Rheinberger berichtet seiner Nichte Olga von der Ankunft in Bad Kreuth


Bad Kreuth 16.7.94

Meine liebe Olga!

Es war recht aufmerksam von Dir, mir so bald zu schreiben; ich habe auch am Samstag eine warme aber sehr schöne Fahrt hieher gehabt - wenngleich viele trübe Erinnerungen sich überall hervordrängten. Unser Schlussconcert (am Freitag) war sehr feierlich - es wurde aber 1/2 11 bis ich zum Nachtessen kam, wofür mir Donald[1] seine Vorwürfe machte. Hier in Kreuth fand ich gleich meine lieben Freunde Rintelen; morgen kommen Tile's, und so ist es schon auszuhalten; ich habe auch mein altes Zimmer bekommen. Heute war ich in der Messe - wenig Leute: ich und der König von Neapel waren die einzigen Männer. Der arme Entthronte[2] lebt hier sehr einsam und bescheiden. Morgen fange ich mit der Molkenkur an. Die Natur ist herrlich - das üppigste Grün wie im Mai.-

Grüsse mir Deine liebe Mama, Hermine und Emma, und schreibe bald wieder Deinem Onkel
Jos. Rheinberger.

______________

[1] Donald = Rheinbergers Hund.
[2] Z. 14f: Der arme Entthronte = Im Kriege 1860/61 hatte Franz II., König von Neapel, sein Reich an Italien verloren und lebte seither im Exil.