Liechtenstein protestiert gegen ein von Österreich erlassenes Verbot, Pferde aus Liechtenstein in die Schweiz auszuführen


Schreiben des Vollzugsausschusses, gez. Martin Ritter, an die Finanzbezirksdirektion für Vorarlberg und Liechtenstein in Feldkirch (maschinenschriftliche Abschrift) [1]

6.12.1918

z.Z. 19383

Unter Bezugnahme auf die dortige Zuschrift vom 30. November 1918 Z. 19383 betreffend Ausfuhr von Pferden aus Liechtenstein nach der Schweiz [2] beehrt sich die liechtensteinische Regierung nachstehend ihren Standpunkt bekannt zu geben:

Gemäss Art. 2 des zwischen Liechtenstein und Österreich-Ungarn laut R.G.Bl. vom 3. Dezember 1876 Nr. 73 abgeschlossenen Zoll- und Steuervertrages, [3] dessen Giltigkeit mit Rücksicht auf den inzwischen eingetretenen Wegfall des einen Kontrahenten zum mindesten zweifelhaft geworden ist, wird allerdings bestimmt, "dass die einschlägigen österreichischen Gesetze sowie neue Gesetze dieser Art, wie bisher auch weiterhin im Fürstentume Liechtenstein gehandhabt werden."

Das österreichische Zolltarifgesetz vom 13. Februar 1906 Nr. 20 R.G.Bl. hatte nun allerdings entsprechend obiger Vertragsbestimmung auch für das Fürstentum Liechtenstein Geltung und sind die in Liechtenstein bestehenden gemeinsamen Zollämter berechtigt, für einzuführende Pferde die im Zolltarif vorgesehenen Zölle zu erheben. Keine Geltung aber hat für das Fürstentum Liechtenstein das österreichische Gesetz vom 30. Dezember 1907 Nr. 278 R.G.Bl., [4] weil in demselben lediglich die wechselseitigen Handels- und Verkehrsbeziehungen zwischen den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der heiligen ungarischen Krone vorgesehen wird. Noch viel weniger kann die Verordnung des Ministeriums des Innern, des Handels und des Ackerbaues vom 25. Juli 1914 Nr. 169 R.G.Bl. [5] für das Fürstentum Liechtenstein irgend eine Geltung beanspruchen, da einerseits im Art. 2 des vorerwähnten Zoll- und Steuervertrages von dergleichen Verordnungen, welche auf das gemeinsame Zollgebiet Geltung haben sollten, gar keine Rede ist, sondern lediglich von Gesetzen, und anderseits es als durchaus unangängig bezeichnet werden muss, mittels einer derartigen Verordnung in die dem Fürstentum Liechtenstein als souveränem Staate zustehenden Rechte einzugreifen. Verordnungen, welche eine Schmälerung der Souveränitätsrechte des Fürstentums Liechtenstein beinhalten, können selbstverständlich nur mit dessen Einwilligung nach vorhergegangener Fühlungnahme erlassen werden. Bis vor dem Kriege ist es auch keiner österreichischen Finanzbehörde jemals eingefallen, sich auf den Standpunkt zu stellen, dass ihr im Sinne des bestehenden Vertrages ein Ausfuhrverbot für Vieh, Pferde oder überhaupt für hiesige Landesprodukte zustehe. Ob von Liechtenstein Pferde, Vieh und sonstige Produkte und in welcher Menge ausgeführt werden, geht zufolge der bestehenden Verträge die österreichische Finanzbehörde nur insoferne etwas an, als sie vertragsgemäss berechtiget sein sollte, die entsprechenden Ausfuhrszölle zu erheben. Ausfuhrsverbote für Liechtenstein zu erlassen, sind und waren die österreichischen Behörden einseitig niemals berechtiget gewesen und muss gegen einen derartigen Eingriff in die Souveränitätsrechte des Fürstentums Liechtenstein nachdrücklichst Protest erhoben werden. Die fürstlich liechtensteinische Regierung steht daher in Wahrung der ihr anvertrauten Souveränitätsrechte auf dem Standpunkte, dass sie sich einem derartigen Ausfuhrverbote auf das Entschiedenste widersetzen muss und hat dieselbe auch entsprechend diesem Standpunkte die Ausfuhr von Pferden über Anfrage ausfuhrwilliger Pferdebesitzer als unbedingt statthaft und an keine Einwilligung der österreichischen Finanzbehörden gebunden erklärt.

