Philipp Wolfrum bittet um eine Komposition.


Heidelberg, am 24.9.85

Hochverehrter Herr Professor!

Ich möchte mir hiedurch erlauben, Sie mit einer Bitte zu behelligen, an deren gütiger Erfüllung mir sehr viel liegt. Seit einigen Tagen bin ich vom Grossherzog zum akademischen Musikdirektor ernannt, obwohl der alte Boch nicht zurückgetreten ist. Das ist für mich eine Aufforderung, alles aufs Jubiläum [1] bezügliche Musikalische ohne Boch, der ja jetzt wohl zurücktreten muss, zu ordnen. Die Sitzungen der Jubiläumscommission, deren Mitglied ich schon seit 1/2 Jahr bin, haben längst begonnen und wurde da bereits der Rahmen für den musikalischen Teil fest gefügt. Danach kommen am 1. Tag ein kirchliches Stück für Orchester und Chor (ich werde in den nächsten Wochen das von mir componirte "Grosse Halleluja von Klopstock" einreichen) und das Halleluja von Händel in der Kirche zur Aufführung bringen.

Am 2. Tag - bei der rein akademischen Feier der Doctorpromotion - sollen vor der Aula auf deren Gallerie, die sehr beschränkten Raum hat, entweder ein Männerchor a capella oder ein Männerchor mit einfacher Blechmusikbegleitung die Feier verherrlichen. Für diesen Männerchor, der vom akademischen M.G.V. [2] reproducirt werden würde, möchte ich Ihre Liebenswürdigkeit, sehr verehrter Herr Professor, in Anspruch nehmen. Ich weiss, es ist eine sehr kühne Bitte; aber die Aussicht auf Erfolg bei Ihnen, der sie gegenwärtig dem Männergesang das Schönste schenkten und schenken, ist allzu verlockend für mich, als dass ich ihn nicht wagen sollte.

Möchten Sie die grosse, grosse Freundlichkeit haben, mir und meiner Kapellmeisterangelegenheit und der Universität Heidelberg einige Minuten Ihrer so kostbaren Zeit zu widmen? Die Universität, die Studenten, die ganze Männerchorwelt und ich wären Ihnen zu grösstem Danke verpflichtet. Bitte recht herzlich, Herr Professor, erfüllen sie meine und unser Aller Bitte!

Ganz von ungefähr ist mir ein Gedicht in die Hand gekommen, das noch nie componirt ist und mir für den genannten Zweck wie geeignet erscheint. Ich erlaube mir eine Abschrift beizulegen, vielleicht findet es in Ermangelung von Besserem auch Ihren Beifall! Es ist von Max Reiny und findet sich bei Maximilian Bern, Deutsche Lyrik seit Goethes Tode; Leipzig, bei Ph. Reclam.

Ich wollte in diesen Ferien bestimmt nach München kommen und mit Walters das Quintett in etwas erneuter Gestalt studiren. Nun ist meine Herreise nach Heidelberg plötzlich nothwendig geworden. Franz Wüllner möchte mich wiederholt nach Köln ziehen als Nachfolger S. de Lange (Orgel), bietet für die "Professur am Conservatorium" 3000 Mk, und stellt mir neben Concerten etc. auch die Direktion des Kölner Männergesangvereins in Aussicht (1200 Mk.). Das hat nun viele Schreibereien und Laufereien zur Folge gehabt und auch den Erfolg, dass ich Einsicht nehmen konnte von dem guten Willen des Ministeriums, mich hier zu halten.

Ich will mit Walters zwischen 12. und 22. November in Leipzig (Gewandhaus) spielen und werde es nun so machen, dass ich einige Tage vor jener Zeit in München eintreffe und probe. Vielleicht bittet Herr Walter bei Ihnen um einige empfehlende Worte an Reinecke oder einen Ihrer Leipziger Bekannten. Darf ich meine Bitte dazufügen?

Verzeihen Sie, hochverehrter Herr Professor, meine grosse Freiheit. Unter vielen Empfehlungen an Sie und die gnädige Frau Ihr dankbar ergebener Schüler

Ph. Wolfrum.

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[1] alles aufs Jubiläum = 500-Jahrfeier der Universität Heidelberg im Jahre 1886.
[2] M.G. V. = Männer-Gesang-Verein