Ein Einsender fordert in den Oberrheinischen Nachrichten trotz Beamtenabbau die Schaffung einer Wirtschaftskammer zur allgemeinen Wirtschaftsförderung und Arbeitsbeschaffung


Nichtredaktioneller Beitrag in den Oberrheinischen Nachrichten, nicht gez. [1]

23.1.1924

Eine Wirtschaftskammer

(Eingesandt.) Mit Interesse las ich in letzter Nummer die Ausführungen über die Notwendigkeit der Gründung einer Kammer für Handel, Arbeit, Gewerbe und Industrie. Man gestatte einem Leser hiezu seine Gedanken zu äussern.

Über die Notwendigkeit einer so beschriebenen Wirtschaftsstelle sollte man kaum mehr viel Worte verlieren müssen. Hierlands muss bei der bekannten Schlepperei in Neusachen und dem Umstande, dass jeder Unberufene am lautesten seine Kritik walten lässt, eine Angelegenheit so lange herumgezogen werden, bis andere schon längst den Speck abgezogen haben. Bewährt sich hintendrein eine Einrichtung, so heisst es: „Ja das haben wir halt nicht gewusst, das hätte können anders sein, das wussten andere auch nicht.“ Alle werden's nie!

Ein hervorragendes Interesse an der Gründung einer solchen Kammer hat nicht zuletzt das Fürstenhaus selber. Bekanntlich sind wir während des Weltkrieges in einer solchen Weise so verkannt worden, dass man von unserer Existenz nichts wusste. Von unserer Neutralität und dergleichen Dingen wusste niemand etwas. Es brauchte denn einer langen und ausführlichen Schrift (Aide-Memoir) an den Völkerbund zur Aufklärung über Bestand des Landes. An einem internationalen Geographenkongress in Rom wussten die meisten Autoritäten nicht, dass oder wo ein Fürstentum Liechtenstein existiere. Dutzende von Beispielen liessen sich noch anführen. Als einziges deutsches Fürstentum und als Kleinstaat im Herzen Mitteleuropas, an der internationalen Linie Wien - Paris, sollte eine solche Verkennung und Unkenntnis nicht vorkommen. Wir halten uns stets über die Fremden hierüber auf. Richtigerweise sollten wir die Schuld an diesem Zustande bei uns suchen, nicht bei den Fremden, die doch wichtigere Sachen zu besorgen haben. Die internationale Geltung des Fürstenhauses und des Landes hängt von einer geschickten Propaganda ab. Aufklärungsarbeit über alle Gebiete unseres kleinen Vaterlandes tut not. In verdankenswerter Weise hat sich die Regierung zur Herausgabe eines Fremdenführers und eines Landes-Adressbuches veranlasst gefunden. Es ist heute schon festzustellen, dass besonders der Führer viel zur Aufklärung über Liechtenstein beigetragen hat. Die Erfahrungen mit dem Führer legen die Mahnung nahe, in ganz anderer Weise aufklärend tätig zu sein. Die Aufklärungsarbeit muss systematisch und nachhaltend, sie soll sich nicht nur auf den Führer, sondern auch auf Zeitungen und Zeitschriften der verschiedensten Zweige und in den verschiedensten Ländern erstrecken. Notwendig ist die Schaffung einer Landkarte, zu Schul- und Touristenzwecken, notwendig periodische Aufklärung über die Wirtschaftslage. Die ganze Fremdenverkehrsfrage ist in ganz anderer Weise als bisher im Interesse unseres Landes aufzurollen, und es könnte die Kammer gleichzeitig die Aufgaben eines Fremdenverkehrsbureaus besorgen. Was tun Ortschaften der Nachbarschaft und was haben wir unter lassen! Malbun wäre nicht nur für den Sommer-, sondern auch für den Wintersport geeignet. Durch Einrichtung von Passantenstellen könnte mancher sein Brot verdienen.

Die Regelung und Ordnung des Arbeitsmarktes fürs Inland ist gleich wichtig. Die Kammer könnte die Aufgaben übernehmen, die anderswo ein Arbeitsamt besorgt. Beratung in Berufs-, besonders Lehrlingssachen, Aufsuchung von Stellen. Wie arg liegt hierlands das Lehrlingswesen, trotz aller schönen Polizeibestimmungen der Gewerbeordnung darnieder. Aufklärung, Hilfe, Beratung, Anhandgehen ist wichtiger als unverständliche Polizeivorschriften, denen jeder Boden abgeht.

Zuerst sollten die Einheimischen daran kommen, und hernach, soweit zulässig, Auswärtige.

Die Heranziehung von Industrie und Gewerbe, das den Leuten Verdienst in der Heimat bringt, wäre eine der vornehmsten Aufgaben. Man denke an die Einführung der Korbflechterei in Vorarlberg. Es muss aber immer und immer wieder und einheitlich hieran gearbeitet werden. Die Kammer sollte mit den bedeutenderen Auslands-Liechtensteinern in Verbindung treten. Neu-Liechtensteiner haben zum Teil wichtige Posten in Handel und Industrie inne, und sie sollten zur Mitarbeit, zum Aufbau ihrer neuen Heimat in wirtschaftlicher Hinsicht eingeladen werden. Es ist gewiss, dass manche beratend gerne mithelfen würden.

Nicht minder wichtig ist die Heranziehung von neuen Steuerobjekten zur Vermehrung der Gemeinde- und Landeseinnahmen und zur Entlastung einheimischer Steuerträger. Auf diesem Gebiete lässt sich bei geschickter Arbeit noch mancher Batzen herausschlagen. Warum sollen die Leute nicht zu uns kommen, sondern nur zu andern, und warum regen sich manche Blätter der Nachbarschaft so auf? Auch Liechtenstein will ein gutes Plätzchen an der Sonne, daran lässt es nicht rütteln.

Wenn die Kammer segensreich in dem angedeuteten Sinne für alle Bevölkerungskreise arbeitet, ist nicht einzusehen, weshalb nicht das Land einen entsprechenden Kredit bewilligt. Dass die Kosten gering seien, wie im letzten Artikel steht, bezweifle ich, ist aber bei der in Betracht kommenden Grösse der Aufgaben und der relativen Kleinheit der Kammer (1 Angestellter) nicht entscheidend. Die vertragliche Anstellung eines tüchtigen, umsichtigen und kaufmännisch erfahrenen Mannes darf durchaus nicht gleich mit dem Schlagwort Beamtenvermehrung oder mit der höhnischen Frage: Ist das Beamtenabbau? abgetan werden. Die Stelle soll sich in erster Linie indirekt bezahlt machen durch Hebung des Verdienstes. Wir dürfen nicht kleinlich, sollen aber im Kleinen grosszügig sein. Wenn denn schon für die Landwirtschaft – und mit Recht – soviel, ausgeworfen wird, so darf man für diese und andere Erwerbszweige zusammen noch viel mehr auswerfen für eine Stelle, an der Alle ein Interesse haben. Sicherlich dürfte auch die Schatulle des Fürsten, der an einer solchen Stelle selbst ein grosses Interesse haben muss, geöffnet sein. Möchten doch unsere Behörden beizeiten in dieser Sache zum Rechten sehen!

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[1]O.N. 23.1.1924, S. 1 f.