Briefentwurf[1] Josef Rheinbergers an Frau Henriette Huber, geb. Hecker


(München, im November 1901)

V(erehrte), g(nädige) F(rau)!

Gestatten Sie, dass ich Ihnen (gleich wie im vorigen Jahre) meine herzlichsten Wünsche zu Ihrem Geburtstage übersende; mögen Sie denselben im vollsten Glücke zubringen und sich des schönen Dreiklanges: Jugend, Gesundheit und Frohsinn, erfreuen. Hoffentlich haben Sie und Ihr Herr Gemahl (dem ich mich bestens empfehle) die wenigen Ferientage nach Kreuth noch gut ausnutzen können. Was meine Wenigkeit anbetrifft, so hatte ich mich in Kreuth wider Erwarten vortrefflich erholt - es hielt aber nicht nach, und so führte ich meinen früher gefassten Entschluss aus: um meine Versetzung in den Ruhestand einzugeben. Wenn man (gleich mir) 42 Jahre im Dienst joch zugebracht, hat man ein Recht, müde zu sein; und so bin ich nun frei, - zum erstenmal frei im Leben, und brauche Niemandem mehr zu gehorchen. Das ist etwas Schönes, wenn auch mit dem Verbrauch der besten geistigen Kraft erkauft. Ebenso sehe ich ein, dass meine Vereinsamung in Zukunft noch grösser sein wird, doch werde ich mich auch daran gewöhnen und umso mehr Ruhe und Sammlung zur Arbeit haben. Bevor ich diese Sie wenig interessierenden Zeilen beschliesse, erlaube ich mir in Anbetracht der Nähe des Jahreswechsels Ihnen und Ihren hochverehrten Angehörigen alles Glück zu dem kommenden Jahre 1902 zu wünschen. Und nun, v(erehrte) g(nädige) Fr(au)! leben Sie wohl und genehmigen Sie die Versicherung unveränderter Freundschaft und Verehrung

Ihr herzlich ergeb(ener)
J. Rh.

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[1] Briefentwurf = Es handelt sich um das letzte schriftliche Zeugnis Josef Rheinbergers. Der Brief wurde nicht mehr abgeschickt und verblieb im Nachlass. Heute befindet sich der Entwurf im Josef Rheinberger-Archiv in Vaduz.