Prinz Eduard, liechtensteinischer Gesandter in Wien, legt der Regierung seine Vorstellungen über den Aufgabenkreis der Gesandtschaft dar


Maschinenschriftliches Schreiben von Prinz Eduard an die Regierung [1]

17.5.1919, Wien

Errichtung einer fürstlich Liechtensteinschen Gesandtschaft in Wien

In der Anlage beehre ich mich die am 16. Mai I.J. hier eingelangte Note des deutschösterreichischen Staatsamtes für Äusseres vom 2. Mai I.J., Zahl I – 3329/2 [2] in Abschrift zu übermitteln, durch welche die Errichtung der fürstlichen Gesandtschaft in Wien im Prinzipe genehmigt erscheint. Seine Durchlaucht, der regierende Fürst [Johann II.] hat auf Grund der durch einen Brief Seiner Durchlaucht des Herrn Landesverwesers [Prinz Karl] anher gelangten Mitteilung, dass die massgebenden Faktoren im Fürstentume Liechtenstein mit dieser Ernennung einverstanden sein würden, [3] mich zum ausserordentlichen und bevollmächtigten Minister bei der deutschösterreichischen Regierung zu ernennen geruht [4] und wurde das Agrément für meine Person bei dieser Regierung am gestrigen Tage erbeten. [5] Nachdem die vorhergegangenen mündlichen Besprechungen die Erteilung diese Agréments mit Bestimmtheit erwarten lassen, ist eine bezügliche formelle Antwort in den allernächsten Tagen zu erwarten [6] und habe ich bereits mit der Besorgung der mir obliegenden Aufgaben begonnen.

Zunächst erscheint es nun erforderlich, den Aufgabenkreis der fürstl. Gesandtschaft genau zu fixieren. In dieser Richtung erscheint als ihre Aufgabe die, den gesamten Verkehr zwischen der fürstlichen Regierung und den deutschösterreichischen Behörden zu übernehmen mit Ausnahme etwa bezüglich jener Angelegenheiten, die wegen ihrer nur lokalen Bedeutung oder auf Grund der bestehenden Vereinbarungen direkt mit den Feldkirchner Behörden geregelt zu werden pflegen, oder die sich aus der Stellung des Innsbrucker Oberlandesgerichtes als Liechtensteinische Rekursinstanz ergeben. [7] Diese bezüglichen Begehren der fürstlichen Regierung wären daher in Hinkunft nicht mehr an die d.ö. Behörden, sondern ausschliesslich an die fürstliche Gesandtschaft zu richten.

Diese würde sich mit eigenen Noten an die in Frage kommenden Stellen wenden und dort die rasche Erledigung im gewünschten Sinne durch mündliche Vorsprache des Gesandten oder seines Stellvertreters bei den in Frage kommenden Staatssekretären oder deren Referenten unverzüglich veranlassen und im Auge behalten. Um jedoch die Gesandtschaft in die Lage zu versetzen, ihren Schritten den nötigen Nachdruck zu verleihen, ersuche ich bei der Übermittlung der diesbezüglichen Begehren, entsprechend eingehende Informationen bezw. Weisungen zu geben und hiebei nach Bedarf auch auf frühere Vorfälle, die damit im Zusammenhange stehen oder auf Präjudize aufmerksam zu machen.

Der bisher geübte Vorgang des direkten Verkehrs der fürstlichen Regierung mit den deutschösterreichischen Behörden und ganz besonders den Wiener Zentralstellen unter Übermittlung lediglich einer Abschrift an die fürstliche Gesandtschaft dürfte sich fernerhin nicht mehr empfehlen, weil er einerseits dem diplomatischen Brauch widerspricht, andererseits es oft viel schwerer ist, einem in einem grösseren Amte eingelangten Akte nachzugehen und den kompetenten Referenten zu ermitteln, als wenn man selbst mit der eigenen Note sich zu der kompetent erscheinenden höchsten Stelle begibt und etwa von dieser zum betreffenden Referenten, der für Aussenstehende, die bei den grossen Veränderungen, welche in der deutschösterreichischen Verwaltung eingetreten sind, nicht immer leicht zu finden ist, gewiesen wird.

Selbstverständlich müssten auch alle Angelegenheiten, die nicht das Interesse einzelner Personen in kommerziellen oder ähnlichen Angelegenheiten betreffen, sondern die sich aus den bestehenden und gegenwärtig den neuen Verhältnissen anzupassenden Verträgen mit der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie speziell aus den Zoll- und Steuerübereinkommen ergeben, nicht mehr im direkten Verkehr der fürstl. Regierung mit den betreffenden Staatsämtern, bezw. der Innsbrucker Finanzlandesdirektion, sondern lediglich im Wege der fürstlichen Gesandtschaft zur Behandlung kommen. Gerade in dieser Hinsicht wird aber die weitgehendste Information über die dortigen Wünsche und Bestrebungen sowie insbesondere auch über die mit der Schweiz oder Vorarlberg in dieser Richtung etwa schwebenden Verhandlungen und Besprechungen ersucht.

