Johann Franz Paur [Bauer] berichtet dem Fürsten Johann Adam Andreas von Liechtenstein über die Huldigung in Schellenberg, eine Schätzung der Herrschaft Vaduz (135'000 Gulden, 4-5000 Jahresertrag), einen Streit wegen eines Rheinwehrs zwischen Triesen und den Schweizern und fragt, wo er mit seiner Familie wohnen soll, da es in der Herrschaft Schellenberg keine geeignete Unterkunft gibt.


Durchleuchtigester fürst.

Gnädigester fürst und herr, herr, etc., etc.[1] 

Ewr hochfürstlich durchleuchtigkeith berichte in höchster eyl underthenigst, das gesteren nach dreystündigem ex parte[2] der underthanen respectu commissionis[3] nit unbillich gehabtem concert[4] in der herrschafft Schellenberg[5] die huldigung glickhlich vollzigen worden. Die herren subdelegierte haben weder euffer nach vleis gesparet, welliches bey heites tag abgehendter post mit umbständen gehorsambst referieren werde. Die der graffschafft Vaduz[6] zwischen der gemeindt Trisen[7] diß – und denen Schweizeren jennseits Reihns[8] wegen angelegten wuhrs angewachsene gefährliche differenz haben die Trisner umb salvierung[9] ihrer vellder, güether und der landstraßen durch ybertrettung der wuhrens – gerechsambe limitum[10] erwekhet. Dise aber solle freytags von commissions wegen inter partes asozieret[11] werden. Umb den vaduzischen anschlag[12], weylen sollichen nirgendts anderstwo zue haben wusste, ist die wohlgedachte commission von mir gebetten worden. Dise hat sich offeriert[13], sollichen zue ybermachen. Ich wais mich nit zue erinneren, jemahls einen anderen gesehen zue haben, als wellichen graf Rudolph von Sulz[14] grafen Caspar von Embs[15] / zuegefertiget, und wie ich glaube, auf 135.000 fl.[16] gestellt ist worden. Die erträgligkeit besteiget respectu[17] Schellenberg daß alterum tantum[18]. Daß Schloß[19] sowohl als ander herrschaftliche gebäw seindt in vollem abgang und vor völligem ruin zue præservieren[20], 4 in 5.000 fl. kaum erklokhlich. Nun erforderet ewr hochfürstlich durchlaucht interesse unvermeidendtlich und ohne langen ahnstand denen underthanen gegenwertig zue sein, weylen aber zur zeith nit wais, wo und wie dieselbe in eine wohnung gnädigst determinieren[21] werden, also bette underthenigst, ewr hochfürstlich durchlaucht geruhen gnedigest zue befehlen, ob ich etwa in hiesiger statt[22] ein interims-quartier bedingen, oder auch pro nunc relicta familia[23] bis auf weitheres in eine cosst gehen, oder wie sonsten mich verhallten sollte. Ich bin zue allem bereith und thue allervorderst ewr hochfürstlich durchlaucht zue nunmehro angetrettener regierung der herrschafft Schellenberg threw, underthenigst und gehorsamst gratulieren, die grundguetigkeit Gottes inbrünstiglich ahnruefendte, ewr hochfürstlich durchlaucht / zue beglickhen, daß sye zue dero fürstlichen hochen hauses ungemeinen vergnüegung graiche, mir aber auch der göttliche beystand vollge, solliche nach underthänigster meiner schuldigkeit in threw gehorsambster liebe und respect zue hochen nutzen lebenslang zu administrieren. Ewr hochfürstlich durchlaucht anbey mich in tiefester submission[24] gehorsamst empfehlendt.

Ewr hochfürstlich durchlaucht.

Veldkirch, den 17. Martii 1699.

Underthänigst, threw, gehorsamster diener

Johann Franz Paur[25], manu propria[26].

Post Scriptum. Ewr hochfürstlich durchlaucht belieben gnädigst zue verordnen, das ohnmasgäblich deroselben ahn mich abgehendte gnädigste befelch mit der address pro Lindaw[27] – und daselbst herrn posstwaltheren Niclauß Willhelm Lustfeld recommandeier inscribiert[28] werde. /

[Rubrum]

Præsentatum[29], den 27. Martii 1699.

Schellenbergischer verwalter. Die huldigung seye geschehen; wird den anschlag über Vaduz senden; item ratione[30] einer differenz zwischen Trisen und denen Schweitzern – auch seiner wohnung halber.

