Liechtenstein ersucht die Schweiz, Verhandlungen über den Abschluss eines Zollvertrags aufzunehmen


Maschinenschriftliches Schreiben von Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein, gez. ders., an den schweizerischen Bundesrat [1]

16.2.1920

Aufgrund des von Seiner Durchlaucht dem Landesfürsten [Johann II.] genehmigten Beschlusses des liechtensteinischen Landtages vom 30. Jänner 1920 [2] habe ich die Ehre, an den hohen Bundesrat der Schweizerischen Eidgenossenschaft das Ersuchen zu stellen, Verhandlungen wegen Abschluss eines Zollvertrages zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein einzuleiten. Ich kann mich wegen der Gründe, die das Fürstentum zu diesem Ersuchen veranlassen, wohl auf die bereits am 23. und am 24. Jänner l.J. in Bern zwischen Vertretern des hohen Bundesrates und des Landes Liechtenstein gepflogenen Besprechungen berufen. [3] Namentlich möchte ich aber anführen, dass das Fürstentum und seine Bewohner infolge des katastrophalen Niederganges der bisher im Lande geltenden österreichischen Kronenwährung den lebhaftesten Wunsch hegen, möglichst bald zur Frankenwährung überzugehen und das für diese Währungsänderung ein Zollanschluss mit der Schweiz ein grosser Vorteil ist. Ich glaube auch nicht unerwähnt lassen zu sollen, dass für den Abschluss eines Zollvertrages mit der Schweiz auch der Wunsch bestimmend ist, die seit undenklichen Zeiten mit der Schweiz bestehenden freundnachbarlichen Verhältnisse, die namentlich während der verflossenen Kriegszeit sich wieder neu bewährten, immer inniger zu gestalten.

Aus der Niederschrift der Verhandlungsergebnisse der Besprechungen vom 23. und 24. Jänner 1920 geht deutlich die Befürchtung der Vertreter der schweizerischen Zollverwaltung hervor, dass die Verlegung der Zollgrenze an die liechtensteinisch-österreichische Grenze eine beträchtliche Vermehrung der Zollorgane zur Folge haben werde. Die Besprechungen zeitigten den Wunsch, durch eine kommissionelle Begehung des in Frage kommenden Gebietes eine Übersicht zu gewinnen, wie sich die Personalverhältnisse bereinigen lassen würden. [4]

In der Annahme, dass der hohe Bundesrat dem eingangs angeführten Ansuchen wohlwollend zustimmen werde, beehre ich mich das weitere Ersuchen zu stellen, in nächster Zeit eine schweizerische Kommission abzuordnen, um die lokalen Verhältnisse einer eingehenden Besichtigung zu unterziehen. Um dieser Kommission die Arbeiten zu erleichtern, beehre ich mich weiters, heute schon auf die mitfolgenden 2 Pläne und die zuliegenden Erläuterungen [5] aufmerksam zu machen.

Indem ich noch bitte, mich die Entscheidung des hohen Bundesrates in diesen Fragen möglichst bald wissen zu lassen, [6] versichere ich den hohen Bundesrat meiner ausgezeichnetsten Hochachtung.

Der fürstl. Landesverweser:

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[1] LI LA SF 27/1920/0782 ad 64. Ein weiteres Exemplar unter LI LA V 002/0293/30. Die Regierung übermittelte das Schreiben am 16.2.1920 in zwei Exemplaren an die Gesandtschaft in Bern, die es dem Bundesrat mitteilte.
[2] LI LA LTA 1920/S04.
[3] Vgl. LI LA SF 27/1920/0650 ad 64, Protokoll der Konferenz vom 23./24.1.1920.
[4] Die Grenzbegehung, die vom 24.-30.5.1920 stattfand, ergab, dass die Bewachung der Grenze mit wesentlich weniger Personal geschehen könne als befürchtet. Vgl. LI LA V 002/0299/049, Bundesrat Jean-Marie Musy an Prinz Karl, 3.6.1920; LI LA V 002/0299/050, Eidgenössische Oberzolldirektion an Emil Beck, 3.6.1920. 
[5] Beilagen fehlen.
[6] Die Schweiz teilte mit Note vom 30.3.1920 mit, sie sei grundsätzlich bereit, die gegenseitigen Beziehungen vertraglich zu regeln. Das Finanz- und Zolldepartement sei beauftragt, alle mit dem Zollvertrag zusammenhängenden Fragen zu prüfen, und sei ermächtigt worden, eine Kommission nach Liechtenstein abzuordnen (LI LA V 002/0299/045).