Polizeirat Gaston Hausmann-Stetten und Landesverweser Prinz Karl vereinbaren die Ausweitung des kleinen Grenzverkehrs zwischen Vorarlberg und Liechtenstein


Maschinenschriftliche Vereinbarung mit handschriftlichen Ergänzungen und Korrekturen, nicht gez. [1]

o.D. (12.4.1920), o.O. (Schaan)

Betreff: Regelung des kleinen Grenzverkehrs zwischen dem Fürstenthum Liechtenstein und Vorarlberg

Zwischen der fürstlichen Liechtensteinischen Regierung, vertreten durch S.D. Prinzen Karl [von] Liechtenstein, und der Vorarlbergischen Landesregierung, vertreten durch Polizeirat Gaston Haussman-Stetten [Hausmann-Stetten] in Feldkirch, wurde heute zur [2] Regelung des kleinen Grenzverkehrs zwischen dem Fürstenthum Liechtenstein und Vorarlberg folgendes Übereinkommen abgeschlossen: [3]

1. Zum gegenseitigen kleinen Grenzverkehr sind beiderseits alle Personen zugelassen, welche in einer der nachfolgenden Gemeinden ihren ständigen Wohnsitz [4] haben.

A. Liechtensteinischerseits: Alle Gemeinden des Fürstenthums. [5]

B. Vorarlbergischerseits die Gemeinden: 

Feldkirch, Altenstadt, Tisis, Tosters, Frastanz, Nenzing, Thüringen, Ludesch, Bludesch, Thüringerberg, Satteins, Röns, Düns, Schlins, Schnifis, Dünserberg, Göfis, Übersaxen, Rankweil, Meinigen, Laterns, Zwischenwasser, Sulz, Röthis, Weiler, Klaus, Koblach, Victorsberg, Fraxern, Götzis, Altach und Mäder. [6]

2. Der kleine Grenzverkehr erfolgt auf Grund eines ordnungsmässigen giltigen Reisepasses und zwar ausschliesslich über nachfolgende Übergangsstellen: [7]

Bahn Feldkirch – Buchs
Reichsstrasse Tisis – Schaanwald
Strasse Hub – Mauren
Strasse Fresch – Schellenberg und
Strasse Nofels – Ruggell.

Im kleinen Grenzverkehr bedürfen die Reisepässe beiderseits keines weiteren Visums.

3. Im kleinen Grenzverkehr muss Ein- und Ausreise am selben Tage erfolgen. Zuwiderhandelnde werden nach den bestehenden Vorschriften bestraft. [8]

4. Erfolgt die Ein- und Ausreise nicht am selben Tag, so treten die Vorschriften des Fernverkehrs auch für die Bewohner der Nahverkehrszone in Kraft, d.h. in diesem Falle darf der Grenzübertritt nur mit der Bahn Feldkirch – Buchs oder auf der Reichsstrasse Tisis – Schaanwald erfolgen und ist vorher das Passvisum der Fürstlich Liechtensteinschen Regierung bezw. der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch einzuholen.

5. In besonders dringenden Ausnahmsfällen kann im kleinen Grenzverkehr der Grenzübertritt auf Grund eines von der fürstlichen Liechtensteinischen Regierung oder von der Grenzkontrollstelle Feldkirch ausgestellten Passierscheines (nach vorliegendem Muster) erfolgen [9].

Ebenso bedürfen alle diejenigen Personen eines solchen Passierscheines, welche aus beruflichen Gründen (Holzarbeiten, Bebauung der Grundstücke oder dgl.) die Grenze abseits der unter Punkt 2 aufgezählten Übergangsstellen passieren müssen, oder hart an der Grenze zu arbeiten haben.

6. Beide Theile behalten sich das Recht vor, in konkreten Fällen (insbesondere bei Übertretung der Grenzverkehrsvorschriften, oder bei Schmuggel) einzelne Personen dauernd oder zeitweise vom Grenzübertritt auszuschliessen.

Eine solche Verfügung muss der Partei aber bekannt gegeben werden und unterliegt dem Instanzenzuge.

7. Durch diese Vereinbarung werden die [10] Vorschriften, welche den Aufenthalt im Fürstenthum Liechtenstein bezw. im Lande Vorarlberg an eine besondere Aufenthaltsbewilligung der Fürstlich Liechtensteinschen bezw. der Vorarlberger Landesregierung knüpfen, nicht berührt. [11]

