Dankesbrief von Karl Straube an Rheinberger, der ihm seine 19. Orgelsonate, op. 193 in g-moll, zum Geschenk gemacht hatte und tritt gleichzeitig auch geschickt für die Werke seines gleichaltrigen Freundes Max Reger ein


Wesel, d. 14.XI.99

Hochgeehrter Her Professor!

Zu meiner grossen Freude erhielt ich heute eine Sendung von Ihrer Hand, die mich zum Ausdrucke meines grössten Dankes zwingt.

Der Dank ist darum nicht geringer, dass ich heute vor einer Woche die Freude und Genugthuung hatte, das schöne Werk zum ersten Male, wie ich hoffe, zu spielen. - Die gütigen Worte des Schöpfers dieser Sonate, welche dieser auf dem mir zugesandten Exemplar geschrieben hat, sind mir doch ein Zeichen, dass ich in dem kleinen Umkreise meines Könnens nicht umsonst arbeite, sondern si- cherlich zum wenigsten das Wohlwollen des grössten unserer lebenden Meister besitze. Und gerade dafür, hochverehrter Herr, möchte ich Ihnen meinen herzlichsten Dank entgegenbringen. -

Ihre 19. Sonate hat bei meinen Zuhörern einen grossen Eindruck gemacht. Besonders der erste, balladenartig wirkende Satz rief die Bewunderung des Publikums hervor. Ihm am nächsten kam in der Wirkung das Finale, während die intime Feinheit des Mittelsatzes nur einem Teil der Zuhörer aufzugehen schien. -

Mir selbst steht das Werk in allen Sätzen gleich nahe, spiele ich den einen Satz, so scheint dieser mir am bedeutendsten, spiele ich den anderen, so möchte ich diesem wieder den Vorzug geben. -

Es ist nicht zu jenen Sonaten, die VIII., IX., XII. u. XIII. z.B. zu zählen, die eine heroische Höhe oder verinnerlichte Tiefe erreichen, sondern sie reicht der Schwestersonate in A-dur die Hand zu einem entzückenden Idyll, welches allerdings im ersten Satz herbe, schwere Tone anschlägt.

Für mich persönlich ist es liebenswerte Musik, aus jedem Takte, aus jedem Akkorde spricht die verehrungsvolle Persönlichkeit des Meisters.

Verzeihen Sie, wenn ich mich über meine persönliche Stellung so ausbreite, da Ihre Güte mir jedoch ein Exemplar zudachte, darf ich wohl dem Ausdruck geben, was mich beim Anblick der Notenzeilen erfüllt. -

Aus den anliegenden Programmen werden Sie ersehen können, dass es mir in diesem Jahre wiederum vergönnt war, aus dem reichen Schatze Ihrer Orgelwerke immer neues Schönes zu heben. -

Von den gespielten Sonaten steht jene in F-moll op. 127 mir am höchsten. ein Meisterwerk in allen Sätzen. Die Stimmung der XIV. Sonate in ihrem leuchtenden Glanze liegt mir etwas ferner. Persönlich ziehe ich jenes undefinierbare Halbdunkel vor.

In zwei der Programme finden Sie den Namen Max Reger  verzeichnet. Ich weiss nicht, ob Ihnen Compositionen dieses hochbegabten Künstlers vorgelegen haben. Seine bedeutendsten Schöpfungen für Orgel sind bis jetzt m. E. die Choralfantasien. Frappant ist dabei, wie Reger als Katholik im historischen Zusammenhange intuitiv mit der Entwicklung dieser kirchlich-protestantischen Form bleibt. Formal geht er bis auf Scheidt zurück, um dann die alte Form mit neuem Inhalt zu füllen. Seine Compositionstechnik weist auf Bach, als den Urquell jeder Orgelkunst.

Dass seine Werke immer schwer sind, technisch wie geistig, gebe ich zu; ausführbar bei vertieftem Studium durchaus. Auch viele Überladungen, vieles Pathos gebe ich als Mangel zu, würde jedoch ohne Bedenken als menschliche Entschuldigung die 25 Jahre des Componisten anführen, und bei allem Zuviel finden wir auch in seinen Werken jene leidenschaftliche Glut, jenen Überschwang jugendlichen Empfindens, der bei dem jungen Bach und bei dem greisen Romantiker Dietrich Buxtehude mich immer wieder in Fesseln schlägt.

Würde es Ihr Interesse erregen, seine Werke auf diesem Gebiete kennen zu lernen, so würde es mir eine grosse Freude sein, Ihnen dieselben überreichen zu dürfen. - Um nun zum Schluss auf ein leichteres Gebiet überzugehen, vielleicht macht es Ihnen Freude zu hören, dass eine ganze Reihe junger Damen Ihr op. 153 „Das Zauberwort“ mit grosser Begeisterung einstudieren und am 23. d. M. in einer grossen geschlossenen Gesellschaft zur Aufführung bringen. Darf ich auch ferner verraten, dass die Wogen der Begeisterung über solch' entzückende Musik hoch genug gingen, um den Plan, den Meister und Schöpfer des Werkes als Ehrengast zur Aufführung einzuladen, in ernste Erwägung gezogen wurde.

Darf ich nun zum Schluss Ihnen den Ausdruck meiner grössten Verehrung und Hochachtung entgegenbringen und damit sein

Ihr ergebenster
Karl Straube.

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