Der junge englische Komponist Percy Pitt (1870-1932) berichtet seinem Lehrer von seinen Arbeiten


7ten Dezember 94

Bartholomes Road London N.W.

Sehr geehrter Herr Professor!

Schon lang wollte ich Ihnen schreiben, bin aber nicht dazu gekommen, denn erstens waren es sehr schwere Sachen, die ich im Anfang meines Hierseins durchmachen musste, zweitens hatte ich an Kompositionen wenig. Die beiliegenden Klavierstücke sind auch noch bescheidene Beispiele; es ist aber in London colossal schwer, mit grösseren Arbeiten durchzudringen. Man muss eben mit etwas Kleinerem anfangen. Habe ich bis jetzt: ein Album für Violine mit Klavier-begleitung; Lieder für Solostimme, für Männerchor (2 Hefte), für 6-stimmigen gemischten Chor auch 5 Hefte; Klavierstücke. An grösseren Werken schrieb ich eine Streicher-Serenade (4 Sätze); Variationen über schottische Volksweisen für 2 Klaviere; Konzert-Etüden für Klavier; eine Konzert-Ouvertüre; eine Ballade für Männerchor und Orchester („Hohenlinden“); eine Romanze für Violine mit Orchesterbegleitung; eine 2te Ballade für Soli, gemischten Chor und Orchester („Schwerting der Sachsen-Herzog“) etc.. Meine Orchestersuite, von der 2 Sätze an der Musikschule gespielt wurden, habe ich vollständig umgearbeitet (Praeludium; Gavotte; Aria; Courante) und im vorigen Jahre, gelegentlich eines Brüsseler Preis- Ausschreibens den Ersten Preis damit errungen. Mein Klavier- Trio, ebenfalls aus Münchener Zeit, habe ich einer gründlichen Revision unterzogen, bei Hinzufügung eines neuen Schlusssatzes, und hoffe es nächstens in Paris zur Aufführung zu bringen; ich dachte erst daran, das Werk verlegen zu lassen, es besass aber in London niemand die dazu nöthige Courage.

An sonstige Beschäftigung ertheile ich Elementar-Klavier und Harmonie-Unterricht in „London Organ School“, gebe auch Privatstunden, Repetitionen an Sängern etc., sodass ich im grossen Ganzen zufrieden bin. Ich hoffe, dass Sie sich einer guten Gesundheit noch erfreuen; ich lese sehr oft über Aufführungen Ihrer Werke (neulich das 2te Orgel- Konzert) und hörte noch vor 14 Tagen Ihre Messe für Frauenstimmen[1], die im „Royal Academy of Music“ gemacht wurde. Von früheren Kollegen bekomme ich Nachricht ab und zu; Dr. Bennett, mit dem ich sehr oft zusammentreffe, hat gebeten, ich möchte ihn bei Ihnen bestens empfehlen. Herr Weidig, der mich im Sommer besuchte, erzählte mir von seiner mit Ihnen verbrachten Zeit, auch dass Sie sich meiner Orchester-Suite noch erinnerten. Es wäre mir sehr lieb, wenn ich Ihnen die Dedication der revidierten Partitur anbieten dürfte.

Zum Schluss lassen Sie sich meines aufrichtigen Dankes versichern, verehrter Herr Professor, für Ihren unvergesslichen Unterricht sowie die vielen Rathschläge und seien Sie recht herzlich gegrüsst

von Ihrem aufrichtig ergebenen
Percy Pitt.

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[1] Rheinberger schrieb 3 Messen für Frauenstimmen: A-dur für 3-stimm. Frauenchor und Orgel, op. 126, (auch für Streichquartett und Flöte, 1881), Es-dur für 3-stimm. Frauenchor und Orgel, op. 155 und g-moll für 3-stimm. Frauenchor und Orgel, op. 187 „Sincere in memoriam“ (Johannes Brahms zum Gedächtnis).