Josef Rheinberger schwelgt in Erinnerungen und erkundet sich nach seinen Verwanten.


13. November 1885

Mein lieber David!

Nun sind es schon ein paar Monate, seit wir Abschied genommen und noch haben wir beide seit dieser Zeit nichts voneinander gehört - somit will wenigstens ich das Stillschweigen brechen und ein Lebenszeichen von mir geben.

Wir gingen damals auf ein paar Tage nach Bregenz, sodann über Lindau noch auf 8 Tage an den Starnberger See, der mir besonders sympathisch ist,- und waren (bei beständig schönem Wetter) dort sehr vergnügt. Am 17. September ging es nach München in's Musikjoch zurück. Mister Schmutzer mit Sohn war bereits da, um mich zu erwarten. Letzterer scheint fleissig und strebsam zu sein, wenigstens sind seine Lehrer mit ihm zufrieden. - Anfang November war ich nach Regensburg zu einer grossen Aufführung meines Christophorus (circa 230 Sänger) eingeladen; Ich ging hin und wurde gehörig fetiert. Die Stadt, die ich übrigens schon kannte, ist für unser einen, der gerne alterthümelt, sehr schön. Hr. Stiftsdekan Gmelch[1] liess mich bitten, ihn zu besuchen, da er krankheitshalber nicht ausgehen könne. Ich suchte ihn auf und fand ihn sehr gealtert und mit schneeweissen Haaren. Er hängt noch mit ganzer Seele an Liechtenstein und wollte mich gar nicht mehr fortlassen. Er korrespondire fleissig mit Herrn von Hausen [2] in Innsbruck, der auch eine ähnliche Sehnsucht nach Vaduz haben soll. Herr Gmelch erkundigte sich sehr nach Dir und Peter und lässt Euch aufs herzlichste grüssen.- Auch Herr Jul. Maier grüsst bestens und scheint mir neuestens ebenfalls  sehr gealtert zu sein. Prof. v. Schafhäutl ist zum erstenmal in seinem 82jährigen Leben krank (Gicht), trotzdem aber bei gutem Humor; er ist eben ein wahrer und richtiger Philosoph, von dem man lernen könnte. Wie ich der Liechtensteinischen Zeitung entnahm, seid Ihr wieder mit knapper Noth einer Rheinkalamität[3] entgangen; ist denn die Correction noch nicht genügend? - Wenn ich wieder nach Vaduz komme, möchte ich einmal ordentlich schön Wetter haben; auch gibt es immer während unserer Anwesenheit ein Begräbniss um's andere - es ist fast ominös, da doch im Jahr in Vaduz höchstens 18 Todesfälle sein werden. Herr Schmutzer sagte mir auch, dass Hr. Schrammel in Hermannstadt gestorben sei, was Ihr gewiss noch nicht wusstet; ich habe ihn zum letztenmal 1858 gesehen, als er mich in München aufsuchte. Er soll in letzter Zeit einen hohen Rang bekleidet haben.

Sage Peter und seiner Familie, der lieben Schwägerin und Hermine, Olga und Emma die herzlichsten Grüsse. Egon wird wieder tapfer in Feldkirch darauf losstudiren; ich bin begierig, welchen Lebensberuf er wählen wird.

Und nun ist die Reihe wieder an Dir zu respondiren und erwarte ich Dein "Oremus". Meine Frau grüsst bestens und somit "epistola finita."

Dein alter Bruder und Freund

Josef Rheinberger.

Monachii, die 13 Novembris

1000, 800 und 5 und 80.-

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[1] Hr. Stiftsdekan Gmelch = Anton Gmelch (1821-1905), 1861-1867 Pfarrer in Balzers (Liechtenstein), seit 1879 Stiftsdekan in Regensburg.

[2] Herrn von Hausen = vgl. S. liz. 35f.

[3] Rheinkalamität = Obwohl seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Rheinanliegerstaaten Schweiz, Qesterreich und Liechtenstein grosse Anstrengungen zur Regulierung des Rheines unternahmen, bedrohte im September 1885 ein Hochwasser das Rheintal. - Als Landestechniker war Rheinbergers Bruder Peter für Liechtenstein verantwortlich für die Korrektionsarbeiten.