Minuten zuwarten und freundlich sein. Ich danke Ihnen für Alles, auch für das liebenswürdig-grausame Geschenk Ihres Bildes, das mich übrigens fremd berührt - haben Sie sich so sehr geändert? Das frühere ist mir lieber; es soll auch mein Bild bleiben. - Sollte ich nicht schliessen? so schwach bin ich, dass ich den Schluss des Briefes immer wieder verzögere. Ich meine, ich könne nicht scheiden! Unsinn - es muss ja sein, und ein so alter Mensch wie ich, soll es erst recht wissen! - Erst jetzt fiel mir ein, dass ich Ihnen ein Bild meiner Heimath versprochen hatte. Links neben der Kirche steht ein hohes Haus; neben diesem ein etwas niedrigeres - dies ist mein Geburtshaus - damals Amtswohnung meines Vaters. Das helle Haus unter dem Schloss ist das meiner Eltern; und das allerletzte links (am Rand) oben, etwas dunkel und in den Weinbergen, ist Olga's Haus. Im Hintergrund das "Drei-Schwesterngebirge". Damals konnte ich in diesen herrlichen Felsen und Wäldern herumklettern, wie eine Gemse - und nun! Verzeihen Sie, das wird Sie wenig interessieren - ich schicke es auch nur, weil ich's versprochen hatte; und Versprechen muss man halten! Wie Vieles hätte ich noch auf Ihre lieben Zeilen zu erwidern - und nicht einmal den Namen haben Sie mir genannt, den Sie künftig führen werden! - Nun bleibt mir nur noch Lebewohl zu sagen - mögen Sie die ideale Gestalt, als welche Sie mir zuerst erschienen, nun im ferneren Leben verwirklichen, und mögen Sie das Glück, welches Sie geträumt und ersehnt haben, in reichem Masse finden. Habe ich Sie vielleicht in irgend einem meiner vielen Briefe gekränkt, so verzeihen Sie es meiner übergrossen Theilnahme, die mich vielleicht nicht immer das rechte Wort finden liess - absichtlich geschah es gewiss nicht! Wie gut und lieb ist der Schluss Ihres Briefes: "von Zeit zu Zeit lass mich zu Dir kommen und mit Dir plaudern wie in früherer Zeit..." Ja, so wollen wir's halten!

Gott mit Ihnen, theuerste Freundin!
Mit herzlichstem Lebewohl Ihr
Sie innig verehrender Jos. Rheinberger.

 
(Bitte, wegen meines Krankseins sich nicht zu sorgen; es ist heute etwas besser. )

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