Daneben wird es sich auch empfehlen, die Angelegenheiten des Landes, welche verfassungsgemäss oder usuell der Vorlage an Seine Durchlaucht den regierenden Fürsten bedürfen, nicht mehr der fürstlichen Hofkanzlei zu übermitteln, sondern die Gesandtschaft, die sich in der Nähe des Fürsten befindet und mit Höchstdemselben in konstantem Kontakte steht, zur Vorlage dieser Angelegenheiten an Seine Durchlaucht zu benutzen und in derselben gewissermassen einen Exponenten der fürstlichen Regierung bei Seiner Durchlaucht zu erblicken, welcher meinem diesbezüglichen Antrage die vorläufige grundsätzliche Zustimmung bereits zu erteilen geruht hat. [8] Ich ersuche nunmehr auftragsgemäss in dieser Hinsicht um eine gef. Äusserung, ob dieser Vorgang den Wünschen des Landes entsprechen würde, in welchem Falle es Seine Durchlaucht der regierende Fürst dem Herrn Landesverweser überlässt, die in dieser Hinsicht etwa erforderlichen gesetzlichen Schritte oder sonstigen Massnahmen sofort durchzuführen. [9] Jedenfalls wird eine sofortige amtliche Verlautbarung im Lande von der Errichtung der fürstlichen Gesandtschaft in Wien und der Ernennung meiner Person zum Gesandten notwendig sein, auch wenn ihr Wirkungskreis auf die im ersten Teile behandelten Aufgaben beschränkt bleibt. Diese Verlautbarung sollte gleichzeitig mit der Publikation in der Wiener Zeitung erfolgen, aus welchem Grunde ich mir erlauben werde, die Erteilung des Agréments telegrafisch bekanntzugeben. [10]

Der Sitz der Gesandtschaft ist bis auf Weiteres im fürstlichen Palais, I. Bankgasse Nr. 9.

Was nun die Kosten dieser Gesandtschaft anbelangt, so ist Seine Durchlaucht der regierende Fürst bereit, den in dem vorzitierten Briefe des Herrn Landesverwesers ausgedrückten Wünschen des Landes folgend, die bezüglichen Kosten aus seinen Privatmitteln bis auf Weiteres zu tragen. Es erübrigt sohin über die Höhe der bezüglichen Auslagen ein Präliminare vorzulegen bezw. über die innere Organisation nähere Mitteilungen zu machen. Bemerkt wird nur, dass laut einer privaten Mitteilung des Herrn Landeshauptmannes von Wien, Leopold Steiner vom gestrigen Datum meine Entlassung aus dem österreichischen Staatsverbande bereits erfolgt ist und mir in einigen Tagen durch den Wiener Magistrat zugestellt werden wird, dass Seine Durchlaucht der regierende Fürst meiner Aufnahme in den Liechtensteinischen Staatsverband bereits zugestimmt haben, sodass meine Liechtenstein'sche Staatsbürgerschaft auf Grund der erfolgten Zusicherung der Aufnahme in den Heimatsverband der Gemeinde Vaduz als bereits erworben angesehen werden kann. [11]

Im Zusammenhange mit der Errichtung der fürstlichen Gesandtschaft in Wien möchte ich noch die Mitteilung machen, dass mir der Leiter des liquidierenden österreichischen-ungarischen Ministeriums des Äussern in Wien, Botschafter Baron [Ludwig von] Flotow heute noch nachdrücklichst die Notwendigkeit der allerraschesten Errichtung der fürstlichen Gesandtschaft in Bern betont hat. Ich werde morgen im Gegenstande mit dem, dem Fürstentume äusserst gewogenen schweizerischen Gesandten in Wien, Herrn [Charles-Daniel] Bourcart eine Unterredung haben und behalte mir vor, auf Grund des Ergebnisses dieser Unterredung und einer heute im Wege des liquidierenden Ministeriums des Äussern eingelangten Nachricht der französischen Regierung, betreffend die Zulassung von Vertretern des Fürstentumes zur Pariser Friedenskonferenz, je eher zu berichten. [12]

Ich ersuche im Interesse der möglichst raschen Betonung der Souveränität des Landes an einem im gegenwärtigen Augenblicke für die internationale Politik äusserst wichtigen Orte wie Bern um einen allerehesten Vorschlag bezüglich der für den Posten eines fürstlichen Gesandten in Bern in Frage kommenden Persönlichkeit, damit Seine Durchlaucht der regierende Fürst so rasch als möglich die bezügliche Ernennung vornehmen und der Betreffende sein Amt antreten kann.

Hinsichtlich der Kosten dieser Gesandtschaft, bezüglich welcher der Herr Landesverweser mitgeteilt hat, dass im Lande die Geneigtheit bestehe, die Kosten auf Grund des für die Besoldung des Herrn Landesverwesers bestehenden Schlüssels zu tragen, [13] hat Seine Durchlaucht der regierende Fürst bereits die Geneigtheit erklärt, diesen Schlüssel auch hier zur Anwendung zu bringen.

