Otto Scbmid empfiehlt sich Rheinberger als Biograph.


Mathildenstrasse 9 II Dresden, 27.3.1891.

Hochverehrter Meister!

Beim Durchlesen des Ihrem Leben und Schaffen gewidmeten Theil des Chop'schen Werkes[1]reifte in mir der Plan, in einem eigenen Buche ein, so weit es möglich, erschöpfendes, abschliessendes Bild Ihres Entwicklungsganges wie Ihrer Thätigkeit als Componist, Dirigent und Lehrer zu geben.

Speziell in biograph. Arbeiten nicht unerfahren, glaube ich Ihnen die Versicherung geben zu können, dass ich etwas Ihres Namens Würdiges leisten kann und leisten werde. Ausser einer kleinen Broschüre über Thomas Thoschat (Leipzig, Max Hesse) und zahlreichen biogr. Skizzen für Zeitschriften habe ich freilich erst ein grösseres Werkchen geschrieben, eine bei Hünsch u. Piesler in Dresden erschienene, aber von Publikum u. Kritik ungemein günstig aufgenommene Biographie Edmund Kretschmars. Dafür aber habe ich die Genugthuung gehabt, auf sie hin von Felix Dräseke[2] mit der Bestellung eines grösseren seinem Leben u. Schaffen gewidmeten Werkchens betraut worden zu sein. - Auf Verlangen steht Ihnen sowohl die Kretschmar-Biographie (ich sende Ihnen dieselbe bereits mit, es ist vorderhand mein eigenes Exemplar, werde mir aber gestatten, Ihnen möglichst bald ein solches ganz zur Verfügung zu stellen.) als auch den 41 Seiten umfassenden 1. Theil der Dräseke-Biographie zur Verfügung! - Dass ich schon seit 7 Jahren an einem Werke über Michael Haydn arbeite, dürfte Ihnen auch die Gewähr geben, dass es mir nicht an Fleiss und Ausdauer fehlt.

Was nun die von mir beabsichtigte Arbeit anlangt, so ist zunächst mein Prinzip, die Biographie eines Lebenden muss, ohne in den Ton einer laudatio zu verf allen - von einem Hauch warmer Sympathie erfüllt sein. Ich mache gar keinen Hehl daraus, dass ich ein Verehrer des Meisters bin, dessen Biographie zu schreiben ich mir zur Aufgabe gestellt.

Ich gehe geradezu darauf aus, mit dem Meister im lebhaften Gedankenaustausch zu stehen. Ich möchte seinen Interessen, seinen Ansichten über sein eigenes Schaffen nachspüren und so den Leser einführen in die Welt des Denkens und Empfindens dessen, den ich ihnen näher führen will. Im rein biogr. Theil habe ich es bislang stets so gehalten, dass mir der betreffende Herr in kurzer Skizze, Notizen, ein eingehendes, auch kleine Einzelheiten nicht übergehendes Bild seines Lebens entwirft - vielleicht stückweise zugehen lässt - und ich bei Ausarbeitung unter Benutzung moglichst authentischen weiteren Materials aus Zeitschriften etc. entnehme. Ist ein Abschnitt fertig, sende ich denselben zur Ansicht, Commentierung, Ergänzung etc. etc.

Selbstverständlich würde es mir eine hohe Ehre sein, Sie hielten mich für würdig, Ihr Biograph zu werden und dass ich Alles daran setzen würde, etwas Ihres hohen künstlerischen Rufes werthes zu leisten, brauche ich wohl nicht besonders zu betonen.

In vorzüglichster Hochachtung und Verehrung

ergeben Otto Schmid.

 

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[1] es Chop'schen Werkes = M.Chop (Pseudonym M.Charles) "Josef Rheinberger" in: "Zeitgenössische Tondichter", 2. Band, S. 113 - 127. Leipzig 1888
[2] Felix Dräseke = (1835-1913)Komponist und Lehrer für Komposition (u.a. ein Jahr an der Kgl. Musikschule in München)