Beschleunigung des Verfahrens in Übertretungsfällen (Tabularverfahren)


[Fürstliche Verordnung betr. die Beschleunigung des Verfahrens in geringen Übertretungsfällen (Tabularverfahren)][1]

vom 7. November 1859

Wir Johann, von Gottes Gnaden souverainer Fürst und Regierer des Hauses von und zu Liechtenstein, Herzog zu Troppau und Jägerndorf, Grosskreuz und Ehrenbailli des souverainen Johanniter-Ordens etc. etc.

Zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens in geringeren Uebertretungs­fällen verordnen Wir in Anschluss an die österreichische Gesetzgebung wie folgt:

§ 1

Das Verfahren in allen zur politischen Amtshandlung gehörigen sowie in den nachbe­nannten im recipirten österreichischen Strafgesetze vom Jahre 1852 bezeichneten Ueber­tretungsfällen, ist von dem Regierungs-Amte mit dem 1. Jänner 1860 angefangen münd­lich in der Art zu pflegen, dass nur die wesentlichen Punkte der Verhandlung in ein, nach dem beigeschlossenen Formulare zu führendes Strafregister eingetragen werden.

Die Uebertretungen zweiter Kategorie sind folgende:

1)  Absichtliche Verschweigung der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft von Seite des Vorstehers derselben (§ 299).

2)  Vorschubleistung in Beziehung auf die hier aufgeführten Uebertretungen (§ 307).

3)  Verletzung von Patenten und Verordnungen (§ 315).

4)  Beschädigung der öffentlichen Beleuchtungsanstalten (§ 317).

5)  Beschädigung von Brücken, Schleussen, Dämmen etc. sowie der im § 85 lit. c des Strafgesetzes erwähnten Gegenstände (§ 318).

6)  Beschädigung aufgestellter Warnungszeichen (§ 319).

7)  Nebst den Uebertretungen der Meldungsvorschriften (§ 320, lit. a bis d); auch noch die übrigen im § 320 lit. e, f und g bezeichneten Uebertretungen.

8)  Aufnahme von Gesellen ohne Wanderbuch (Kundschaft) von Seite der Gewerbs­leute (§ 321).

9)  Rückkehr eines Verwiesenen oder eines aus dem Fürstenthume oder einem Orte des­selben Abgeschafften (§§ 323 und 324).

10) Unbefugtes Halten eines Press- oder Stosswerkes oder einer Winkelpresse, unbe­fugte Verfertigung solcher Werke, unbefugte Verfertigung oder Gebrauch von Punzen, Stempeln oder Modellen zu Nachbildungen von Münzen und unbefugte Verfertigung ämtlicher Siegel (§§ 326 bis 330).

11) Anmassung des Charakters eines öffentlichen Beamten oder Dieners ohne betrügeri­sche Absicht und unbefugtes Tragen von Ordenszeichen oder anderen Ehren­dekorationen (§§ 333 und 334).

12) Die Uebertretung des Verbotes an gefährlichen Stellen zu baden, auf dem Eise zu schleifen oder die Eisdecke zu betreten (§ 338).

13) Unbefugte Ausübung der Arznei- oder Wundarzneikunst als Gewerbe (§§ 343 und 344).

14) Verkauf verbotener Arzneimittel (§ 345 bis 348).

15) Falsche oder schlechte Bereitung und Verwechslung der Arzneien in den Apothe­ken (§§ 349 bis 353).

16) Unberechtigter Verkauf innerer oder äusserlicher Heilmittel (§§ 354 und 355).

17) Richtanzeige verdächtiger Todesfälle oder Krankheiten von Seite des ärztlichen Personals (§ 359).

18) Unbefugter Handel mit Gift, Unvorsichtigkeit bei dem Giftverkaufe, Verabfolgung von Gift ohne die vorgeschriebene Bewilligung, unterlassene Führung des Vormerk­buches über den Giftverlauf, Nachlässigkeit bei Aufbewahrung und Absonderung des Giftes, vorschriftswidrige Verwahrung oder Versendung desselben und Verkauf unbe­kannter Materialwaaren (§§ 261 bis 368, 370, und 371).

19) Verfertigung und Ausbesserung verdächtiger Waffen, unterlassene Verwahrung gela­dener Gewehre und unvorsichtige Abdrückung eines Gewehres (§§ 372 bis 374).

