Der Liechtensteiner Verein St. Gallen fordert die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Auslandliechtensteiner (Pressebericht)


Artikel von Gustav Matt im "Liechtensteiner Volksblatt" [1]

15.1.1919, St. Gallen

Initiative des Liechtensteiner Vereins St. Gallen

Eine neue Zeit pocht an die Tore unseres lieben Heimatlandes, verlangt Einlass in die Herzen aller, die guten Willens sind. Guten Willens mitzuhelfen an der gegenwärtigen Arbeit des modernen Ausbaues unserer Staatsverfassung, mitzuhelfen an dem Werke der Gleichberechtigung aller unserer Staatsbürger, abzulassen von allen veralteten Bestimmungen wider unsere neuzeitlichen Bestrebungen, kurzum zu kämpfen für die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unseres wackeren Völkleins am Rheine. Die Zeit mahnt uns zu ernster, tätiger und allumfassender Arbeit. Lernen wir die gegenwärtige Stunde kennen und begreifen, erfassen wir sie, um unserer Arbeit ein Gedeihen zu sichern und sie nicht bedenklich zu gestalten. Wir stehen heute ohne Zweifel an einem jener Wendepunkte, wo an Stelle von düsterem Schatten leicht grelles Licht entsendet werden kann, wo unserem Volke breite Wege offen stehen, seine Rechte und Geschicke für dauernde Zeiten selbst zu bestimmen.

Diese Stunde erkannten auch die Landsleute in der Fremde und suchen nun mit vollem Rechte wirksam zu sein gegen alle Benachteiligungen, in die man sie gegenüber den Mitbürgern im Vaterlande gestellt hat. Das staatliche Wahlrecht, eines der höchsten Rechte, die ein Staatsbürger in einem modernen Staate haben kann, ist ihnen entrissen. Laut unserer bisherigen Verfassung [2] sind aktiv und passiv nur liechtenstein'sche Bürger wahlberechtigt, die im Fürstentum wohnen. Nun zwingen die Verhältnisse einen grossen Teil unserer Bevölkerung, ihr Brot ausserhalb des kleinen Vaterlandes zu verdienen. Die letzte Volkszählung in der Schweiz nennt uns z.B. nicht weniger als 1074 liechtenstein'sche Staatsangehörige. Dies nur einen Beweis der grossen Zahl unserer Landsleute im Auslande. Sie alle verlieren durch den Entzug des Wahlrechtes wohlbegreiflicher Weise auch das Interesse des Heimatstaates. Der Liechtensteiner-Verein hat sich daher veranlasst gesehen, im Interesse sämtlicher Liechtensteiner im Auslande an den hohen Landtag folgende Initiative zu richten: [3]

"Der ergebenst gefertigte Verein der Liechtensteiner in St. Gallen und Umgebung sieht sich angesichts der bevorstehenden Abstimmung über die Verfassungsänderungen [4] in ihrem Heimatstaate veranlasst, an den hohen Landtag mit dem höflichen Gesuche zu gelangen, es sei den im Auslande wohnenden Liechtensteinern, welche im vorgeschriebenen Alter und in bürgerlichen Ehren stehen, für die Zukunft das staatliche Stimmrecht zu gewähren.

Die Ausführung dieses Stimmrechtes könnte nach unserer Meinung so geregelt werden, dass die in Frage kommenden Auslands-Liechtensteiner in der liechtenstein'schen Presse jeweils von der bevorstehenden Abstimmung in Kenntnis gesetzt würden, damit sie zur bestimmten Zeit in ihrer Heimatgemeinde eintreffen und nach Abgabe eines bürgerlichen Ausweises von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen könnten.

Zur Begründung unseres Gesuches erlauben wir uns folgendes anzuführen:

Eine im Verhältnis zur einheimischen Bevölkerung stattliche Anzahl Liechtensteiner sind genötigt, ihr Brot im Auslande zu verdienen und deshalb dort nicht bloss periodisch, sondern beständig Aufenthalt zu nehmen. Infolgedessen entgeht ihnen nicht nur der Genuss der Gemeindegüter, sondern auch – was von den meisten am schwersten empfunden wird – jegliche Möglichkeit zur Ausübung ihrer staatsbürgerlichen Rechte. Es ist nun gewiss nicht zu verkennen, dass durch diese Ausschliessung das Interesse für den Heimatstaat bei einer grossen Anzahl Staatsbürger abgeschwächt und mit der Zeit ertötet wird. Dies liegt aber gewiss nicht im Interesse des neuzeitlichen Staates, dessen Gedeihen nicht zum wenigsten durch die Teilnahme aller Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten gefördert wird.

Wir hoffen zuversichtlich, dass unser ergebenes Gesuch in Ansehung dieses Umstandes von seiten unserer verehrten Landesväter wohlwollende Aufnahme und Unterstützung finden werde, umso mehr, als wir stets bestrebt sind, unsere Leute durch vaterländischen Lesestoff und passende Vorträge über alles, was unseren Staat angeht, zu unterrichten und auf dem Laufenden zu halten.

Wir beehren uns noch, unserm hohen Landtag die Grüsse der liechtensteinischen Kolonie in St. Gallen und Umgebung zu übermitteln etc."

Wir wollen hoffen, dass uns diese höchst gerechtfertigte Petition den gewünschten Erfolg davon tragen wird, der die Freude und die Anhänglichkeit der Liechtensteiner im Auslande an das Heimatland voll und ganz erwecken soll.

(Wir stellen es hiemit unseren Lesern anheim, sich in ruhiger. sachlicher Weise über diesen Antrag unserer Landesbrüder im Auslande in unserem Blatte auszusprechen. Die Schriftl.) [5]

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[1] L.Vo., Nr. 4, 15.1.1919, S. 1f. Der Artikel erschien auch in O.N., Nr. 3, 18.1.1919, S. 2.
[2] Konstitutionelle Verfassung vom 26.9.1862 (LI LA SgRV 1862/5).
[3] LI LA LTA 1919/L03, Liechtensteiner-Verein von St. Gallen und Umgebung an Landtag, 8.1.1919.
[4] Gemeint sind die Volksabstimmungen vom 2.3.1919 über die Herabsetzung des Wahlrechtsalters sowie über die Erhöhung der Zahl der Landtagsabgeordneten.
[5] Die Petition fand zwar einiges Echo in den Landeszeitungen, eine Behandlung im Landtag geht aus den Landtagsprotokollen jedoch nicht hervor.