Das "Liechtensteiner Volksblatt" schlägt die Gründung eines Jugendfürsorgevereins vor, damit Waisen nicht mehr in Armenhäuser gesteckt oder in die Pflege der Mindestfordernden gegeben werden.


Bericht im "Liechtensteiner Volksblatt", nicht gez. [1]

20.6.1923

Jugendfürsorge

Es sei einmal an dieser Stelle ein Gedanken aufgegriffen, der, wenn er durch edeldenkende und uneigennützige Männer und Frauen zur Ausführung käme, sicherlich zum Segen und zur Wohlfahrt für unser Gemeinwesen würde. Gemeint ist die Gründung eines sogenannten Jugendfürsorgevereines, dessen Wirken auch den Kinderschutz in sich zu schliessen hätte. Sich der verwaisten und verwahrlosten Kinder und auch der schulentlassenen Jugend anzunehmen, sich um ihr sittliches und leibliches Ergehen zu kümmern, wäre sicherlich ein Werk, das nur segenbringend wirken kann.

Die Erfahrung zeigt leider, dass die Armenhauserziehung öfter nicht die besten Früchte trägt. Damit sei aber durchaus nicht den ehrw. Schwestern ein Vorwurf gemacht. Es passt eben die andere Umgebung zu den jungen Leuten nicht. Aber auch in Gemeinden, wo keine Armenhäuser bestehen, steht es um die armen verlassenen Geschöpfe nicht besser. Dort werden mitunter diese armen, jeder Liebe entbehrenden Kinder an den Mindestfordernden sozusagen versteigert. In was für Obhut unter diesen Umständen solche junge Menschen manchmal kommen, kann man sich vorstellen. Sind sie einmal nur halbwegs herangewachsen, so werden sie zu Arbeitsleistungen herangezogen, die nicht selten ihrer geistigen und leiblichen Entwicklung hemmend entgegentreten, und an der Beaufsichtigung ausser Hause fehlt es wohl am meisten. "Es ist ja nicht unser Kind", wird man wohl öfters hören können.

Darum seien hier in Kürze endlich einmal einige Gedanken aufgegriffen, wie dieses Werk der Nächstenliebe, das allerdings materielle und persönliche Opfer erfordert, wenigstens in den Grundzügen vorläufig in die Wege geleitet werden könnte.

In jeder Gemeinde des Landes tun sich edelgesinnte Männer und Frauen zusammen, und diese vereinigten sich zu einem Landesverband, um das Werk der Nächstenliebe durch Rat und Tat zu zeigen.

Welch' edle Tat wäre es, einem armen Kinde, das seiner Mutter oder seines Vaters entbehrt, für gute, religiöse und gewissenhafte Zieheltern zu sorgen, welch' edle Tat, einem Verlassenen, der Schule entlassenen Knaben oder Mädchen zu einem guten und anständigen Berufe zu verhelfen.

Wieviel Dank und Segenswünsche würden da geerntet.

Dem Schreiber dieser Zeilen wäre es erwünscht, wenn in dieser Sache, von berufener Seite weitere Anregungen und Vorschläge gemacht würden. Besonders die Mitwirkung der Hochw. Geistlichkeit und der Herren Lehrer ist unbedingt notwendig, denn die kennen die Jugend und wissen wo es fehlt.

Es wäre tatsächlich an der Zeit, wenn in dieser Angelegenheit einmal etwas positives geschaffen würde.

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[1] L.Vo., Nr. 48, 20.6.1923, S. 1-2.