Der österreichische Ministerpräsident und Innenminister Eduard Taaffe äussert sich zu den staatsbürgerlichen Verhältnissen im liechtensteinischen Fürstenhaus


Handschriftliches Schreiben des österreichischen Ministerpräsidenten Eduard Taaffe, gez. ders., in seiner Funktion als k.k. Innenminister an den k.u.k. Aussenminister Gustav Kalnoky von Köröspatak [1]  

3.8.1887, Wien

Mit der geschätzten Zuschrift vom 7. Juli l. J., 15940/7, war es Eurer Excellenz gefällig, mir die Abschrift eines Schreibens Seiner Durchlaucht, des regierenden Fürsten [Johann II.] von Liechtenstein, ddto. Wien, 22 Juni 1887, [2] zu übermitteln, in welchem zunächst vorgebracht wird, dass in dem amtlichen Verkehre der k. k. Behörden mit den Mitgliedern der des regierenden Hauses Liechtenstein wiederholt eine Verschiedenheit der Auffassung der staatsbürgerlichen Stellung und der staatsbürgerlichen Verpflichtungen dieser Mitglieder zu Tage getreten sei und hievon Anlass genommen wird, eine Feststellung der staatsbürgerlichen Stellung der Mitglieder des fürstlichen Hauses zu begehren.

In letzterer Beziehung wünscht Seine Durchlaucht insbesondere die Anerkennung zweier Grundsätze, nämlich:

1. dass die Agnaten des fürstlichen Hauses nicht schon an und für sich und als solche als österreichische Staatsbürger anzusehen sind, sondern nur insoweit, als die selben die österreichische Staatsbürgerschaft in irgend einer Weise erworben haben;

2. dass die Söhne des regierenden Fürsten und eventuell auch des Erbprinzen auch in denjenigen Fällen, in welchen sie selbst oder ihre Ascendenten staatsbürgerliche Rechte in den k. und k. österreichischen Staaten erworben oder de facto ausgeübt haben, aus diesem Grunde allein nicht als österreichisches Staatsbürger angesehen und zu den Pflichten derselben herangezogen werden sollen, wenn nicht etwa ein ausdrücklicher vorbehaltloser Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft stattgefunden hat.

Vom Standpunkte des k. k. Ministeriums des Innern habe ich zu diesen Schreiben Seiner Durchlaucht Nachstehendes zu bemerken.

Ich kann der Annahme Seiner Durchlaucht nicht beistimmen, dass im amtlichen Verkehre der k. k. Behörden mit den Mitgliedern der regierenden Hauses Liechtenstein wiederholt eine Verschiedenheit der Auffassung der staatsbürgerlichen Stellung dieser Mitglieder zu Tage getreten sei.

Die k. k. Regierung hat allen Grund, die Agnaten des fürstlichen Hauses Liechtenstein als Angehörige der im Reichsrathe vertretenden Königreiche und Länder zu betrachten und zu behandeln, da das Haus Liechtenstein seiner Abstammung nach den österreichischen Erbländern angehört und da selbst nach Erlangung des Fürstenstandes der Familie die Fürstenthümer Troppau und Kromau nur unter Vorbehalt „aller gemeinen Anlagen und Steuern, Biergefälle, Grenzzölle, und alles dessen, was Ihro Majestät gebührt und gefolget wird“, beziehungsweise unter „kräftiglicher Reservation aller königlichen Regalien, Rechte und Gerechtigkeiten für die Könige zu Böheimb und Markgrafen zu Mähren“ verliehen worden sind.

Dem entsprechend hat auch die Regierung nie Anstand genommen, den Mitgliedern des fürstlichen Hauses Liechtenstein die an die Eigenschaft eines österreichischen Staatsbürgers geknüpften Rechte zuzuerkennen und zu gewähren, ohne dass es je vorgekommen wäre, dass ein Mitglied des fürstlichen Hauses vorher ausdrücklich und vorbehaltlos die österreichische Staatbürgerschaft hätte erwerben müssen.

