Im „Liechtensteiner Volksblatt“ wird u.a. der weitere Ausbau der Eisenbahn bis zur Landesgrenze in Balzers sowie die Realisierung des Lawenakraftwerkes befürwortet


„Einsendung“ eines nicht näher genannten „Bürgers“ im „Liechtensteiner Volksblatt“ [1]

20.12.1918

Nicht rückwärts, vorwärts wollen wir schauen

(Eingesandt)

Heute ist es jedem Liechtensteiner klar, dass bei dem Bahnbau, [2] am Lawenawerk schwer gefehlt wurde. Mit dem Nörgeln an den Fehlern vergangener Zeiten ist uns aber nicht geholfen, wir wollen sie in Ruhe lassen. Wir müssen uns mit den Fragen der Zukunft mit aller Energie befassen. Im Vordergrund steht nach Friedensschluss wieder die Frage des Bahnbaues. Es sollten alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um mit der Schweiz eine Verständigung herbeizuführen betreffs Fortführung der Bahn von Feldkirch nach der Balzner Grenze und mit dortigem Anschluss an die Schweizer Bahnen. Schweizer Interessen kommen hiebei in so geringe Gefahr, dass sie überhaupt für die Schweiz als solche kaum in Betracht kommen, im Gegenteile würde die neue Bahn uns mit dem Nachbarstaate in einen viel regeren Verkehr bringen. Das freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Ländern würde die höchste Entfaltung erlangen. Im Falle aber sich die Schweiz nicht dazu verstehen könnte, den Anschluss an ihre Bahnen an der Balzner Grenze zu gestatten, müssten wir schweren Herzens an andere Verkehrsmittel denken, vielleicht an einen Anschluss an die Rhätischen Bahnen.

Als zweite unserer nächsten Lebensaufgaben dürfte das Lawenawerk in Betracht kommen. Die Kriegsjahre haben uns klar genug gesagt, was wir an ihm gehabt hätten und nicht hatten. Allem voran das unentbehrliche Licht und der Betrieb von Kraftmotoren; und schliesslich hangen auch Tal- und Bergbahnen mit diesem Werk zusammen; kurz gesagt: Ein grosser Teil der Zukunft unseres Landes. Diese Frage ist so wichtig, dass sie nicht überstürzt werden kann und darf. Alle Einzelheiten müssen bis ins Kleinste vorher geprüft werden.

Was den Bau selber anbetrifft, dürfte momentan der Zeitpunkt nicht günstig sein. Es wären aber Verhandlungen mit grösseren Firmen zu pflegen, man könnte es dann klar sehen. Möglicherweise könnten sich die Verhältnisse günstiger gestalten, als man annimmt.

Als dritten Punkt wollen wir erwähnen unseren Holzbestand beziehungsweise Holzhandel, an dem namentlich in letzter Zeit gefehlt wurde. Vor dem Kriegsausbruch hiess es immer, wir haben Holzmangel. Je mehr die Krone sank, der Franken stieg, umsomehr Holz hatten wir zur Verfügung nach dem Auslande, umsoweniger für das Inland. Unsere Gewerbetreibenden müssen das Holz zum Teil aus dem Auslande beziehen in den für das Baugewerbe schlechtesten Zeiten. Geht aber dasselbe wieder günstigen Zeiten entgegen, was ja zu erwarten ist, so sind wir mit dem Holz wieder ganz auf das Ausland angewiesen. Wir werden das Holz teurer bezahlen, als wir es verkauften, trotz dem niedrigen Kronenkurse. Es war ein Fehler, der sich noch schwer rächen wird.

Eine andere Frage wäre noch die:

Die Gemeinden verbrennen jährlich das schönste Bauholz, während aus den fürstlichen Privatwaldungen das Brennholz teilweise nach dem Auslande geht. Hier liessen sich die Verhältnisse gewiss in einem für beide Teile günstigen Sinne lösen, auch wenn das Ausland gar nicht in Betracht kommt. Wir verbrennen ja das teure Bauholz als minderwertiges Brennholz und verkaufen nach dem Auslande das billige, hochwertige Brennholz. Wandel ist hier unbedingt notwendig. Holzausfuhr nach dem Auslande ist gänzlich zu verbieten, wenn wir nicht einer Holzkatastrophe entgegengehen sollen. Bemäntelungen sind hier nicht am Platze. Damit ist nicht gesagt, dass entbehrliches Holz nicht für Kompensationszwecke ausgeführt werden solle. Aber man greife die Reserven nicht zu sehr an. Wir brauchen für Bahnbau und Lawenawerk noch viel Holz.