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[1]Johann Adam I. Fürst von Liechtenstein (30. November 1656–18. Juni 1712). Vgl. Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 15, Leon – Lomeni, L. C. Zamarski, Wien 1866, S. 127.
[2]von Seiten.
[3]unter Berücksichtigung der Kommission.
[4] Mögl. Diskussion; Argument [?].
[5]Schellenberg (FL).
[6]Vaduz (FL).
[7]Triesen (FL).
[8]Rhein, Fluss.
[9]Rettung.
[10]eine Schranke, Grenze.
[11]zwischen den Parteien vermittelt wird.
[12]Schätzung der Grafschaft Vaduz.
[13]anerboten.
[14] Hier irrte sich Paur, denn Graf Rudolf von Sulz starb bereits 1535. Paur meinte Graf Karl Ludwig von Sulz und Landgraf zu Klettgau, Herr zu Vaduz, Schellenberg und Blumenegg (1560–1617). Dieser war ein Sohn von Alwig Graf von Sulz (gest. 1572) und Barbara, geb. Gräfin von Helfenstein (gest. 1573). Er war kaiserlicher Hofkriegsratspräsident, Erbhofrichter von Rottweil und kaiserlicher Feldzeugmeister. 1613 verkaufte Rudolph die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schellenberg an Graf Kaspar von Hohenems. Vgl. C. v. Duncker, Sulz, Karl Ludwig Graf zu. In: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 144; Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges Universallexicon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 41, Suin – Tarn, Leipzig 1731–1754, S. 121–122.
[15]Kaspar Graf von Hohenems (1. März 1573–10. September 1640) war der Sohn von Graf Jakob Hannibal I. von Hohenems (1530–1587) und Hortensia Borromea (1565–1578). Er war in 1. Ehe verh. mit Eleonora Philippina, Freiin zu Welsperg und Primör (1573–1613) und in 2. Ehe mit Anna Amalia Gräfin von Sulz (1614–1658), Tochter von Karl Ludwig Graf von Sulz (1572–1617), von dem er 1613 die Grafschaft Vaduz und die Herrschaft Schellenberg kaufte. Vgl. Joseph Bergmann, Die Reichsgrafen von und zu Hohenembs in Vorarlberg. Dargestellt und beleuchtet in den Ereignissen ihrer Zeit, vom Jahre 1560 bis zu ihrem Erlöschen 1759. Mit Rücksicht auf die weiblichen Nachkommen beider Linien von 1759–1860, Wien 1860, S. 111; Ludwig Welti, Graf Kaspar von Hohenems 15731640: ein adeliges Leben im Zwiespalte zwischen friedlichem Kulturideal und rauer Kriegswirklichkeit im Frühbarock. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck 1963.
[16]fl. = Gulden (Florin).
[17]bezüglich.
[18]Das Doppelte.
[19]Schloss Vaduz.
[20]bewahren.
[21]bestimmen; sich entschließen.
[22]Feldkirch (A).
[23]pro nunc relicta familia”: für das Erste die zurückgelassene Familie. 
[24]Unterwerfung.
[25]Johann Franz Bauer [Paur] (gest. 1715/16) studierte ab 1670/71 Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau. Als Dr. beider Rechte machte er Karriere als Oberamtmann des Reichsstifts Rottenmünster und ab 1688 in hohenemsischen Diensten. Von 1699 bis 1715 war er fürstlich liechtensteinischer Amtmann und Verwalter der Herrschaft Schellenberg. Ab 1700 veranlasste er den Kauf zweier Brandstätten in Feldkirch und ließ auf diesen das fürstlich liechtensteinische Haus errichten, in welchem er bis zu seinem Tod wohnte. Vgl. Brief an den fürst-liechtensteinischen Buchhalter Nowak betreffend den Nachlass von Johann Franz Paur und das Haus in Feldkirch, Konz., Schloss Judenau 1716 August 3, SL-HA, unfol.; sowie die gesamte Verwaltungskorrespondenz Paurs mit Fürst Johann Adam Andreas von Liechtenstein von 1699 bis 1712, SL-HA 2609, 2010, 2611; Karlheinz Burmeister, Johann Franz Bauer, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, Projektleiter: Arthur Brunhart; Red.: Fabian Frommelt ...[ et al.], Zürich 2013, Bd. 1, S. 72.
[26]eigenhändig.
[27]nach Lindau (D).
[28]eingeschrieben geschickt.
[29]vorgelegt.
[30]auch wegen.