Edmund Khym schreibt Josef Rheinberger wie begeistert er von seinen Werken ist.


Berlin, 14.1.87

Sehr geehrter Herr Professor!

Mit Gegenwärtigem beehre ich mich, Ihnen das Programm meines 200. Orgelconcerts zu übersenden und zwar mit der Bitte, dasselbe als Andenken und Erinnerung an dies merkwürdige Ereigniss aufbewahren zu wollen.

Als ich vor 2 Jahren Sie bat, mir Ihre Orgelcompositionen speciell anzuführen, hatte ich die Absicht, sie wirklich alle zu spielen und kennen zu lernen. Dass dieses Vorhaben zur Ausführung schon jetzt gekommen ist (wenn auch nicht vollständig), zeigen Ihnen die übrigen beifolgenden Programme.

Bis jetzt habe ich gespielt:

Am 30. Oct. 1884 op. 88[1]

11. Mai. 85 op. 132

6. Nov. 85 op. 65 u. 88

11. Mai. 86 op. 98

2. Nov. 86 op. 27

6. Dec. 86 op. 127.

(Wie aus den Programmen hervorgeht, ist jede Sonate vollständig gespielt).

Demnach bleiben nur noch op. 112, Fis moll, und op. 119, Es moll, übrig. Diese werde ich, so Gott will, auch noch spielen, und dann Ihre Werke zum feststehenden Repertoire machen.

Ein Urtheil über Ihre Sonaten wird schon längst abgegeben und Ihnen durchaus nichts Neues sein, trotzdem kann ich aber nicht umhin, meinem überströmenden Herzen mit einigen Worten Luft zu machen:

Hochgeehrter Herr Professor! Ihre Orgelcompositionen halte ich für das Vorzüglichste, was auf diesem Gebiete in der Neuzeit geschaffen ist; und dieses nicht allein - sie werden gleich den gothischen Domen Bestand und Dauer für unabsehbare Zeiten haben. Und warum? Weil sie nicht blos gute, schöne, wohlklingende, gediegene Arbeiten - diese Prädikate genügen nicht - sondern weil sie das Erzeugniss des absoluten Genies sind, bei denen aus jeder Zeile der göttliche Funke hervorleuchtet. Kein Machwerk - nichts Gesuchtes - nichts Krankhaftes - keine Effecthascherei; wie ein Guss steht bei natürlichem Flusse das Ganze da. Sie haben das Meisterstück fertig gebracht, die classischen Formen mit moderner Melodie, modernem Schwung und Fühlen zu verbinden, ohne sich auch nur um einen Fingerbreit von der Würde der Orgelmusik und dem wahrhaft Schönen zu entfernen. Bei Ihnen dient in Wirklichkeit der Contrapunkt nur als Mittel zur Erreichung des Zwecks. Eine solch' gewaltige Wirkung des Pedals ist mir ausser bei Bach noch nirgends vorgekommen. Ich bin in Verlegenheit, zu sagen, ob ich Ihre imponirenden polyphonen Sätze mehr bewundern soll, oder die Innigkeit und den Schmelz Ihrer Adagios! Wer die ersteren spielt, wird hingerissen von der Majestät des Instruments und fühlt tief im Innersten: ja, die Orgel ist doch die Königin der Instrumente. Der Zauber Ihrer Adagios ist aber geradezu bestrickend. Aufjauchzen möchte das Herz vor Wonne und sagen: Verweile süsser Klang! Glaubt man nicht oft Sphärenmusik, Engelsstimmen und ein in reiner Liebe geführtes Zwiegespräch seliger Geister zu vernehmen?

Glücklich würde ich mich schätzen, wenn mir einmal ein solches Werk gewidmet würde.

[…]

 

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[1] op. 88 = 3. Orgelsonate G-dur

op. 132 = 8. Qrgelsonate e-moll

op. 65 = 2. Orgelsonate (Fantasiesonate)

As-dur

op. 98 = 4. Orgelsonate a-moll

op. 27 = 1. Orgelsonate c-moll

op. 127 = 7. Orgelsonate f-moll