Ich erinnere nur daran, dass drei Mitglieder des fürstlichen Hauses erbliche Mitglieder des Herrenhauses das Reichsrathes sind, [3] dass mehrere Agnaten im k. k. Militärdiensten stehen und dass ein Prinz als Abgeordneter für den Landgemeindewahlbezirk Hartberg, Weiz etc. in Steiermark dem Abgeordnetenhause des Reichsrathes angehört. [4]

Die oben angeführten Daten geben auch den Beweis dafür, dass die Mitglieder des fürstlichen Hauses sich Kraft ihrer Abstammung schon als österreichische Staatsbürger betrachten und staatsbürgerliche Rechte in Anspruch nehmen.

Was die Exemtion anbelangt, welche für die Söhne des regierenden Fürsten, eventuell für jene des Erbprinzen beansprucht wird, beehre ich mich, darauf hinzuweisen, dass mit Allerhöchster Entschliessung vom 30. Juli 1851 allergnädigst bewilligt wurde, dass rücksichtlich des hier ansässigen und domizilirenden souv. Fürsten von Liechtenstein, seiner Gemahlin und seiner im elterlichen Hause sich aufhaltenden minderjährigen und unvermählten Kinder bei allen sich in Österreich ergebenden Rechtsangelegenheiten, welche sich auf diese, als exterritorial anzusehenden Personen und auf ihr bewegliches Vermögen beziehen, das Obersthofmarschall-Amt einzuschreiten habe (: Erlass des Justizministeriums vom 10. August 1851 Rgb. No. 183:). [5]

Diese gemäss der vorstehend citirten A.H. Entschliessung als exterritorial anzusehende Personen können selbstverständlich durch unsere Gesetze für ihre Person nicht verpflichtet, daher auch zu den Pflichten österreichischer Staatsbürger nicht herangezogen werden.

Alle anderen Agnaten des fürstlichen Hauses, welche nach dem Vorstehenden als österreichische Staatsbürger zu betrachten sind und die österreichischen Staatsbürgern vorbehaltenen Rechte inne haben, müssen auch zu den Pflichten österreichischer Staatsbürger herangezogen werden, da nach Art. 2 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867, R. G. B. No. 142, alle Staatsbürger vor dem Gesetze gleich sind. [6]

In Ermanglung einer gesetzlichen Grundlage kann vom Ministerium des Innern die in Punkt 2 erwähnte erweiterte Exemtion von den gesetzlichen Pflichten grundsätzlich nicht anerkannt werden.

Indem ich die Ehre habe, diese Erwägungen in Erledigung der Eingangs erwähnten geschätzten Zuschrift zur Kenntnis Eurer Exzellenz zu bringen, erlaube ich mir auf Grund der mir persönlich zugekommenen Informationen die vertrauliche Eröffnung beizufügen, dass die Intention des Fürsten eigentlich auf die Zuerkennung einer günstigeren Rangstellung bei Hofe für die Mitglieder seines Hauses gerichtet ist, [7] in welcher Beziehung sich jedoch die Eingabe desselben meiner Einflussnahme zur Gänze entzieht. [8]

