Theodor Gouvy beschwert sich über die modernen Trends in der Musik und lobt Josef Rheinberger, da seine Werke frei vion modischen Trends sind.


Lothringen, 28.9.86.

Verehrter Freund!

Da Sie mich mit diesem Titel beehrt haben, so wollen wir ihn auch beibehalten. Und zwar nicht unverdienterweise, denn längst fühlte ich mich ja geistig mit Ihnen verwandt und Ihre edle Kunstanschauung, die reine Klassizität, die aus Ihren Werken spricht, hatten mich seit Jahren mit Ihnen befreundet.

Der freundliche Brief, den Sie mir mit der Hand Ihrer hochverehrten Gattin[1] geschrieben, hat mir mehr Freude gemacht, als wenn der Regent von Bayern mir einen grünen oder blauen Orden geschickt hätte. Denn Ihr Urtheil wiegt schwer und Sie gehören zu Denjenigen, nicht gar zu Zahlreichen, vor welchen man gerne den Hut abzieht. In einer Zeit, wo Parteihass, Marktschreierei, Personenkultus und andere schöne Dinge nicht übel an der Tagesordnung sind, da sind Sie sich stets treu geblieben und, den eitlen Tand verschmähend, haben Sie durch stilles und fortdauerndes Wirken und Schaffen den Namen errungen, den die musikalische Welt verehrt. Sie sind kein wandernder Virtuose, auch reisen Sie nicht herum wie der Weinhändler mit seinen Producten, Sie redigieren kein Feuilleton, um sich selbst anzupreisen; kurzum, ein berühmter Faiseur von drüben würde auch von Ihnen sagen: il n'est pas de son temps! Gott sei Dank! wenn des Künstlers Werke nur für alle Zeiten geschaffen sind!

Schliessen Sie jedoch nicht aus dem oben Gesagten, dass ich mit misanthropischem Blick die heutigen Kunstzustände betrachte. Im Gegentheil, ich fände dieselben (in Deutschland) höchst erfreulich, wenn nicht der Concertsaal von der Wagner'schen Musik so arg bedroht wäre! Berlin und Köln (wohl auch München?) geben darin böse Beispiele. Möge das Theater seinen Unfug treiben! mögen die Leute sich dort an den modernen Orchesteropern mit obligatem Geschrei erfreuen, aber den Concertsaal, diesen reinen, heren Tempel der Kunst, halte man frei von solchem Humbug. Das Concert sollte keine Opernfragmente dulden, schon deshalb, weil jede Fragmentierung an und für sich schon eine unkünstlerische That ist. Die Theatermusik ist und bleibt eine Kunst zweiten Ranges, nicht allein, well sie von zu vielem eitlen Flitter umgeben ist, die die Kunst erdrückt und erniedrigt, sondern weil in ihr die grossen und höchsten Kunstformen gar keine Anwendung finden. Die grossen deutschen Meister mögen das wohl instinctiv gefühlt haben, sonst hätten sie nicht alle, fast ohne Ausnahme, nur für Kirche und Concert geschaffen. Ein Glück für Deutschland, dass es so ist, denn gerade mittelst der Kirchen-, Concert- und Kammermusik hat sich Deutschland in der Musik die riesige Überlegenhelt über alle Nationen erobert.

Aber ich merke, dass ich Mehl zur Mühle trage, und ich erzähle Ihnen Dinge, die Sie viel besser wissen, wie ich selbst.

[…]

In freundschaftlichster Verehrung Ihr ergebener

Th. Gouvy.

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[1] mit der Hand Ihrer hochverehrten Gattin = Seiner krankheitsbedingten Schwierigkeiten beim Schreiben begegnete Rheinberger so, dass er Briefe von seiner Frau schreiben liess und selbst nur unterzeichnete.