Johann Franz Paur [Bauer] schildert dem Fürsten Johann Adam Andreas von Liechtenstein ausführlich das schreckliche Betragen des Georg Marxers aus Mauren und erkundigt sich, was er tun soll.


Durchleuchtigister fürst.

Gnädigister fürst und herr, herr, etc.[1]

Geörg Marxer zue Mauren[2] der herrschaft Schellenberg[3], dessen verstorbene mueter zueweylen auch zimblich verwirt gewest ist, hat sich bey seinen kindtlichen jahren der vätterlichen straff dergestalten zue opponieren[4] gewust, das er sich ehender auf der stölle erwürgen und zue todt hette schlagen lassen, als das er dennen zuweyligen straichen eines schuchsbrait gewichen were. Diße halßstärrigkheit ist mit ihme bis in die mannbare jahr und darbey, gleich seinen geschwistrigen, auch so ein vortheilhaftigkheit und geiz aufgewachßen, das selbiger dem allgemainen urthl nach völlig von sinnen khommen, ahngebunden und wie andere tobende leuthe einem bekhandten barbierer[5] in die cur anverthrawt werden müessen. Die cur ist vollendet, die bezahlung aber von ihme unmöglich, und zwar aus disem vorwand zue bekhommen gewest, er were (mit undertheinigistem respect zu melden) khein narr, die ihne darfür gehalten und dem Bregenzer (also nennet sich der barbierer) an die follter gegeben, mechten ihne gleichwohl bezahlen. / Er ist seinem haußweeßen damahls wie iezt und auch vorhero, wo der geringste aigennuzige vorthl zue spihlen ware, als einem maister vorgestanden, gleichwohlen aber zuweylen auch unschickhe begangen, welliche einer ganz gescheiden vernunft nit gleicheten. Aus ihme waist man darumben umb so weniger zu khommen, als er in vilen lesen sich mechte hindersinnet, oder, darfür Gott seye, wohl gahr einen teuffel bey sich haben. Die kirchen flichet er, wirdt er dann mit gewalth dahin gezwungen, so findet mann doch selten ein christliches zaichen. Hat sich voriges jahr den huet coram venerabili[6] ab dem kopff zue thuen von herren pfarreren nit vermögen lassen, sondern ihme ad cathedam reclamando[7] einen kezer haissen derffen. Es hat auch damahls das amtliche compelle desistieren[8] müessen, ohne den gesöllen ad recantandum obligiert[9] zue haben. Mir und menigelichen[10] troheter mit unpartheyischem recht, erkhennet niemand für seine obrigkheit, als das Schloss Vaduz, welliches er nach der huldigung und bestendig obmoviert[11], auch dato denen ambtsbefelchen die parition[12] nit anderster laistet, alß auffrechthin, / unangesehen das gesicht einen torren und verstellte gaister repræsentieret, so gebrauchet er doch im röden die gescheidiste arglist, volle und verschrauffeste worth, welliche zueweilen einem marckht[13] und bein durchtringen mechten. Die vorige herrschaft hat diser und anderer ursachen willen ihme die administrationem bonorum[14] öfters benemmen und curatores[15] sezen wollen, es ist aber erst bey mir ad effectum[16] kommen, und zwar dergestalten alleinig, das was man mit ihme in khauffen, oder verkhauffen zue thuen hette, solliches in gegenwarth seiner curatorum beschechen solte, oder ipso facto[17] eine nullitet involvieren[18] würde. Der eindte curator ist seiner leiblichen brüederen ainer, darff aber beeden per indirectum[19] den todt trohen, fahls sie ihme die administraiton hemmen wolten. Promotorem limitum[20] gibt er gehrn ab, lauft öfters berg und thal aus, sagende, der erzengel Michael der teuffel (wie er ihne nennet), habe ihne marckhten zue suchen, und wie dise oder jene unrecht stünden, denen leuthen ahnzuezaigen befohlen, traget dem hundert nach allerhandt stein in sein hauß zuesamen, in theils größe, als die kinder miteinander darmit spihlen, andere aber, so für rechte / marckhstein passieren[21] köndten, und villeicht seindt. Von gaistlichen ermahnungen haltet er wenig, negat Sanctissimam Trinitatem et singulariter personam spiritus sancti, Virginem Dei parain accusat[22], were ein weib, wie andere weiber und der sohn Gottes von ihre mit nichten entsprossen, sonderen diser wie ein rohr in weyher von sich selbsten aufgewachsen. Unwahr were, das der mensch nach seinem todt straf oder belohnung zue gewarthen hette, sonderen da selbiger ertodet, als wie s. v.[23] ross und vieh ein end hette. Sein weib haltet er übel, tractiert sye ofters mit harten straichen, ia sye ware einstens von ihme selbsten als todt umbgezogen und endtlich mit wasser gelabet worden. Mit denen kindern, deren er zway, und vor 2 und 3 jahren noch selbsten darmit gebetten hat, lasset er nun auch das weib nit mehr offentlich betten, sondern darff den älteren knaben vom betten, das es nemblich nichts helffete, abwarnen und hingegen statt des Vatterunser oder Ave Maria, teuffel zue schwören den underricht geben. In summa alles sein thuen und lassen begreiffen weder gaist noch weltliche, zue Osteren habe ich mit herrn pfarrers zuethuen ihne per stratagema[24] in beichtstuhl zue den herren p.p. Capucinern[25] gebracht, der beichtvatter aber weder kalt noch warmes bey ihme finden / khinden und nit ad communionem zu lassen berichtet. In was für sorge diser mann sowohl die herren gaistliche als mich seze, können euer hochfürstlich durchlaucht von selbsten gnädigst ermessen, alle meine bishero eufrig fürgekherte mittel seind verlohren, und manches mahl wais nit grösere gefahr des ewigen verderbens, oder sonst zeitlichen undergangs und todtschlagens obhanden. Ich komme derenwegen ganz underthenigist und gehorsamest zu betten, eur hochfürstlich durchlaucht geruchen genedigist zue determinieren[26], was mit disem unmenschen anfangen oder lassen solte, bevorab ich dessen actiones weder bey Gott dem allmächtigen, noch eur fürstlich durchlaucht zu verandtworthen gethrawe und dahin gestelt sein lasse, ob nit, wie einige wollen, ihne in dessen hauß in einem blockhhauß zu verwahren, die haußhaltung aber durch die curatores verwalthen zue lassen, das allersicherste sein derfte. Waryber eur hochfürstlich durchlaucht gnädigiste intention[27] gehorsambst zu vernemmen erwarthe und mit meiner underthenigisten empfehlung verbleibe.

