Der Oberlehrer Hinger übersendet Rheinberger einen Zustandsbericht der Vaduzer Orgel


Vaduz, 9. Oktober 1894

Hochgeehrter Herr Hofkapellmeister und Professor!

Wollen Sie gütigst entschuldigen, dass ich Sie auf einige Augenblicke mit etlichen Zeilen belästige.

Ihre Nichte, Fräulein Olga, vermeldete mir letztlich einen Gruss von Ihnen, wofür ich bestens danke, und bemerkte hierbei, dass Sie sich nach dem Zustand unserer Orgel erkundigt hätten.

Ehe ich mich hierüber des näheren ausspreche, erlaube ich mir, zuerst ein Präludium über diese Angelegenheit zu machen.

Es lag mir stets daran und ich verwendete alle mögliche Sorgfalt darauf, dass das herrliche Werk in gutem Zustande erhalten bleibe und dass es rechtzeitig wieder reguliert, ausgereinigt und gestimmt werde, was aber des leidigen Geldes wegen stets auf Schwierigkeiten stiess. Bei der Aufstellung hatte man den Plan, das Werk jährlich oder doch in kurzen Zeitzwischenräumen durch die Firma stimmen usw. zu lassen, und Hr. Steinmeyer wünschte dies selbst und riet ernstlich davon ab, Fremde darüber zu lassen. Es wäre ihr dies auch leicht möglich gewesen, da dieselbe ohnehin vertragsmässig sich verpflichtet hatte, jährlich das von ihr fast gänzlich neu erstellte Orgelwerk (42 Register) in der evangelischen Kirche zu Lindau zu stimmen; die Reise von dorten anher wäre ja nur kurz gewesen. Dieser Plan kam indes nicht zur Ausführung. Immer hatte ich meine liebe Not, dass doch das Werk wieder ordentlich gereinigt, gestimmt usw. würde. Einmal geschah dies durch den Sohn und einen Gehilfen Steinmeyers; dann 2 mal durch andere.

Bei Ausmalung der Kirche litt natürlich auch die Orgel durch arge Verstaubung usw. mehr als sonst. Nun drängte ich immer und immer auf erfindliche Reinigung und Stimmung, es wollte nicht vorwärts; Kirchenfond und Gemeinde wollten hierfür kein Geld haben. Letztlich bestürmte ich nach wiederholtenmalen den Herrn Landesverweser v. In der Maur[1], und dieser bewirkte endlich bei Sr. Durchlaucht[2], dass für diesmal die Kosten auf die fürstl. Rentenkasse übernommen wurden. Dies im Jahre des Heils 1889!

Auftrags des Herrn Landesverwesers wendete ich mich brieflich an Steinmeyer und schilderte ihm den Sachverhalt wie auch den Zustand der Orgel. In erstmaliger Antwort verlangte er, wenn ich nicht irre, M. 360, was ihm auch gewährt worden wäre. Nachher auf wiederholtes Schreiben von mir M. 650, weil er glaube, es werde vieles zu machen sein usw.

Darüber wurde H. Landesverweser unwillig und stellte mittels recommandierten Briefes die Alternative, sich binnen 8 Tagen zu erklären, ob er für M. 360 die Arbeit machen wolle oder nicht. Meinerseits wurde Steinmeyer dringend ersucht, sein schönes Werk nicht im Stiche zu lassen. Dies geschah doch. Antwort erfolgte seinerseits nicht. Das war nicht schön, besonders da Steinmeyer, hauptsächlich auch auf Grund Ihres günstigen Urteils über die Orgel, seitens des Fürsten so nobel behandelt und mit Zubesserung von 33% über den Anschlagspreis bedacht worden ist.

