Abschiedsbrief N° 2


München, den 25. 3. 01

Sehr verehrte Freundin!

Sehr wohl weiss ich es zu schätzen, dass Sie in einer Zeit, wo Ihnen andere Dinge viel näher am Herzen liegen, dennoch Zeit finden an mich zu denken. So danke ich Ihnen besonders für Ihre heutigen persönlichen Mittheilungen, die mir, wie Alles, was Sie betrifft, hoch interessant sind. In einem Briefe an Ihre Frau Mama, schrieb ich unter Anderem: "nach meiner Ansicht müsste Ihr künftiger Mann wenigstens zehn Jahre älter als Sie und ernster Natur usw. usw. sein - was sagen Sie nun zu meiner clairvoyance? -

Sie fragen nach meiner Gesundheit - ich wollte, ich könnte Besseres berichten; es waren wohl meine schlimmsten „Festtage“[1]), deren ich mich erinnere. Da sass ich am 17. und 19. in einem wahren Blumenwald mit jenem krankhaft bohrenden Gefühl im Herzen: (das Sie wahrscheinlich nicht kennen) es möchte doch rasch Alles vorüber sein. Diese hässliche Influenza mit der beständigen Drohung des Erstickens, der unheimliche Blutauswurf, das rasende Kopfweh, heftige Gemüthsbewegung, dazu die unaufhörlichen "Gratulationen" zu Geburts- und Namenstag - solche Tage dauern lang, - und gehen auch vorüber - aber wie? Es gibt eben Tage und Stunden, die ohne Religion ganz unerträglich wären. Jedoch sind die Tage noch golden gegen die Nächte! Genug hierüber - hoffentlich kann ich das nächstemal Besseres schreiben! - Frl. E. Rintelen wird über Ihren Anblick sehr erstaunt gewesen sein; vielleicht schreibt Sie mir gelegentlich darüber. Also auch jetzt noch wird geradelt? Aber nun fürchten Sie nicht mehr, was "dahinter liegt", wie es in Ihrem vorletzten Briefe heisst! Mir klang schon Ihr erster RadI-Rapport (im Herbst) in Folge seines Enthusiasmus verdächtig und da war es dann in den Folgenden nicht schwer, zwischen den Zeilen zu lesen - umsomehr, als Sie kein Talent zu der "Verstellung schweren Kunst" zeigen, eher noch zur Schweigsamkeit! -

 

26.3.

Gestern wurde mir eine grosse Freude zu Theil. Mittags erhielt ich ein Telegramm von Olga, dass sie bis Abends ½ 8 Uhr in München sein werde. Und so war es auch; sie hatte meinem Krankheitsbericht nicht recht getraut und wollte, obschon schwer abkömmlich, selbst mal nachsehen; und nun will ich sie doch wenigstens 3-4 Wochen festhalten. Da sie mich nahezu 3 Jahre nicht gesehen, mag sie mich wohl einigermassen verändert gefunden haben - aber so etwas sagt man natürlich nicht. -

Nun sich meine hohe Gebieterin zur "Schwäbin" metamorphosiert, werden wir ja eigentlich "Landsleute" - aber ohne "Privaat-Hässle!" Und wie froh werden Sie (und Ihre verehrten Eltern) sein, in Berlin bleiben zu können, da eine Beamtensfrau ja auch nach "Stallupönen" versetzt werden könnte. Ihre "Phaläna" habe ich nun durchgelesen - das Beste daran ist wohl unseres Martinus[2] Gedicht und mir das Liebste die Handschrift desselben. Die Gestalt der Maja ist doch recht gesucht und gemacht - ich habe überhaupt niemals Sinn für Romanheldinnen, die immer mit der Reitpeitsche herumfuchteln, gehabt; in dem Punkte war ich immer heikel. -

Heute ist metertiefer Schnee und dabei scheint es noch gar nicht zu verbleiben. Von allen "Naturstimmungen" ist die eines Frühlings, der in den Winter zurückfällt, die unpoetischste; darüber hinweg hilft keine Musik. Doch hat mir für diesen jetzigen Fall meine liebe Olga wenigstens für ein paar Wochen Sonnenblick gebracht. Gestern haben wir auch schon wieder Schach gespielt - es war aber nichts Gescheidtes - ich bekam gleich Kopfweh und werde damit wohl noch eine Zeit zu thun haben. Aber fürchten Sie keine weiteren Krankheitsberichte. -

Ich wünsche mir nur, wieder jene ruhige, abgeklärte Seelenstimmung zurückzuerobern, die mir gestattet mich der Ausübung des Komponierens hinzugeben - und das kann nur dann der Fall sein, wenn die Zukunft (wenigstens scheinbar) glatt vor mir liegt; anders geht es nicht. -

Es hat meine hohe Gebieterin doch nicht beleidigt, dass ich Ihre letzte Photographie nicht ähnlich. d. h. mich befremdend fand? Schon dass man in die Augen, die doch das Spiegelbild der Seele sind, nicht sehen kann, ist nicht günstig - es geht dadurch - (bei Ihnen besonders) viel zu viel verloren. Aber auch abgesehen hievon hat das Gesicht nicht jenen eigenthümlich unbefangenen Ausdruck, der mich auf Ihrem erstübersandten Bilde so unsäglich anmuthete; aber vielleicht ist es besser so als umgekehrt; ich werde beide Bilder in Ehren halten. -

Sie schreiben am Schluss Ihres lieben Briefes... "mir ist heut, als sollte auch ich Abschied von Ihnen nehmen..." Warum denn? Bei mir ist's ja was Anderes: Ihre so sehr geänderten Verhältnisse bedingen von meiner Seite natürlich alle Berücksichtigung; bei mir aber hat sich ja nichts geändert und ich hoffe, dass Sie Ihre "Tonart" gegen mich nicht auch ändern werden.

Und so hoffe ich, dass Ihnen diese Zeilen morgen (wie gewöhnlich) den Münchner Gruss bringen mögen, wenn nicht arge Schneeverwehungen es verhindern.

In treuer Verehrung und mit herzlichsten Grüssen
Ihr alter Freund

Jos. Rheinberger

______________

[1] meine schlimmsten «Festtage» = 17. März = Geburtstag, 19. März = Namenstag

[2] Martinus = Martin Greif