Prinz Eduard wünscht Aufklärung über die Volksparteiversammlung vom 9.5.1920 in Vaduz


Maschinenschriftliches Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien, gez. Prinz Eduard, an Regierungssekretär Josef Ospelt („vertraulich" und „persönlich") [1]

11.5.1920, Wien

Gestern abends langte folgendes Telegramm ein: „Liechtensteinische Gesandtschaft, Wien. Zur Kenntnis mehr 1- 1000 Mann Ober und Unterländer protestierten gestern gegen die Berufung irgend eines Ausländers an die Regierung. Nur eine Regierung aus Landesbürgern wird anerkannt und nicht Dr. [Josef] Peer. Bitte dies Landesfürst [Johann II.] vorbehaltlos zur Kenntnis zu bringen. Dr. [Wilhelm] Beck." 

Ich ersuche zunächst den genauen Wortlaut des Telegrammes [2] bei dem Aufgabepostamt in Vaduz, jedoch ohne Wissen Dr. Becks, festzustellen; der Eingang dürfte verstümmelt sein und ist der Wortlaut zur Beurteilung des Tones wünschenswert. Weiters bitte ich, soferne nicht schon mit dem dort heute abgehenden Kurier ein schriftlicher Bericht abgegangen ist, um drahtliche Aufklärung über den Sachverhalt; wo fand die Versammlung statt, ist die Zahl von 1000 Mann tatsächlich richtig und waren dies lauter Wähler? Bei diesem Anlasse wolle auch berichtet werden, wie viele Wahlberechtigte überhaupt bestehen da diesbezüglich hier verschiedene Ziffern angegeben [3] werden.

Weiters bitte ich um einen genauen schriftlichen Bericht mit dem nächsten Kurier über Ihre Auffassung der Situation. [4] Dr. Peer hat seinen Urlaub für den 1. Juni bereits bewilligt und soll sein Ernennungsdekret dieser Tage anlässlich der Durchreise des Prinzen Karl erhalten. Was ist seitens der Volkspartei gegen ihn zu erwarten, wenn er tatsächlich das Amt antritt und was für ein Schutz wird ihm seitens der ihm freundlich gesinnten Bürgerschaft zuteil werden können? Diese Fragen müssen in ernste Erwägung gezogen werden, wenn ich auch persönlich, ebenso wie Dr. Peer selbst, noch immer glaube, dass die tatsächliche Ernennung schliesslich hingenommen werden wird. [5] Während aber früher nach dem Zollvertrage mit Österreich doch immerhin gewisse Organe zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung der Regierung zu Gebote standen, fehlen diese heute gänzlich. Ich bitte Sie um eine vertrauliche Mitteilung, in welcher Art die fürstl. Regierung [6] sich ev. notwendig werdende Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung vorstellt und was für Schritte diesbezüglich dortseits in Aussicht genommen sind. Jedenfalls scheint es mir geboten, sich darüber genau schlüssig zu werden, wie man Peers Position im Lande sichert.

Ich benütze diesen Anlass, um neuerlich die Bitte zu stellen, über ähnliche bedeutende Vorkommnisse, wie nach dem Telegramm Becks zu schliessen, die letzte Versammlung eines vorstellte, sofort telegrafisch anher zu berichten. [7]

Nachtrag:

Anlässlich der Vorlage des vorstehenden Schreibens an Seine Durchlaucht den Fürsten machte dieser davon Mitteilung, nachfolgendes Telegramm ebenfalls gestern abends erhalten zu haben:

„Eine gut 1000 Bürger aus Ober- und Unterland starke Volksversammlung am 9. Mai in Vaduz erklärte sich einverstanden mit unseren Entschliessungen von Triesen, Vaduz, Triesenberg und Balzers [8] und protestiert ebenfalls gegen die Besetzung (2 Worte verstümmelt) [9] durch einen Ausländer. Eine Regierung aus Bürger[n] wird gewünscht und nur einer solchen Regierung können wir Vertrauen entgegenbringen. Ergebenster [Anton] Walser-Kirchthaler, Obmann der Volkspartei." 

