Johnie Mayer delektiert sich wieder an Rheinbergers Klavierwerken und schreibt diesem entsprechend


Wien, den 21. Mai 1897

Mein lieber Freund!

Es ist wirklich ein nur zu wahres Wort, dass, je mehr man Zeit hat, desto weniger kommt man zu etwas! Und selbstschuldig sprechend, muss ich ja bekennen, dass manchen Tag nicht einmal der Einkauf eines Zündhölzelschachterl's einem guten Willen zum Briefschreiben im Wege stünde! - Genug davon, es ist schon so, und genug davon.

Wenn es also schon den äusseren Anschein hat, als käme ich nur alle 1/2 Jahre zur Erkenntniss des Besitzes eines so ausgezeichneten Freundes, so bin ich doch wenigstens in der glücklichen Lage, diese freilich lange Zwischenzeit mich vielfach mit ihm in seelischen Verkehr zu setzen, und das thue ich jetzt auch mehrmals in der Woche. Altes und Neues, Heiteres und Ernstes gesellt sich da zu mir, manche schöne Stunde grösster Erhebung verdanke ich diesen Deinen Eingebungen.

Dem Andante der romantischen Sonate, besonders von der klagenden G moll Stelle (Seite 17) an, bis zum Schlusse, ja überhaupt dem Ganzen der Sonate kann man nur höchste Bewunderung schenken; je mehr man sich darin vertieft, um so mehr dringt man in eine höhere Sphäre.

Verzeih' dem offenherzigen langjährigen Freund den folgenden Pferdefuss: Einziger, warum folgt auf ein so gross- angelegtes Stuck nicht einmal eine Sinfonie!!

Gib mir einen Nasenstüber, aber es ist ein gutgemeinter, eigentlich sehr egoistischer Seufzer! -

Die letzte Orgelsonate 4/III kann mir mein zwar sehr verschrieener Musikalienhändler noch immer nicht herschaffen. Und ist sonst was Neues erschienen? Bitte, befriedige die Neugierde Deines amico. -

Deine lieben, guten Nachrichten erbittend, bin ich stets Dein Dich liebender, verehrender Freund
Joh. Mayer.

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