Die Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz lädt das Fürstentum Liechtenstein zur Teilnahme an den Delegiertenversammlungen ein


Maschinenschriftliches Schreiben der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz, gez. Generalsekretär Stephan Bauer, an Landesverweser Karl von In der Maur [1]

27.6.1911, Basel

Hochgeehrter Herr Kabinettsrat,

In der Anlage habe ich die Ehre, Ihnen eine Darstellung [2] der Tätigkeit der internationalen Vereinigung mit der Bitte zu übersenden, diese Seiner Durchlaucht [Johann II.] zur geneigten Annahme empfehlen zu wollen.

Wie aus der Tabelle zu Seite 34 [3] hervorgeht, erhält die internationale Vereinigung als Kostenbeitrag des Internationalen Arbeitsamtes von fast allen west- und mitteleuropäischen Staaten sowie von den Vereinigten Staaten Subventionen. In der letzten Zeit hat sich auch Grossbritannien angeschlossen; Spanien und Portugal dürften folgen. Wir würden uns nun ungemein glücklich schätzen, das Fürstentum unter den Staaten zu erblicken, die unsere Bestrebungen unterstützen, und einen Regierungsdelegierten an unseren Delegiertenversammlungen (die nächste findet 1912 [4] in Zürich statt) begrüssen zu dürfen. Hat doch durch seine neue Gewerbeordnung [5] das Fürstentum bewiesen, dass es hinter keinem der Nachbarstaaten in der Fürsorge für den Arbeiterschutz zurückzubleiben gedenkt und auf dem Gebiete des Kinderschutzes sogar mehr als jene geleistet. Wir geben uns daher auch der Hoffnung hin, dass auf internationalem Gebiete das Fürstentum in die Reihe der vorgeschrittenen Vertragsstaaten treten und im Schosse unserer Vereinigung bei den vorbereitenden Arbeiten künftiger Verträge mitzuwirken bereit wäre. [6]

Indem wir Sie bitten, an höchster Stelle unseren ehrerbietigen Wünschen Ausdruck zu verleihen, verharre ich in ausgezeichneter Hochachtung Ihr ganz ergebener

Generalsekretär

Direktor des Internationalen Arbeitsamtes

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[1] LI LA RE 1911/1422 ad 1341. Aktenzeichen der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz: 1802. Eingangsstempel der Regierung vom 28.6.1911. Verweis auf Bezugsakten Zl. 1374/Reg. 1912.
[2] L’Association Internationale pour la Protection Légale des Travailleurs et l’Office International du Travail 1901-1910. Origines – organisation – oeuvre réalisée – documents. Rapport présénté aux Congrès mondial des Associations internationales. Bruxelles 1910 (LI LA RE 1911/1422 ad 1341).
[3] Tabelle ebd.: Comptes de l’Association Internationale pour la Protection Légale des Travailleurs 1901-1909.
[4] 10.-12.9.1912 (VII. Generalversammlung).
[5] Vgl. das Gesetz vom 30. April 1910 betreffend Erlassung einer neuen Gewerbeordnung, LGBl. 1910 Nr. 3.
[6] Hinsichtlich der angeregten Teilnahme des Fürstentums an den Delegiertenversammlungen der Vereinigung behielt sich die liechtentensteinische Regierung mit Schreiben vom 26.7.1911 vor, „auf diesen Gegenstand in einem späteren Zeitpunkte zurückzukommen“ (LI LA RE 1911/1422 ad 1341 revers). – Zur Anfrage der Vereinigung vom 21.5.1912 betreffend den Beitritt Liechtensteins zum Berner Übereinkommen vom 26.9.1906 über das Verbot der Frauennachtarbeit in der Industrie vgl. LI LA RE 1912/1374.