Nach meinem Vorschlag wandte ich mich in weiterem Auftrage an Orgelbauer F. Goll in Luzern, gab gründliche Auskunft über die Disposition und den damaligen Stand des Werkes und fragte, ob und zu welchem Preise er die Arbeit übernehmen wolle. Er sagte zu, bemerkte aber, das Pfeifenwerk müsse ausgehoben, sorgfältig gereinigt, teilweise frisch intoniert und dann gestimmt werden; ebenso seien die Windladen einer Reinigung zu unterziehen. Für diese Arbeit werde er wahrscheinlich (man könne dies sicher erst nach genommener Einsicht sagen) frcs. 350 haben müssen. Diese Forderung dünkte uns eine sehr mässige. Um diesen Betrag wurde dann die Arbeit sehr gut ausgeführt durch 2 Gehilfen; am Probetag kam Goll selbst hieher. Bereits 14 Tage erforderte diese Arbeit. Goll erklärte sich auch bereit, für die Hinkunft die Stimmung usw. der Orgel zu übernehmen. Er verlangte:

für jährliche Stimmung fr. 50.

nur alle 2 Jahre fr. 65.

nur alle 4 Jahre fr. 125.

Der Balgtreter müsste gestellt werden. Wenn in der Zwischenzeit Hilfe nötig wäre, würde er solche für je fr. 20 leisten, wenn die Arbeit bei Gelegenheit gemacht werden könnte und nicht mehr als einen halben Tag beanspruchen würde.

Alle 10 Jahre hielt er eine gründliche Reinigung, Stimmung usw., wie schon oben angedeutet, für notwendig. Diese angesetzten Preise scheinen mir sehr mässige zu sein, und es bliebe so das prachtvolle Werk stets in gutem Zustande.

Nun sind seither 5 Jahre verstrichen, und es ist seither nichts mehr geschehen. Voriges Jahr drängte ich wieder in H. Landesverweser; aber auf seine Verwendung folgte von Wien aus eine abschlägige Antwort; man will aber den Fürsten nicht immer anbetteln lassen. Und im Grunde kann ich dies auch nur billigen, da der edle Landesvater für Vaduz schon so viel gethan.

Endlich setzte ich es beim Hrn. Pfarrer durch, dass der Kirchenfond etwas leistet. Von der Gemeinde wird nicht viel zu erwarten sein, da sie in den letzten Jahren für den Bau und die Einrichtung des Armenhauses schwere Opfer zu bringen hatte.

Goll wird diesen Monat noch die teilweise Reinigung und die Stimmung der Orgel vornehmen, wofür fr.200 erforderlich sein werden.

Ich stehe im 72ten Lebensjahr und trete am 17. Februar d.J. in mein 54tes Dienstjahr, werde also meinen Dienst nicht mehr lange versehen. Da liegt es mir noch besonders am Herzen, dass die prachtvolle Orgel, welche von mir immer wie ein Augapfel gehütet wurde, auch nach meinem Rücktritt stets in gutem Stande erhalten werde. Dieser Zweck würde, nach meiner Ansicht, am sichersten durch eine jährliche Stimmung und etwa nötige Ausbesserung erreicht werden. Wie dieser Vorschlag zur Durchführung gebracht werden könnte, weiss ich noch nicht. Der nervus rerum wird das Haupthindernis sein.

Die Orgel ist sonst noch in recht gutem Zustande, und trotz der complizirten Mechanik kommen äusserst selten Defekte hierin vor.

Die Geduldsprobe, auf welche ich Sie durch meine langen Auslassungen stellte, hoffe ich entschuldigt durch das warme Interesse, das Sie für diese (auch) Ihre Orgel stets an den Tag legten; mein etwas umfangreicher Bericht bildet ein Stuck Lebensgeschichte derselben.

Mit freundlicher Begrüssung bin ich mit besonderer Hochachtung

Ihr stets ergebenster
Oberlehrer Hinger[3].

 

______________

[1] Landesverweser v. In der Maur = Kabinettsrat Karl von In der Maur (1852-1913) war von 1896 bis zu seinem Tode fürstlicher Landesverweser in Vaduz.
[2] Fürst Johann II. von Liechtenstein (1840-1929), von 1858 bis zu seinem Tode regierender Fürst. Durch seine Grosszügigkeit erhielt er den Beinamen „der Gute“. = Orgelsonate Nr. 7 in f-moll, op. 127 und Orgelsonate Nr. 9 in b-moll, op. 142.
[3]Oberlehrer Hinger = Der aus Württemberg stammende Anton Hinger (1823-1912) wirkte von 1857 bis 1895 als Ober- und Musterlehrer in Vaduz. 1903 veröffentlichte er im Band 3 des „Jahrbuchs des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein“ eine kurze Biographie Josef Rheinbergers, in die er auch eigene Erinnerungen an den Komponisten einflocht.