Auch hier wäre der Wortlaut festzustellen [10] und überhaupt zu konstatieren, aus welchem Grunde die in Vaduz aufgegebenen Telegramme fast immer verstümmelt ankommen. Aus dem Telegramm ergibt sich, dass die Abweisung des ersten Protestes der Volkspartei und der Hinweis auf den verfassungsmässigen Petitionsweg in keiner Weise Beachtung gefunden hat. [11] Es dürfte dies wohl darauf zurückzuführen sein, dass die Kundmachung [12] nur im Inseratenteil erfolgte und meines Wissens nicht einmal im Volksblatt entsprechend beleuchtet oder betont wurde. Es scheint mir doch opportun und der Würde des Landesherrn entsprechender, wenn derartige Kundmachungen Höchstdesselben in einer würdigeren Form in der Zeitung publiziert werden, als in der, sonst in Liechtenstein allerdings usuellen Form einer Kundmachung im Inseratenteil.

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[1] LI LA V 003/1192 (Aktenzeichen 383/2). Im Gefolge der Grossveranstaltung der Christlich-sozialen Volkspartei vom 9.5.1920 in Vaduz waren von Parteiobmann Anton Walser-Kirchthaler bzw. Wilhelm Beck 3 Telegramme nach Wien gesandt worden – an Fürst Johann II., an die liechtensteinische Gesandtschaft und an Josef Peer (Abschriften der Telegramme vom 10.5.1920 in LI LA V 003/1229). Zur Berichterstattung über die - gegen die etwaige Bestellung des österreichischen Juristen Josef Peer zum liechtensteinischen Landesverweser gerichtete - Veranstaltung siehe O.N., Nr. 38, 12.5.1920, S. 1-2 („Die grosse Volks-Demonstration vom 9. Mai 1920 in Vaduz, ein historischer Tag") und L.Vo., Nr. 38, 12.5.1920, S. 2 („Die Maidemonstration der Volkspartei").
[2] Vgl. die Telegrammabschrift in LI LA V 003/1229. Dieser zufolge lautete das Telegramm von Wilhelm Beck an die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien wie folgt: „Zur Kenntnis. Mehr als 1000 Mann Ober- und Unterländer protestierten gestern gegen die Berufung irgend eines Ausländers an die Regierung. Nur eine Regierung aus Landesbürgern wird anerkannt und nicht Dr. Peer. Bitte dies Landesfürst vorbehaltlos zur Kenntnis zu bringen."
[3] Das Wort „bekannt" ist durchgestrichen und handschriftlich durch das Wort „angegeben" ersetzt.
[4] Vgl. den Bericht von Regierungssekretär Josef Ospelt an Prinz Eduard bzw. die liechtensteinische Gesandtschaft in Wien vom 11.5.1920 (LI LA V 003/1193 (Aktenzeichen 393/1)).
[5] Mit Bleistift durchgestrichen: „wenn ich auch persönlich, ebenso wie Dr. Peer selbst, noch immer glaube dass die tatsächliche Ernennung schliesslich hingenommen wird." Handschriftlich hinzugefügt: „Berufung Peers". Ferner unleserliche Randbemerkung.
[6] Durchgestrichen: "und der Landtag".
[7] An den Rand dieses Absatzes wurde mit Bleistift ein Fragezeichen gesetzt.
[8] Vgl. die Triesner Protestresolution der Anhänger der Christlich-sozialen Volkspartei vom 18.4.1920 (LI LA SF 01/1920/072) sowie die Entschliessung der in Vaduz, Triesenberg und Balzers versammelten Parteigänger vom 25.4.1920 (LI LA SF 01/1920/072).
[9] Die verstümmelten Worte im betreffenden Telegramm lauteten: „der Regierung". Vgl. die Abschrift des Telegrammes von Anton Walser-Kirchthaler an Fürst Johann II. vom 10.5.1920 in LI LA V 003/1229. Vgl. ferner die Telegrammabschrift in LI LA SF 01/1920/082.
[10] Vgl. das „streng vertrauliche" Auskunftsersuchen des "Landesverwesers" an das Postamt in Vaduz vom 14.5.1920 (LI LA SF 01/1920/084).
[11] Fürst Johann II. hatte die Eingaben der Volkspartei in der Peerfrage unter Bezugnahme auf § 27 der Verfassung vom 26.9.1862 als verfassungswidrig abgelehnt und auf die Möglichkeit einer Petition im Sinne der §§ 20 und 42 der Verfassung hingewiesen (Schreiben der liechtensteinischen Gesandtschaft in Wien an Landesverweser Prinz Karl vom 27.4.1920 (LI LA SF 01/1920/074)).
[12] Vgl. O.N., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 („Kundmachung") und L.Vo., Nr. 35, 1.5.1920, S. 4 („Kundmachung").