Hedwig von Holenstein schreibt Franziska Rheinberger über die geplante Umsetzung Nachlass ihrer Schwester (von Hedwig von Holenstein).


Sondershausen, 6.3.1889.

Liebste Fanny,

dass ich an Dich schreiben darf, noch das trauliche Du und Deinen Vornamen bei der Anrede gebrauchen, erscheint mir keck, da ich so vieles vernachlässigte, was die Freundschaft fordert. Aber grosse Menschen vergeben leichter, als kleine, und so hoffe ich, dass Du mich noch ein bischen lieb hast und mir keine andre Strafe auferlegst, als die ich mir selbst zugezogen habe in der Entbehrung Deines Verkehrs. Ja, was ist Alles über mich hinweggegangen, seit ich Dich nicht sah! Ich bin eine Greisin geworden, die äusserlich gebückt einhergeht, wie mir die Menschen sagen - aber, ich muss es mir sagen lassen, denn ich selbst fühle das Gebücktsein immer noch nicht. Gott giebt mir wunderbare Kraft und Frische In meinem 67. Jahre, allein zu stehen[1] und doch keine Einsamkeit zu fühlen.

Auch bitte ich den Allmächtigen täglich, mich noch ein paar Jahre leben zu lassen, damit Ich das vollenden kann, was nun wieder meine gute Schwester mir beim Scheiden auferlegt. Nicht nur ihren grossen, künstlerischen Nachiass habe ich zu vergeben und ein Vermögen weit über eine Million, sondern ihr grosses Grundstück hat sie dem Salomonstift hinterlassen, dem ich allein vorstehe. Ich muss nun dies älterliche Haus mit dem geliebten alten Garten verkaufen, um ein grosses Stiftsgebäude für Armenwohnungen aufzuführen, worin über 1000 Personen Obdach und christliche Führung finden sollen. Ist das nicht eine grosse, grosse Freude? - Du kannst denken, dass ich nicht leichtsinnig dies anvertraute Gut verwenden werde, sondern mir die besten Rathgeber gefahndet habe, die mir auch nur um Gottes willen helfen. Ich. fand einen der berühmtesten Juristen dazu willfährig, den ersten Baumeister Sachsens, einen Armenpfleger, der nach dem System der Olivia Hill in Leipzig alte Häuser kauft, um sie den Armen unter dem Preis zu vermiethen, ich habe einen Kaufmann als Cassirer und natürlich einen Geistlichen, der die Führung im Auge behält. Die Pläne sind wundervoll, ich baue aus meinen Mitteln die kleine Kapelle hinein. Dass ich darüber meine 7 Raben nicht vergesse, versteht sich, aber es wird Dir nun begreiflich sein, dass ich meine grosse Correspondenz beschränken muss. Bitte, gedenke trotzdem meiner zuweilen. Du bist mir theurer, als ich es mit der That beweise. […]

______________

[1] allein zu stehen = Franz von Holstein war am 22.5.1878 in Leipzig gestorben.