Rheinberger berichtet seiner Nichte Olga über gemeinsame Bekannte in München


München d. 2.11.98

Meine liebe Olga!

Hoffentlich befindet sich Deine gute Mama wieder besser; jedenfalls bleibst Du bei ihr, so lange sie Dich braucht; meinetwegen soll sie sich keinen Kummer machen. -

Gestern (Allerheiligen) war furchtbar schlechtes Wetter, so dass ich den melancholischen Gang zum Friedhof erst heute machte. Der Frau Generalin begegnete ich vorgestern in der Ludwigstrasse; sie ging so mühsam, dass sie laut weinte, als ich sie ansprach - sie iässt Dich grüssen. - Gestern Abend war Dr. Ad. Ströll bei mir und erzählte in seiner brummligen Manier, dass er jetzt in Schwabing ein Haus für 170tausend M. gekauft habe; jetzt hat er zwei Häuser und wohnt aber in einem dritten zur Miethe! Auf die elektrische Beleuchtung habe ich verzichtet; Bezold auch - er sagt als Augenarzt, dass dieses Licht schlecht für die Augen sei!

Schnee und Kälte haben wir bisher noch nicht gehabt. Frl. Ringseis, Dr. Binder, auch Prof. Bussmeyer lassen Dich grüssen. Wie geht es Hermine? an Euch Alle im rothen Haus und im Löwen[1] herzliche Grüsse von

Deinem „schachspielverlernenden“ Onkel
Jos. Rheinberger.

 

 

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[1] im Löwen = In dem 1786 von Johann Rheinberger erbauten Gasthaus zum Löwen in Vaduz lebten Verwandte Rheinbergers.