Als letzte Frage wollen wir den Rückgang der Viehzucht auf Kosten des Ackerbaues, Rückgang des Ackerbaues auf Kosten der Viehzucht und Rückgang von Viehzucht und Ackerbau aus Mangel an Kunstdünger und Mist berühren.           

Vor dem Kriege hatte unsere Viehzucht eine Stufe höchster Blüte erreicht. Die Viehzucht galt unseren Bauern als die beste Einnahmsquelle, man liess die schönsten und fruchtbarsten Äcker eingehen. Man säte Gras und Klee. Je mehr aber die Äcker zurückgingen, umso grösser wurden die Befruchter des Bodens, die Miststöcke.

Diejenigen, welche noch Ackerbau trieben, konnten ihre Äcker gut düngen, ab verhältnismässig kleinen Grundstücken schöne Erträge erzielen. Andere, welche keinen Mist hatten und überhaupt sich mit dieser Arbeit nicht gerne abgeben, unterliessen schliesslich das Anpflanzen gänzlich. Mit dem Kriege änderte sich diese Sachlage gewaltig. Wohl stieg das Vieh um Preise um eine Bedeutendes, aber die Nahrungsmittel für Menschen und Vieh, die wir aus dem Auslande bezogen, blieben immer mehr aus, bis sie schliesslich ganz aufhörten. Ihr Preis stieg zum Teil schliesslich noch mehr, ihre Notwendigkeit aber um ein vielfaches über den Erlös des Viehs. Die Viehzucht ging daher immer mehr zurück auf Kosten des Ackerbaues. Ackerbau und Viehzucht gingen zurück, weil die Miststöcke immer kleiner wurden, der Kunstdünger ausblieb, ohne Düngung aber die Erträgnisse unserer Wiesen und Äcker ganz minimale sind. Die Frage nun, ob der Viehzucht der Vorzug vor dem Ackerbau gebühre oder umgekehrt, wird jeder Bauer selber am schnellsten herausfinden, ohne Zutun der Behörde. Etwas anderes ist es für die Gesamtheit des Volkes und hier wird die Regierung ein Wort mitsprechen müssen. Ackerbau und Viehzucht werden bei aller Hochschätzung unserer Industrie für unser Land immer die Grundlage einer gesunden Volkswirtschaft bilden müssen. Ihrem Gedeihen ist das höchste Interesse entgegenzubringen.

Unsere zukünftigen Handelsverträge werden hiezu auch ein gewichtiges Wort sprechen, sie sind im Stande, das fernere Gedeihen von Ackerbau und Viehzucht zu heben oder auch zu untergraben. Können günstige Handelsverträge abgeschlossen werden, die uns die Zufuhr billiger Lebensmittel sichern, so wird der Ackerbau schnell zu Gunsten der Viehzucht zurückgehen oder auch die Viehzucht, wenn für dieselbe nicht Absatzorte geschaffen werden können.

Die Handelsverträge könnten sich also für einen Teil der Bevölkerung günstig, für den andern ungünstiger gestalten. Die Gesamtheit möchte billige Lebensmittel, der Bauer aber die seinigen wenigstens nicht mit Verlust verkaufen. Es entsteht hier eine entgegengesetzte Strömung, die auszugleichen wäre, der aber auch der Stempel von auswärts noch etwas aufgedrückt werden dürfte.

Die Regierung aber wird darauf zu sehen haben, dass die Haupterwerbsquelle der Bevölkerung keinen allzugrossen Schaden nimmt.

Je schlechter sich die Lage für den Bauern gestaltet, desto eher wird er seinen schweren Beruf an den Nagel hängen, um einen anderen Erwerb zu suchen. Die anfangs besprochenen und befürworteten Projekte werden ihm, wenn sie ausgeführt, den willkommensten Anlass hiezu geben. Es wird auch hier ein Mittelweg gefunden werden müssen und wir haben auch in dieser Beziehung zur neuen Regierung, zu unserm neuen Herrn Landesverweser, dem Prinzen Karl von und zu Liechtenstein, das vollste Vertrauen.

Ein Bürger

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[1] L.Vo., Nr. 51, 20.12.1918, S. 1-2.
[2] Zu den erfolglosen Bemühungen um die Realisierung einer Schmalspurbahn von Landquart über Ragaz, Balzers, Vaduz nach Schaan in den Jahren 1903-1907 vgl. etwa: L.Vo., Nr. 22, 31.5.1907, S. 1-2 („Eisenbahnprojekt Landquart-Maienfeld-Ragaz-Schaan“) oder das Schreiben von Landesverweser Karl von In der Maur an die fürstliche Hofkanzlei vom 14.7.1907 (LI LA SF 02/1907/1266 ad 0327). – 1926 und 1927 gab es erneut diesbezügliche Bestrebungen.