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[1] LI LA SF 01/1919/020. Aktenzeichen der Gesandtschaft: 3/3. Das Dokument langte am 21.5.1919 bei der Regierung ein, wo es mit zahlreichen Anstreichungen und Korrekturen versehen wurde. Auf der Rückseite des zweiten Bogens Mitteilung von Prinz Karl an die Gesandtschaft Wien vom 22.5.1919, wonach für den Posten des Gesandten in Bern "als zweiter Kandidat" (neben Emil Beck) Walter Probst "namhaft zu machen" wäre. Ein weiteres Exemplar des Schreibens unter LI LA V 003/1165.
[2] LI LA V 003/1165, Note des deutschösterreichischen Staatsamts für Äusseres an die Hofkanzlei, 2.5.1919.
[3] Nicht aufgefunden.
[4] LI LA V 003/1165, Hofkanzlei an Fürst, 16.5.1917 (Entwurf).
[5] LI LA V 003/1165, Hofkanzlei an deutschösterreichisches Staatsamt für Äusseres, 15.5.1917 (Entwurf).
[6] Tatsächlich teilte das Staatsamt für Äusseres bereits mit Schreiben vom 17.5.1919 mit, dass das Agrément erteilt worden sei (LI LA V 003/1165, Staatsamt für Äusseres an Hofkanzlei).
[7] Handschriftliche Randbemerkung, verm. von Prinz Karl: "Verkehr mit Vorarlb. Behörden unmittelbar von der Regg."
[8] Der Fürst nahm am 18.5.1919 einen Bericht von Prinz Eduard, in dem dieser den "Kompetenzkreis" der Gesandtschaft umriss, "genehmigend zur Kenntnis" (LI LA V 003/1165, Prinz Eduard an Fürst, 17.5.1919).
[9] Die Frage, wie die Kompetenzen der Gesandtschaft, der Regierung und der Hofkanzlei abgegrenzt werden sollten, verursachte noch einige Korrespondenz zwischen Prinz Eduard und Prinz Karl, vgl. insbesondere LI LA SF 01/1919/042, Prinz Eduard an Regierung, 21.6.1919; LI LA SF 01/1919/ad 42, Prinz Karl an Gesandtschaft Wien, 27.6.1919; LI LA SF 01/1919/048, Prinz Eduard an Prinz Karl, 30.6.1919; LI LA SF 01/1919/ad 48, Prinz Karl an Gesandtschaft Wien, 11.7.1919; LI LA SF 01/1919/060, Prinz Eduard an Prinz Karl, 21.7.1919. Prinz Karl legte schliesslich Anfang August dem Fürsten Entwürfe der Amtsinstruktionen für die Gesandtschaft in Wien und die Gesandtschaft in Bern vor (LI LA SF 01/1919/060, Entwürfe fürstliche Verordnungen, o.D.; LI LA SF 01/1919/ad 60, Prinz Karl an Johann II., 11.8.1919). Während die Amtsinstruktion für die Gesandtschaft Bern mit fürstlicher Verordnung vom 14.9.1919 (LGBl. 1919 Nr. 12) im Wesentlichen unverändert erlassen wurde, erhob der Fürst Einwände gegen den Entwurf der Amtsinstruktion für die Gesandtschaft Wien. Vgl. dazu LI LA V 003/1167, Prinz Eduard an Johann II., 29.9.1919.
[10] Prinz Eduard teilte der Regierung am 21.5.1919 mit, dass das Agrément erteilt wurde (LI LA SF 01/1919/023, Telegramm Gesandtschaft an Regierung). Gleichzeitig teilte er dem Pressebüro der tschechoslowakischen Gesandtschaft in Wien und dem K.k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau in Wien eine kurze Notiz betreffend die Eröffnung der Gesandtschaft mit (LI LA V 003/1165, Aktennotiz Prinz Eduard, 21.5.1919). Prinz Karl informierte die Öffentlichkeit mit Kundmachung vom 22.5.1919 (LI LA SF 01/1919/023; erschienen in L.Vo., Nr. 41, 24.5.1919, S. 4; O.N., Nr. 37, 24.5.1919, S. 4).
[11] Zur Einbürgerung von Prinz Eduard und seiner Familie in Vaduz vgl. LI LA SF 01/1919/017, Hofkanzlei an Regierung, 26.4.1919.
[12] LI LA RE 1919/0589, Prinz Eduard an Regierung, 19.5.1919.
[13] Das Gehalt des Landesverwesers wurde von Fall zu Fall durch den Fürsten festgelegt. Das Land leistete einen festen Beitrag, der 1800 Gulden bzw. 3600 Kronen betrug (Gesetz vom 18.12.1888 betreffend die Regulierung der Bezüge der Staatsangestellten, LGBl. 1888 Nr. 3; Gesetz vom 14.2.1916 betreffend die Rechtsverhältnisse der Beamten, Diener und Landweibel, LGBl. 1916 Nr. 7).