Das "Münchener Fremdenblatt" berichtet über das Kgl. Hoftheater.


München, 07.12.1886

Die Oper in 4 Aufzügen von Jos. Rheinberger "Des Thürmers Töchterlein"[1] wurde gestern bei gut besetztem Hause neu einstudirt gegeben. Die Oper war seit dem Jahre 1873 nicht mehr aufgeführt und erfuhr damals nur wenige Wiederholungen. Daran trug nicht die Rheinberger'sche Musik und nicht der Text die Hauptschuld, sondern die Geschmacksrilchtung des Publikums. Es war die Zeit, in welcher der Enthusiasmus für das Musikdrama in vollster Blüthe stand, und was nicht von Richard Wagner stammte, war nicht beliebt. Auch gestern musste sich die Oper die Anerkennung des Publikums von Akt zu Akt erringen und während nach den ersten Aufzügen der Beifall ein geringer war, konnte nach den letzten Aufzügen ein schöner Erfolg konstatirt werden.

Die Komposition von Rheinberger ist reich an musikalisch schönen Nummern, die aber zu sehr mit einer Genauigkeit und einem ängstlichen Fleiss in der Ausarbeitung gefertigt sind, als dass sie den Hörer im Moment fortreissen zur Begeisterung. Überall finden wir in der musikalischen Illustrirung ein Eingehen auf Wort und Handlung des Textes, doch dabei geht Rheinberger seinen eigenen Weg und ist ebensoweit vom modernen Musikdrama wie von den melodiösen Opern der Italiener und Franzosen entfernt. Instrumentirung sowie die Chöre und Emsemblesätze bekunden stets die Meisterhand des berühmten Kontrapunktisten. Von einem packenden Humor in der Musik ist nichts zu finden, während der Text einige wirksame heitere Scenen aufweist.

Der Text behandelt ein Stück der Münchener Stadtchronik: Die Liebe des Goldschmied's Wildenbrandt zum Töchterlein des Stadtthürmer's während des Schwedenkrieges. Wenn auch Episoden einer Chronik für den Librettisten kein allzu dankbarer Vorwurf sind und die gewöhnliche knappe Handlung durch viel Nebensächliches erweitert werden muss, so gebührt doch dem Bearbeiter des Textes, Hrn. Stahl, alles Lob. Die Gestalten des verliebten und furchtsamen Aktuarius und seiner Base vertreten den Humor in einer bühnenwirksamen Weise und die sympathische Titelfigur sowie ihr aufgeregter Liebhaber sind fertige Bühnengestalten. Der Kompositeur wie der Textdichter fordern von den Trägern der Hauptrollen eine bedeutende Leistungsfähigkeit. Frl. Herzog war eine vorzügliche "Gertrud". Die frische, leicht sich gebende Stimme war für diese Partie wie geschaffen und bestrickte durch den herzlichen Vortrag den Hörer. Das Spiel war wie der Gesang treffend und lebhaft und nur dem Dialog fehlte oft die wünschenswerthe Natürlichkeit. Hr. Mikorey konnte als "Wildenbrande“ seine herrlichen Mittel und sein Können als Sänger um so mehr zeigen, als er gut disponirt war und mit Lust und Liebe seine Partie sang. Als Schauspieler sind seine Fortschritte nicht zu verkennen, doch war er nicht jener feurige Geselle, als welcher er im Textbuche bezeichnet ist. Hr. Siehr gab den "Wurzel" ohne jene natürliche Komik, die man erwarten muss. Die Gestalt blieb steif und die komisch wirkenden Scenen erschienen forcirt. Auch der Gesangsvortrag des stimmlich begabten Bassisten litt unter einer merklichen Härte. Eine "Cordula" voll Energie und Leben war die treffliche Darstellerin Fr. Meysenheym. Was die Dame als Sängerin bringt, ist sicher und entspricht der Intention des Kompositeurs, aber die Stimme steht mit der Schule nicht auf gleicher Höhe und der Gesang entbehrt oft des erforderlichen Klanges. Hr. Bausewein war ein wackerer "Thürmer" und Hr. Fuchs ein würdevoller Repräsentant des "Schwedenkönigs". Auch die kleinen Rollen waren gut besetzt. Die Chöre, in denen Rheinberger bedeutend ist, lösten ihre Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit des Publikums und das Orchester unter Leitung des k. Hofkapellmeisters Hrn. Levi hielt sich wie immer mustergiltig.

Nach Schluss der Vorstellung wurde auch der Kompositeur gerufen, doch erschien er nicht vor der Rampe.

Der Aufführung wohnten Prinz Leopold mit Gemahlin, Prinzessin Adalbert, Prinzessin Elvira, Prinz Alphons und Herzogin von Alencon an.

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[1] "Des Thürmers Töchterlein" = op. 70, komp. 1871/72, Uraufführung am 23.4.1873 im Kgl. Hoftheater München unter Hermann Levi.