Nachruf von julius Josef Maier in der Allgemeinen Zeitung, verfasst von Josef Rheinberger.


München, 21.11.1889

Gestern starb dahier im 66. Lebensjahr Dr. Jul. Jos. Maier, Custos a.D. der kgl. Hof- und Staatsbibliothek. Von Hause aus Jurist, machte er in seiner Geburtsstadt Karlsruhe sein Staatsexamen mit aller Auszeichnung, aber ohne in diesem Berufe sich glücklich zu fühlen; es ging ihm eben ähnlich wie seinem vertrauten Schulfreunde Victor Scheffel.[1] Der Drang zu der von jung auf gepflegten Musik bekam die Oberhand, und Maier studierte 1848-1850 Theorie bei Moritz Hauptmann in Leipzig, wurde Lehrer des Contrapunktes am Conservatorium in München (1850-56) und kam sodann als Conservator der musikalischen Abtheilung an die Staastbibliothek. Er brachte zuerst Ordnung in diesen reichen, aber bis dahin arg vernachlässigten Zweig der grossen Anstalt, und waltete seines Amtes mit ebenso peinlicher Gewissenhaftigkeit wie unermüdlicher Gefälligkeit gegen musikalische Wissbegierde. Obschon weit mehr geborener Kritiker als Componist, beschäftigte er sich viele Jahre vorzugsweise mit den Volksliedern aller Länder und bearbeitete viele derselben für 4 gemischte Stimmen in geradezu mustergültiger Art. Sein Urtheil in musikalischen Dingen war von staunenswerther Schärfe und von ersten Autoritäten hoch geschätzt. Wer aber, wie Schreiber selbst, das Glück hatte, in jungen Jahren sein Schüler und durch Decennien seiner Freundschaft theilhaftig zu sein, wird ihm ein unvergängliches Andenken bewahren.

Jos. Rheinberger.

 

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[1] seinem vertrauten Schulfreunde Victor Scheffel = (1826-1 886), romantisierender Dichter und Verfasser des Romans "Ekkehard", hatte die Rechte studiert und sich später völlig seiner Dichtkunst gewidmet.