Euer hochfürstlich durchlaucht.

Veldtkhirch[28], den 21. Junii anno[29] 1700.

Underthänigster, threw gehorsamster.

Johann Franz Paur[30], manu propria[31].

[Rubrum]

Præsentatum[32], den 30. Junii 1700.

Schellenbergischer verwalter in puncto[33] eines verwirten menschen.

[Adresse]

Dem durchleuchtigisten fürsten und herren, herren Johann Adam Andreas, des Heyligen Römischen Reichs[34] fürsten und regieren des hauß Liechtenstein von Nickholspurg[35], in Schleßien[36] herzogen zue Troppaw[37] und Jägerndorff[38], ritteren des Guldenen Flüß[39], der römisch kayserlichen mayestät[40] etc. etc. würkhlichen gehaimben rath und cammereren, etc. Ihro durchlaucht, meinem gnädigsten herren.

Wien[41] per[42] Feldtsperg[43][a]

 


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[1] Johann Adam I. Fürst von Liechtenstein (30. November 1656–18. Juni 1712). Vgl. Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 15, Leon – Lomeni, L. C. Zamarski, Wien 1866, S. 127.

[2]Mauren (FL).

[3]Schellenberg (FL).

[4]entgegenzusetzen.

[5]Krankenpfleger.

[6]vor dem Erwürdigen.

[7]ad cathed[r]am reclamando“: vor der Kanzel ausrufend. 

[8]compelledesistieren“: Zusammentreiben aufgeben.

[9]ad recantandum obligiert“: zum Widerruf verpflichtet. 

[10]jedermann.

[11]sich näher; heranmacht.

[12]Gehorsam.

[13]Mark.

