In einem "Eingesandt" im Liechtensteiner Volksblatt wird der Volkspartei das Recht abgesprochen, sich christlich-sozial zu nennen, da sie nicht auf dem Boden der katholischen Religion stehe


Artikel im Liechtensteiner Volksblatt, nicht gez. [1]

29.1.1919

Christlichsozial? (Einges.)

Wer kürzlich den Titel „Christlichsoziale Volkspartei" am Kopfe eines gewissen Programmes las, hat sich sicherlich darüber seine eigenen Gedanken gemacht. Man wird sich dort eben gedacht haben: Kleider machen Leute! Und warum soll man nicht einmal ein katholisches Mäntelchen umhängen? Wenn sich die sogenannte Volkspartei den Namen christlichsozial beilegt, so ist das ein offener Missbrauch dieses Namens, womit man arglosen Lesern Sand in die Augen streuen könnte. Eine christlichsoziale Partei muss auch praktisch auf dem Boden der katholischen Religion stehen. In diesem Punkte aber happerts. Nur einige Tatsachen seien angeführt. Ueber den Verfassungsbruch, der im Widerstreit mit den Grundsätzen der Religion steht, wollen wir uns nicht weiter auslassen. Aber über jene Angriffe kann man nicht schweigen, welche aus diesen „christlichsozialen" Kreisen gegen das Hirtenschreiben des Hochwürdigsten Bischofes zum 60jährigen Regierungsjubiläum unseres Landesfürsten gerichtet wurden. Dort waren eben in unzweideutiger Weise die Grundsätze der katholischen Kirche über die rechtmässige Obrigkeit dargetan und diese Ausführungen mussten manchen unangenehm genug in den Ohren klingen. Warum wurde in Privatkreisen und in sozialistischen Blättern im Auslande gegen diesen „unbefugten Eingriff eines Schweizers in die politischen Verhältnisse Liechtensteins" so Stellung genommen? Wenn eine solche Partei sich noch den Namen „christlichsozial" beilegt, so ist das eher alles als grundsätzlich.

Bezeichnend für die „christlichsoziale" Gesinnung der Herren von der sogenannten Volkspartei sind weiterhin die Angriffe gegen die Herren Geistlichen. Gegen den um unser Land in mehrfacher Hinsicht hochverdienten Herrn Landesvikar [Johann Baptist Büchel] sind abscheuliche Quertreibereien ins Werk gesetzt worden und auf offener Strasse wurden Reden gegen die „Pfaffen" gehalten. Wenn eine Partei in überschwenglicher Weise ihre katholische Gesinnung beteuert und mit grossen Worten auf ihr christliches Programm hinweist, so kann man gar nicht anders denken, als dass ihre Mitglieder stramme Katholiken sind, welche ihre angebliche tiefkatholische Überzeugung auch in der Praxis betätigen. Aber da muss man an das Sprichwort vom Baum und seinen Früchten denken. Dieser „Volkspartei" gehören sogar solche an, welche sich offen als Sozialdemokraten bekennen. Und da hat man noch die Kühnheit, sich als „christlichsozial" auszugeben!!

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[1] L.Vo. 29.1.1919, S. 2