Die Österreichische Staatsbahndirektion in Innsbruck ersucht die liechtensteinische Regierung, den Eisenbahnbediensteten in Liechtenstein Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen abzugeben


Maschinenschriftliches Schreiben der Österreichischen Staatsbahndirektion Innsbruck an die liechtensteinische Regierung [1] 

7.11.1919, Innsbruck

Versorgung der Eisenbahnbediensteten mit Lebensmitteln

An die fürstlich Liechtenstein'sche Landesregierung in Vaduz

Die gefertigte Staatsbahndirektion beehrt sich Mitteilung zu machen, dass das im Fürstentum Liechtenstein diensttuende Eisenbahnpersonale wegen der letzten Zeit eingetretenen Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung vorstellig wurde. Abgesehen davon, dass die Preise für Landeserzeugnisse wie Fleisch, Fett, Milch und Käse täglich steigen, macht sich auch eine grosse Härte dadurch geltend, dass die Produzenten immer mehr darnach streben, ihre Waren nur gegen Bezahlung in Frankenwährung abzusetzen.

Nach Kundmachung des Ernährungskommissärs [Franz Josef Schlegel] vom 18. Oktober, Zl. 1376/E, [2] wird in Hinkunft von der Landesnotstandskommission Fett nur gegen Bezahlung in Franken bezw. in Kronen nach dem jeweiligen Tageskurse erfolgen. Unter diesen Verhältnissen kommt 1 kg Fett bei dem Tiefstand der österr. Krone bis auf 240.- Kronen zu stehen. Da die Bezüge des Personales auch nicht annähernd ausreichen, um so hohe Beträge für die dringendsten Bedürfnisse des täglichen Lebens aufzuwenden, sind die Bediensteten der grössten Notlage preisgegeben.

Es wird daher das dringende Ersuchen gestellt, der Eisenbahnerschaft Lebensmittel zu erschwingbaren Preisen abzugeben, um die Dienstfähigkeit des Personals zu erhalten. In Liechtenstein sind 57 Bedienstete in Verwendung. Der Gesamtversorgungsstand stellt sich auf 237 Personen, die sich auf 4 Gemeinden in nachstehend angeführter Weise verteilen:

Gemeinde Eschen 67 Personen;

Gemeinde Mauren 69 Personen;

Gemeinde Nendeln 5 Personen;

Gemeinde Schaan 96 Personen.

Um ehestgefällige Mitteilungen der im Gegenstande getroffenen Verfügungen wird dringendst ersucht. [3]

Der Staatsbahndirektor

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[1] LI LA RE 1919/5560 (Aktenzeichen der Staatsbahndirektion Innsbruck: Z. 365/1/W). Unterschrift unleserlich. Eingangsstempel der Regierung vom 12.11.1919.
[2] Vgl. L.Vo., Nr. 84, 22.10.1919, S. 4 („Kundmachung“).
[3] Landesverweser Prinz Karl von Liechtenstein übermittelte das Schreiben der Staatsbahndirektion Innsbruck am 13.11.1919 Ernährungskommissär Schlegel zur ehesten Behandlung in der Landesnotstandskommission (LI LA RE 1919/5560 revers). Die Ortsvorstehungen von Schaan, Eschen und Mauren wurden vom Landesverweser selbentags zur Berichterstattung aufgefordert, wie viele Eisenbahnbedienstete einschliesslich der ständigen Oberbauarbeiter sich dort aufhielten, wie gross der Zahl der von diesen Bediensteten zu erhaltenden Familienmitgliedern sei und in welcher Weise diese derzeit mit Lebensmittel versorgt würden. Ferner war die Anzahl der betroffenen Liechtensteiner und Österreicher zu eruieren. Die entsprechenden Berichte der Gemeinden datieren vom 17. und 20.11.1919. – Mit Schreiben vom 11.12.1918 wurde die Staatsbahndirektion Innsbruck erneut bei der liechtensteinischen Regierung vorstellig und stellte nochmals das dringende Ersuchen, die Dienstfähigkeit des Personales durch die Zuweisung entsprechend verbilligter Lebensmittel sicherzustellen (LI LA RE 1919/6147 ad 5560 (Aktenzeichen der Staatsbahndirektion Innsbruck: Zl. 365/2/W)). Ernährungskommissär Schlegel teilte der Staatsbahndirektion Innsbruck mit Schreiben vom 15.1.1920 mit, dass die ganze Not im Tiefstand der österreichischen Krone zu suchen sei, während hierzulande vielfach auch in Franken gehandelt werde. Die geographische Lage Liechtensteins sei derart, dass gerade hier die „Valuta-Extreme“ unmittelbar aufeinanderträfen. „Hierdurch wird ein Übelstand bedungen, an dem die Landesnotstandskommission nichts ändern kann“ (LI LA RE 1919/5560 (Aktenzeichen: Z. 1440/E)).