[14]Verwaltung seines Besitzes.

[15]Vormünder.

[16]zur Wirkung.

[17]eigenmächtig.

[18]gar nicht einbeziehen.

[19]indirekt.

[20]Promotorem limitum“: Ausgedehnte Grenzen.

[21]angesehen werden; durchgehen.

[22]negat Sanctissimam Trinitatem et singulariter personam Spiritus Sancti, Virginem Dei parain accusat“: verleugnet die Heilige Dreifaltigkeit und im Einzelnen die Person des heiligen Geistes, die Jungfrau als Mutter (Gebärerin) Gottes beschuldigt er.

[23]Salva venia = mit Erlaubnis. Vgl. Karl E. Demandt, Laterculus Notarum. Lateinisch-deutsche Interpretationshilfe für spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Archivalien (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 7, 1998), S. 259.

[24]per stratagema“: durch Kriegslist.

[25]Patern Kappuzinern.

[26]entscheiden.

[27]Absicht.

[28]Feldkirch (A).

[29]im Jahr.

[30]Johann Franz Bauer [Paur] (gest. 1715/16) studierte ab 1670/71 Rechtswissenschaften in Freiburg im Breisgau. Als Dr. beider Rechte machte er Karriere als Oberamtmann des Reichsstifts Rottenmünster und ab 1688 in hohenemsischen Diensten. Von 1699 bis 1715 war er fürstlich liechtensteinischer Amtmann und Verwalter der Herrschaft Schellenberg. Ab 1700 veranlasste er den Kauf zweier Brandstätten in Feldkirch und ließ auf diesen das fürstlich liechtensteinische Haus errichten, in welchem er bis zu seinem Tod wohnte. Vgl. Brief an den fürst-liechtensteinischen Buchhalter Nowak betreffend den Nachlass von Johann Franz Paur und das Haus in Feldkirch, Konz., Schloss Judenau 1716 August 3, SL-HA, unfol.; sowie die gesamte Verwaltungskorrespondenz Paurs mit Fürst Johann Adam Andreas von Liechtenstein von 1699 bis 1712, SL-HA, H 2609, 2010, 2611; Karlheinz Burmeister, Johann Franz Bauer, in: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein, Projektleiter: Arthur Brunhart; Red.: Fabian Frommelt ...[ et al.], Zürich 2013, Bd. 1, S. 72.

[31]eigenhändig.

[32]Vorgelegt.

[33]wegen.

[34] Heiliges Römisches Reich war die offizielle Bezeichnung für den kaiserlichen Herrschaftsbereich vom Mittelalter bis zum Jahre 1806. Der Name des Reiches leitet sich vom Anspruch der mittelalterlichen Herrscher ab, die Tradition des antiken Römischen Reiches fortzusetzen und die Herrschaft als Gottes Heiligen Willen im christlichen Sinne zu legitimieren. Zur Unterscheidung vom 1871 gegründeten Deutschen Reich wird es auch als das Alte Reich bezeichnet. Vgl. Klaus Herbers, Helmut Neuhaus, Das Heilige Römische Reich – Schauplätze einer tausendjährigen Geschichte (843–1806). Böhlau-Verlag, Köln-Weimar 2005.

[35]Nikolsburg (Mikulov), Stadt (CZ).

[36]Schlesien ist eine Region in Mitteleuropa.

[37]Troppau (Opava) war die Residenzstadt des ehemaligen Herzogtums Troppau (CZ).

[38] Jägerndorf (Krnov) war die Residenzstadt des ehemaligen Herzogtums Jägerndorf (CZ).

[39] Der Orden vom Goldenen Vlies (Flüss) ist ein burgundischer Ritterorden.

[40]Leopold I. (9. Juni 16405. Mai 1705) aus dem Hause Habsburg, war von 1658 bis 1705 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches sowie König von Ungarn (ab 1655), Böhmen (ab 1656), Kroatien und Slawonien (ab 1657). Vgl. Kerry R. J. Tattersall, Leopold I., Wien 2003.

[41]Wien (A).

[42]über.

[43] Feldsberg (Valtice), Stadt (CZ).

 


[a]Darüber ist ein rotes Lacksiegel aufgedrückt.