Der „Bayerische Kurier“, München vom 1. Januar 1897 berichtet über die Orgelprobe in der St. Michaels-Hofkirche am 29.12.1896:


Orgelprobe, 29.12.1896

Die am Dienstag den 29. bs. Nachmittags in der St. Michaels-Hofkirche vorgenommene Orgelprobe nahm einen äusserst schönen und für Stifter und Erbauer dieser herrlichen Orgel ehrenden Verlauf. Unter den Anwesenden hiezu besonders Geladenen bemerkten wir u. A. Exzellenz Frhr. von Perfall, zwei Stabsräthe, Hochw. Domdechant Reindl, die Herren Professoren Rheinberger, Mayer, hier, und Professor Dr. Saitt aus Köln, Herren vom Hofmarschallamt, Musikdirektor Becht, Domorganist Ziegler, Sekretär Günther von der Musikschule, viele Herren Hofgeistliche usw.. Bereits Vormittags nahmen viele Herren Einsicht von der inneren Einrichtung des Werkes und liessen sich dieselbe eingehendst näher erörtern. Nachmittags spielte die Orgel Musikdirektor Becht längere Zeit durch, benützte namentlich das volle Werk und erprobte die Verschiedenartigkeit der Klangfarben in allen Registern genauest. Professor Mayer brachte verschiedene Orgelstücke von Rheinberger äusserst wirkungsvoll zum Vortrag. Sämmtliche Herren nahmen besonders Einsicht von der wirklich kunstvollen Einrichtung des in allen seinen Theilen mit peinlicher Genauigkeit gearbeiteten Spieltisches und rühmten namentlich die ausserordentlich prächtige Wirkung des Echowerkes und die majestätische Fülle im Pleno. Herr Professor Rheinberger war von der ungemein leichten Spielart besonders überrascht und äusserte sich über die durchweg gelungene Durchführung des Werkes in allen seinen Theilen sehr anerkennend. Das Werk hat auch bei Benützung sämmtlicher Stimmen einen angenehmen, weichen, nicht grellen Ton und doch wirkt dasselbe majestätisch füllend in diesem grossen, herrlichen Gotteshause.

Der Flötenchor ist äusserst weich, der Geigenchor sehr gut streichend bei prompter Ansprache und der Prinzipalchor namentlich sehr füllend intonirt, die Stimmung sämmtlicher Register ist durchweg rein, untadelhaft. Die Zungenstimmen sind markig, gleichmässig intonirt, die anderen Register nicht verdrängend, insbesondere hat das Klarinett einen ungemein lieblichen, einschmeichelnden Ton.

[1 Seite handschriftlich, untertitelt: Disposition der Orgel in der St. Michaels-Hofkirche in Rheinbergers „Inspektionsbuch der K.Musikschule 1890-91“]

Die Orgel ist eine Stiftung des Herrn Professor Rheinberger und seiner verstorbenen edlen Gattin Franziska, deren beide Porträts auf einem in der Mitte der Orgel angebrachten Relief sehr gut getroffen sind.

Die Orgel enthält 38 klingende Register, 46 Züge, 7 pneumatische Druckknöpfe, Echowerk, Registerwerk, Crescendo und Decrescendo und erzielt mit der Manual- Octaven-Coppelung eine Stärke von 50 klingenden Stimmen. Die Anlage ist durchaus pneumatisch und funktionirt bei der Breite des Werkes von 23 Meter äusserst prompt. Das Pfeifenwerk, die Windladen und das Gebläse sind ungemein solid gearbeitet, insbesondere gewährt die Gesammt- Ansicht mit den 6 Meter hohen Zinnpfeifen, deren in der Front 140 Stück stehen, einen imposanten Anblick.

Hervorgegangen ist dieses Meisterwerk aus der Orgelbau- Anstalt M. Maerz u. Sohn in München und ist dasselbe wohl auf's Neue Beleg dafür, dass diese Firma auf der Höhe der Zeit steht und wirkliche Kunstwerke herzustellen im Stande ist.

Hier ist wohl das Dichterwort am besten angebracht:

„Das Werk muss seinen Meister loben!“

Herrn F. B. Maerz, welchem besonders von dem Stifter der Orgel gratulirt wurde, wünschen auch wir für die Zukunft gleichen Erfolg wie in diesem Werke mit vollem Rechte erzielten!

______________