Nebenbei sei noch bemerkt, dass infolge Abbau des Krieges die Gründe, welche zur obigen Verordnung vom 25. Juli 1914 Nr. 169 R.G.Bl. geführt haben, vollkommen weggefallen sind, daher die Pferdeausfuhr aus Liechtenstein für die deutsch-österreichische Republik vollkommen unerheblich geworden und sohin auch deshalb nicht einzusehen ist, warum diese Forderung, die für Liechtenstein wie gesagt niemals Geltung erlangen konnte, aufrecht erhalten bleiben sollte.

Die fürstlich liechtensteinische Regierung stellt daher behufs Aufrechterhaltung der freundnachbarlichen Beziehungen und Vermeidung von unliebsamen Komplikationen das Ersuchen, die hierlands befindlichen Finanzorgane allerehestens anzuweisen, die Pferdeausfuhr sowie die vertragsmässig nicht ausdrücklich ausgenommene Ausfuhr überhaupt aus Liechtenstein nicht zu behindern. [6]

______________

[1] LI LA RE 1918/5162 ad 2. Ebd. ein Entwurf. Am Schluss des Schreibens handschriftlicher Vermerk: Sektionschef Josef von Mühlvenzl, Fin. Min.
[2] LI LA RE 1918/5162 ad 2/5068, Finanzbezirksdirektion an Vollzugsausschuss, 30.11.1918. In diesem Schreiben erklärte die Finanzbezirksdirektion, die Ausfuhr von Pferden aus Liechtenstein in die Schweiz sei "im Grunde der bestehenden Gesetze und Verordnungen nicht gestattet". Allenfalls könnten fallweise Ausnahmebewilligungen erteilt werden.
[3] "Vertrag zwischen Seiner Majestät dem Kaiser von Österreich und apostolischen Könige von Ungarn und Seiner Durchlaucht dem souverainen Fürsten von Liechtenstein über die Fortsetzung des durch den Vertrag vom 5. Juni 1852 gegründeten Österreichisch-Liechtenstein'schen Zoll- und Steuervereines" vom 2.12.1876 (LGBl. 1876 Nr. 3; öst. RGBl. 1876 Nr. 143 vom 23.12.1876) .
[4] Gesetz vom 30.12.1907, womit der Vertrag betreffen die Regelung der wechselseitigen Handels- und Verkehrsbeziehungen zwischen den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern und den Ländern der heiligen ungarischen Krone, das Übereinkommen über die Vermeidung von Doppelbesteuerungen sowie über einige andere Angelegenheiten der direkten Besteuerung und das Additional-Übereinkommen zu dem Übereinkommen in Betreff der Beitragsleistung der Länder der heiligen ungarischen Krone zu den Lasten der allgemeinen Staatsschuld genehmigt und in Kraft gesetzt werden, öst. RGBl. 1907 Nr. 278.
[5] Verordnung der Ministerien des Innern, der Finanzen, des Handels und des Ackerbaues vom 25.7.1914, mit welcher die Aus- und Durchfuhr mehrerer Artikel verboten wird, öst. RGBl. 1914 Nr. 169.
[6] Diese Forderung hatte Liechtenstein zuvor bereits beim deutsch-österreichische Staatsamt der Finanzen erhoben (LI LA RE 1918/5068 ad 2, Vollzugsausschuss an Staatsamt der Finanzen, 25.11.1918). Dieses übertrug schliesslich  die Ermächtigung für Pferdeexporte der Regierung (LI LA RE 1918/5393 ad 2/5068, Telegramm Staatsamt der Finanzen an Finanzbezirksdirektion, 18.12.1918).