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[1] AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Fremde Souveraine, Staaten, Karton 53, Liechtenstein (Aktenzeichen des Innenministeriums: 2737) bzw. als Kopie unter LI LA SgK 037. Das Schreiben ging am 15.8.1887 beim österreichisch-ungarischen Aussenministerium ein (Aktenzeichen: 20024/7).
[2] Ebd. (Aktenzeichen: 15940/7).
[3] Handschriftlich eingefügt ist hier ein Verweis auf den regierenden Fürsten Johann II., weiters auf den General der Kavallerie, den im Frühjahr 1887 verstorbenen Fürsten Franz und schliesslich auf Oberstleutnant Fürst Rudolf. Nur auf den Letzteren passe die Bemerkung über das Herrenhaus. – Tatsächlich gehörten nach den stenographischen Protokollen des Herrenhauses des Reichsrates diesem zum Stichtag vom 22.4.1885 Fürst Karl, Fürst Franz, Fürst Friedrich und Fürst Johann an. Am 23.1.1891 sind Fürst Alfred [Alois], Fürst Karl und Fürst Johann für das Herrenhaus verzeichnet.
[4] Nach den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses des Reichsrates gehörten diesem zum Stand vom 22.4.1885 Fürst Alfred [Alois] und Fürst Alois [Aloys], beide für das Kronland Steiermark, an. Diese waren in der nachfolgenden Legislaturperiode nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten (Stand vom 18.12.1890).
[5] Erlass des Justizministeriums vom 10.8.1851, wirksam für den ganzen Umfang des Reiches, womit die Allerhöchste Entschliessung vom 30.7.1851 kundgemacht wird, mittelst welcher dem souveränen Fürsten von Liechtenstein für sich und seine Familie und den Gliedern des Hauses Bourbon älterer Linie der Gerichtsstand des Oberhofmarschall-Amtes bewilligt wird, öst. RGBl. 1851 Nr. 183. 
[6] Staatsgrundgesetz vom 21.12.1867, über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder, öst. RGBl. 1867 Nr. 142.
[7] Vgl. das Allerhöchste Handschreiben von Kaiser Franz Josef I. an den Ersten Obersthofmeister Konstantin von Hohenlohe-Schillingsfürst vom 4.5.1888 betreffend die Hofrangordnung und die Staatsbürgerschaft der sukzessionsberechtigten fürstlich-liechtensteinischen Agnaten (AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Karton 53, Liechtenstein, bzw. LI LA SgK 013).
[8] Auf das neuerliche Schreiben des Aussenministers Kalnoky vom 30.10.1887 hin zog das Innenministerium am 6.12.1887 die Wünsche von Fürst Johann II. nochmals in Erwägung. Es hielt dabei fest, dass im einzelnen konkreten Fall die Entscheidung über die Staatsbürgerschaft der Judikatur vorbehalten bleiben müsse. Nur bezüglich jener Mitglieder des fürstlichen Hauses, welchen das Recht der Exterritorialität zugestanden wurde, könne der Grundsatz anerkannt werden, dass dieselben im Grunde und vom Zeitpunkt der Allerhöchsten Entschliessungen vom 30.7.1851 und vom 3.10.1880 nicht als österreichische Staatsbürger anzusehen seien. In Konsequenz dessen könne auch prinzipiell anerkannt werden, dass die Deszendenten von Fürst Alois II. von 1851 an und jene des Prinzen Franz von 1880 an überhaupt nur dann als österreichische Staatsbürger angesehen werden könnten, wenn und insoweit diese die österreichische Staatsbürgerschaft in gesetzlicher Weise erworben hätten. Im Übrigen müsse ein Jeder, der die österreichische Staatsbürgerschaft erworben habe, zu den staatsbürgerlichen Pflichten unbedingt herangezogen werden. Eine Befreiung davon könne nur auf legislativem Weg erfolgen (AT ÖStA, HHStA, Ministerium des Äussern, Administrative Registratur F2, Fremde Souveraine, Staaten, Karton 53, Liechtenstein (Aktenzeichen des Innenministeriums: 4087) bzw. LI LA SgK 037). Das österreichisch-ungarische Aussenministerium hielt dazu am 16.12.1887 fest: „Die Antwort des Ministeriums des Innern ist nicht befriedigend.“ Unter solchen Umständen erscheine es im Augenblick fraglich, den Gedankenaustausch mit dem Innenministerium fortzusetzen. Vielleicht finde sich später, etwa bei den Verhandlungen über die fürstlichen Familienstatuten, eine Gelegenheit, auf den Gegenstand zurückzukommen (ebd. (Aktenzeichen: Zu Nr. 29778/7 887)).