20) Unrichtige Anzeige der Zeit des Todes bei der Todtenbesichtigung (§ 375).

21) Verheimlichung einer ansteckenden Krankheit von Seite einer Amme (§ 379).

22) Unterlassung der Aufstellung der vorgeschriebenen Warnungszeichen bei einem Baue oder der Anzeige des zu besorgenden Einsturzes eines Gebäudes (§§ 380, 381 und 382).

23) Fahrlässigkeit der Baumeister, denen ein Gerüst oder Bau einstürzt (§ 383).

24) Zu frühes Beziehen neugebauter Häuser und Gewölbe (§ 386).

25) Unterlassene Anzeige eines mit der Wuth behafteten Thieres, unbefugtes Halten schäd­licher Thiere, Vernachlässigung der Verwahrung eines mit Erlaubniss gehaltenen wilden Thieres oder bösartiger Hausthiere, Anhetzen oder Reizen der Thiere (§§ 387 bis 392).

26) Uebertretungen der Sanitätsvorschriften (§§ 394-397).

27) Verunreinigung der Brunnen, Cisternen u. f. f. (§ 398).

28) Verkauf des Fleisches von nicht nach Vorschrift beschautem Viehe (§ 399).

29) Uebertretung der gegen Viehseuchen gegebenen Vorschriften (§§ 400-402).

30) Verfälschung von Getränken auf eine der Gesundheit schädliche Art (§§ 403-405).

31) Fälschung des Zinngeschirres (§ 406).

32) Gesundheitsschädliche Zubereitung oder Aufbewahrung zum Genusse bestimmter Waaren (§§ 407 und 408).

33) Selbstverstümmelung, um sich dem Militärstande zu entziehen (§§ 409 und 410).

34) Vorsätzliche und bei Raufhändeln vorkommende körperliche Beschädigungen (§§ 411 und 412).

35) Die Misshandlungen der Dienstboten oder Lehrjungen durch die Gesindehalter und Lehrherren (§ 421).

36) Verstellung der Strassen zur Nachtzeit durch Wagen, Fässer u. dgl. oder unterlas­sene Aufstellung der vorgeschriebenen Warnungszeichen bei denselben (§§ 422-425).

37) Das Herabwerfen leicht Schaden bringender Gegenstände aus Fenstern und die Unter­lassung der Befestigung der dahin gestellten oder gehängten Gegenstände (§ 426).

38) Schnelles und unbehutsames Reiten oder Fahren und Stehenlassen bespannter Wagen oder Pferde im Freien, ohne Aufsicht (§§ 427-430).

39) Der körperlichen Sicherheit gefährliche Handlungen und Unterlassungen über­haupt (§§ 431 bis 433).

40) Alle Uebertretungen der zur Abwendung der Feuersgefahr bestehenden Vorschrif­ten (§§.434 bis 459).

41) Diebstähle, Veruntreuungen und Betrügereien, insoweit diese Handlungen nach Vorschrift der §§ 460-466 des Strafgesetzes nur als Uebertretungen und nicht als Verbrechen erscheinen.

42) Uebertretung der boshaften Beschädigung fremden Eigenthums (§ 468).

43) Unterlassung der vorgeschriebenen Vorschriften bei Verfertigung, Aufbewahrung oder Hintangabe von Hauptschlüsseln, Dietrichen u. dgl. von Seite der Schlosser und ande­rer Gewerbesleute (§§ 469 und 470).

44) Ankauf verdächtiger Waaren und Unterlassung der bei Anboten verschiedener Waaren zum Kaufe vorgeschriebenen Vorsichten (§§ 471-473).

45) Uebervortheilungen durch Uebertretung der Satzungen und Taxordnungen (§ 478)

46) Oeffentliche Beschimpfungen oder Misshandlungen (§ 496).

47) Vorwürfe über eine ausgestandene oder erlassene Strafe (§ 497).

48) Aufdeckung der Geheimnisse der Kranken von Seite der Heil-, Wundärzte, Apothe­ker und dgl. (§ 498 und 499).

49) Gewerbsmässiger Betrieb der Unzucht (§§ 509-511)

50) Uebertretung der Kuppelei (§§ 512_514).