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[1] LI LA RE 1920/1506. Stenographische Notiz. - Gemäss der im Gasthaus "Post" in Schaan von Schriftführer Ferdinand Nigg aufgenommenen Niederschrift war wegen Regelung des kleinen Grenzverkehrs auf den Nachmittag des 12.4.1920 eine Zusammenkunft zwischen Landesverweser Prinz Karl und dem Vorarlberger Polizeirat Gaston Hausmann-Stetten angesetzt worden. Dem Ergebnis der Besprechungen wurde beiderseits zugestimmt (LI LA RE 1920/1725 ad 1506). Das mit 15.4.1920 von Landesverweser Prinz Karl gezeichnete "Übereinkommen" wurde in den liechtensteinischen Landeszeitungen kundgemacht und trat sofort in Kraft (L.Vo., Nr. 31, 17.4.1920, S. 4; O.N., Nr. 31, 17.4.1920, S. 4). Die Vereinbarung wurde nicht im liechtensteinischen Landesgesetzblatt publiziert. Vgl. auch die Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 24.4.1920, prs. Zl. 315, betreffend die Änderung der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 15.10.1919, LGBl. Nr. 93, über die Regelung des Verkehres an der Vorarlberger-Schweizerischen bezw. Liechtensteinischen Grenze, Vorarlberger Landesgesetzblatt 1920 Nr. 40.
[2] Durchgestrichen: "(endgültigen)".
[3] Anlass für die Verhandlungen zwischen Vorarlberg und Liechtenstein war die Eingabe der Gemeindevorstehungen von Balzers, Triesen und Triesenberg an die Vorarlberger Landesregierung vom 3.3.1920, worin diese ersuchten, wieder ohne Visumzwang zum kleinen Grenzverkehr mit Vorarlberg zugelassen zu werden. Im Auftrag der Vorarlberger Landesregierung schlug daraufhin Polizeirat Gaston Hausmann-Stetten der liechtensteinischen Regierung am 29.3.1920 die Aufnahme von Verhandlungen über den kleinen Grenzverkehr vor (LI LA RE 1920/1506 (Aktenzeichen Z. 116/10); vgl. ferner das Schreiben der Gemeindevorstehung von Balzers an die liechtensteinische Regierung vom 2.4.1920 (LI LA RE 1920/1595 ad 1506).
[4] Zur Einbeziehung von "Reichsdeutschen" in den kleinen Grenzverkehr zwischen Liechtenstein und Vorarlberg sowie zur Interpretation des Begriffes "ständiger Wohnsitz" vgl. das Schreiben der liechtensteinischen Regierung an das Polizeikommissariat Feldkirch vom 15.11.1920 (LI LA RE 1920/5022 ad 1506).
[5] Vgl. § 4 Abs. 2 der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 15.10.1919, prs. Z. 568, betreffend die Regelung des Verkehres an der Vorarlberger-Schweizerischen bezw. Liechtensteinischen Grenze, Vorarlberger Landesgesetzblatt 1919 Nr. 93, wonach die Bewohner von Balzers, Triesen und Triesenberg als Fernreisende galten, welche gemäss § 2 Abs. 2 über einen Auslandspass mit einem von der Polizeiabteilung der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch ausgestellten Sichtvermerk verfügen mussten (vgl. LI LA RE 1919/5355 ad 1716).
[6] Handschriftliche Ergänzung: "Bludenz – Hohenems". - Vgl. Bst. c Z. 2 der Kundmachung der liechtensteinischen Regierung vom 23.8.1919, der die Vorarlberger Zone des kleinen Grenzverkehrs wie folgt festlegte (L.Vo., Nr. 69, 30.8.1919, S. 4): Die Ortschaften Koblach, Klaus, Weiler, Röthis, Buchebrunnen, Muntlix, Batschuns, Wies, Dünserberg, Düns, Schnifis Schlins, Bludesch, Nenzing, Bürserberg, Brand und Lünersee sowie die näher als diese zur Grenze gelegenen Orte. Vgl. auch § 5 Bst. a der Verordnung der liechtensteinischen Regierung vom 23.10.1919 betreffend Erlassung von Vorschriften über die Einreise nach Liechtenstein, LGBl. 1919 Nr. 14, welches hinsichtlich des kleinen Grenzverkehrs mit Vorarlberg die Ortschaften Altenstadt, Feldkirch, Frastanz, Göfis, Rankweil, Sulz, Tisis und Toster sowie die näher als diese gelegenen Orte nannte.
[7] Vgl. § 4 Abs. 1 der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung vom 15.10.1919, der ausserdem Bangs als Übergangspunkt festlegte.
[8] Gemäss § 9 der liechtensteinischen Verordnung vom 23.10.1919 wurden Übertretungen mit Geldstrafe bis zu 80 Kronen oder Haft bis zu zehn Tagen geahndet. Vgl. die höheren Strafsätze in § 6 der Vorarlberger Verordnung vom 15.10.1919.
[9] Siehe das Passierscheinformular der Grenzpolizei Feldkirch in der Akte LI LA RE 1920/1506.
[10] Durchgestrichen: "besonderen".
[11] Zu den liechtensteinischen Verhandlungen mit Österreich wegen Aufhebung des Visumzwanges vgl. die Akte LI LA RE 1922/2295. Vgl. ferner die Kundmachung der liechtensteinischen Regierung betreffend den kleinen Grenzverkehr mit Vorarlberg vom 1.1.1924 in: L.Vo., Nr. 1, 3.1.1924, S. 4; O.N., Nr. 1, 3.1.1924, S. 4.