Carl Grossmann berichtet Rheinberger über Aufführungen seiner Kompositionen in Berlin


Berlin W., Kirchbachstr.3, 21.2.00

Sehr verehrter Herr Professor!

Verzeihen Sie mir nur gütigst, dass ich so spät dazu komme, für Ihre liebenswürdige Zusendung zu danken. Mein Dank ist um nichts weniger herzlich dieserhalb. Sie haben mir eine grosse Freude bereitet!

Ich brachte die Sonate[1] gleich zu meiner zuverlässigsten Schülerin, und die machte sich denn auch mit richtigem Feuereifer an den „Secondo“, - und schon nach wenigen „Stunden“ hatten wir es heraus, dass es ebenfalls wieder ein prachtvolles Stück ist. Wir erbauen uns nun in jeder Stunde daran und ich freue mich auf die wärmeren Tage, wo ich die Sonate auf meiner zwar nicht sehr grossen Orgel (ca. 26 Register) von Sauer, aber ein vorzügliches Werk, werde vornehmen können. Da nehme ich dann meine junge Dame mit hinein, worauf sie sich ebenfalls sehr freut. Um mein so spätes Schreiben einigermassen aufzuklären, müssen Sie nämlich wissen, verehrter Herr Professor, dass ich furchtbar zu thun habe. Im Laufe der Zeit hat es sich nämlich herausgestellt, dass meine Aufgabe als Musiker weniger auf dem Felde der Composition, noch weniger auf dem des Virtuosenthums zu finden war, sondern dass ich mich am Besten dazu eigne, den Vermittler zu machen zwischen guter Musik und dem wohlbekannten, vielgenannten und viel verkannten Dilettanten.

Meiner Erfahrung nach ist dieser versteckte Freund für uns die Hauptsache. Denn er kauft unsere Musik. Da werden Sie mir Recht geben.

Der Musiker läuft in die Leihanstalt und wenn er den Extract herausgezogen hat, tragt er das Stück ganz ruhig wieder hin. Der Dilettant aber, den man dafür begeistern kann, der wünscht das Stück zu besitzen , und da sind wir dann schön heraus, wie sie in Berlin sagen; denn wenn unsere Musik gekauft wird, dann ist unsere Arbeit nicht vergeblich gewesen.

Nun denken Sie, was ich jetzt zu laufen, zu hören, zur Kenntnis zu nehmen habe in diesem Riesenberlin, wo, ich darf wohl sagen, täglich gegen 4 - 6 gute Conzerte gegeben werden. Alle kann ich natürlich nicht besuchen, aber zu zweien kommt's doch öfter. Mittag eine grosse Generalprobe Orchester und Abends ein Solisten Conzert. Seit ich Ihnen die letzte Mittheilung machte, ist Ihr Name nun wieder öfter zu lesen gewesen. Die a-moll Sonate[2], eins meiner Lieblingsstücke, mit der herrlichen Chromatischen Fuge spielte Irrgang, einer unserer besseren Organisten; der Toggenburg[3] wurde aufgeführt, 2 Damen sangen Lieder, ich erinnere mich noch: Frl. Rintelen und Frl. Sommerhalder (das klingt Münchnerisch, kennen Sie sie vielleicht?) und neulich spielte gar ein freundliches kleines Dämchen in ihrem Conzert „Die Jagd“[4]. Die kennen Sie wohl garnicht mehr, op. 5, ein ausgezeichnetes, frisches Stück, das meine Damen alle sehr mit Feuer bringen.

Nun ist hier noch ein Programm vom Sonntag.

Nun leben Sie von Herzen wohl, verehrter Herr Professor und behalten Sie lieb

Ihren alten, dankbaren Schüler
Carl Grossmann.

 

 

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[1] die Sonate = 19. Orgelsonate, op. 193, in g-moll.
[2]  Die a-moll Sonate = 4. Orgelsonate, op. 98, a-moll. Der Sch1us-Satz ist eine „Fuga cromatica“.
[3] der Toggenburg = „Toggenburg“ Ein Romanzenzyklus von Fanny von Hoffnaass für Soli, Chor und Pianofortebegleitung, op. 76, komp. 1874.
[4] Z. 40: „Die Jagd“ = (Impromptu) Nr. 1 aus „Drei kleine Konzertstücke für Pianoforte“ op. 5, komp. 1864.