51) Unterschleif zur Unzucht von Seite der Gast- und Schankwirthe oder ihrer Dienst­leute (§ 515).

52) Gröbliche und ein öffentliches Aergerniss verursachende Verletzungen der Sittlich­keit oder Schamhaftigkeit. (§ 516)

53) Alle Uebertretungen, welche durch das Betteln, sowie durch Verwendung oder Herleihung der Kinder zum Betteln von Seite der Eltern begangen werden. (§§ 517-521).

54) Verbotene Spiele (§ 522).

55) Eingealterte Trunkenheit (§ 524)

56) Die im § 525 des Strafgesetzes erwähnten Uebertretungen gegen die öffentliche Sitt­lichkeit, endlich

57) Alle Uebertretungen der in den bestehenden besonderen Vorschriften enthaltenen Verbote in Beziehung auf die Erzeugung, den Verkehr, den Besitz, Gebrauch und das Tragen von Waffen insoweit dieselben nicht als Vergehen erklärt sind.

§ 2

Das Strafregister hat aus einzelnen nicht zusammengehefteten Bögen zu bestehen, welche in besondere am Ende eines jeden Jahres abzuschliessende Faszikel zusammen gelegt werden.

Ueber die im Strafregister vorkommenden Beschuldigten ist ein alphabetisches Namens­verzeichniss mit Berufung auf die fortlaufende Zahl des Registers anzufertigen und jährlich abzuschliessen.

§ 3

Die zur Verhandlung kommenden Uebertretungen sind nach fortlaufenden Zahlen (s. Formular) in das Register einzutragen.

Unter einer und derselben Zahl darf nur ein Straffall abgeführt werden, wobei es aber gleichviel ist, ob an demselben nur ein Individuum aber mehrere Personen betheiliget sind. Nur in dem Falle, wenn dasselbe Individuum gleichzeitig mehrerer Uebertretungen beschul­digt wurde, ist die Verhandlung über alle Uebertretungen unter Einer und dersel­ben Zahl abzuführen.

§ 4

Was in das Strafregister aufzunehmen ist, zeigen die Ueberschriften der einzelnen Rubri­ken. In der fünften Rubrik sind nur die wesentlichsten Momente aus der Aussage des Beschuldigten anzuführen. Gesteht derselbe die ihm zur Last gelegte Uebertretung ein, so ist in diese Rubrik bloss einzuschreiben: „Eingestanden“ In die sechste Rubrik sind die entscheidenden Punkte aus den Aussagen der Zeugen und Sachverständigen unter Anführung der Vor- und Zunamen, des Alters, Standes, Gewerbes oder Beschäftigung und des Aufenthaltsortes derselben kurz und bündig einzustellen.

In die achte Rubrik ist nicht etwa ein förmliches Erkenntniss aufzunehmen, sondern es ist daselbst nur die zuerkannte Strafe unter Bezeichnung der übertretenden Vorschrift an­zumerken, wie z. B. „fünf Gulden nach § 321 des II. Theils des St. G. B. vom 27. Mai 1852“ oder bei erfolgter Lossprechung von der angeschuldeten strafbaren Handlung das Wort: „losgesprochen“ einzutragen.

Formular

Straf-Register

Geführt von dem fürstlichen Regierungsamte über die geringeren Uebertretungen.

 

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

X.

X.

XI.

XII.

 

Fortlaufende Zahl

Vor- und Zuname, Alter, Stand, Gewerbe oder Be­schäftigung und Aufenthaltsort des Beschuldigten

Vor- und Zuname, Alter, Stand, Gewerbe oder Beschäftigung und Aufenthaltsort der als Beschä­digter oder Anzeiger aufgetrete­nen Personen

Bezeichnung der Uebertretung, die dem Beschul­digten zu Last gelegt wird

Geständniss oder Rechtfertigung des Beschuldigten

Aussage der Zeugen und Sachverständigen für oder wider den Beschuldigten.

Bezeichnung desjenigen, was und wodurch dasselbe als erwiesen angenommen wird

Inhalt und Datum des Erkenntnisses unter Bezeichnung der übertretenden Vorschrift und unter ämtlicher Fertigung

Entschädigung, welche durch das Erkenntniss aus­gesprochen wurde

Das Erkenntniss verkündiget am

Vollzug des Erkenntnisses am

Anmerkung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

§ 5

Sollte bei besonders verwickelten Fällen eine ausführlichere Aufnahme nothwendig sein, so  kann ausnahmsweise das Protokollarverfahren in Anwendung gebracht werden; es hat sich jedoch dasselbe jedenfalls nur auf die Erhebung der wesentlichen Umstände zu beschränken. Uebrigens müssen auch in diesen Fällen die zur Verhandlung kommenden Uebertretungen in dem Strafregister ersichtlich gemacht, und daher gleich bei Einleitung des Verfahrens die vier ersten Rubriken desselben und nach geschlossenem Verfahren die Rubriken VII, VIII, IX und X aufgefüllt werden, so dass also bei Einleitung eines Proto­kollarverfahrens nur die beiden Rubriken V und VI ausser Anwendung kommen. In der Rubrik XII ist anzumerken, dass das Protokollarverfahren eingeleitet wurde. Insoweit durch die gegenwärtige Vorschrift keine abweichenden Bestimmungen angeordnet wer­den, sind bei dem Verfahren über die im § 1 unter 1) bis 57) angeführten Uebertretungen die Vorschriften des Abschnitts II des II. Theils des St. G. B. vom 3. September 1803 in Anwendung zu bringen.

Bei der rechtlichen Beurtheilung und Bestimmung der Strafen dieser Uebertretungen ist das allgemeine Strafgesetz vom 27. Mai 1852 zu beobachten.

§ 6

Das Untersuchungsamt hat sich gegenwärtig zu halten, dass in der Beschleunigung des Verfahrens die Grundbedingung für die Aufrechthaltung des Ansehens des verletzten Gesetzes und der Wirksamkeit der verhängten Strafe liege.

Es müssen daher alle zur Sache nicht wesentlich gehörigen Erhebungen und Verneh­mungen vermieden werden, und es ist dahin zu trachten, dass das Verfahren mit einer ein­zigen Verhandlung beendiget und sogleich am Schlusse derselben das Erkenntnis den Beschuldigten verkündiget werde, was nach der Natur der Uebertretungen in der Regel leicht ausführbar ist. Jede nicht durch besondere Umstände gerechtfertigte Verzögerung ist an dem schuldtragenden Beamten angemessen zu ahnden.

§ 7

Zur Verhandlung in den Uebertretungsfällen ist weder die Beiziehung eines Protokoll­führers, noch die Anwesenheit von Beisitzern erforderlich.

§ 8

Nach Beendigung der Strafverhandlung ist den hiebei Betheiligten auf Verlangen statt des Urtheiles ein Auszug aus den Rubriken II, IV, VI, VII, VIII, und IX auszuhändigen.

§ 9

Die Berufung kann von den nach § 415 des II. Theils des St. G. B. vom 3. September 1803 hiezu berechtigten Personen mit aufschiebender Wirkung gegen das Erkenntniss des Regierungsamtes an die fürstliche Hofkanzlei ergriffen werden.

Die Berufung muss längstens 24 Stunden nach der Bekanntmachung des Erkenntnis­ses bei den Regierung-Amte mündlich oder schriftlich angemeldet, und längstens inner­halb weiterer drei Tage ebendaselbst überreicht oder mündlich zu Protokoll gegeben wer­den.

Ein verspäteter Rekurs ist ohne Ertheilung eines Bescheides lediglich zu den Alten zu legen und das Erkenntniss zu vollziehen.

§ 10

In Rekursfällen ist der fürstlichen Hofkanzlei der bezügliche Bogen des Strafregisters im Original mit den etwaigen dazu gehörigen Akten vorzulegen.

§ 11

Durch die gegenwärtige Verordnung werden alle bisher bestandenen Vorschriften, welche sich auf die Gegenstände derselben beziehen, ausser Wirksamkeit gesetzt.

Wien, am 7. November 1859

Im Namen Sr. Durchlaucht

Franziska Fürstin von und zu Liechtenstein, geborene Gräfin Kinsky

(L.S.)

Nach Ihrer Durchlaucht höchst eigenem Befehle:

Franz Strak, fürstl. Rath.

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[1] LI LA SgRV 1859. Kein Originaltitel, Druck. Registraturvermerk: Nr. 11745