Die schweizerischen Bischöfe schliessen Personen, die sich offen zum Sozialismus bekennen oder für diesen kämpfen, vom Empfang der Sakramente aus


Abdruck des "Bettagsmandates" der Schweizer Bischofskonferenz im "Liechtensteiner Volksblatt" vom 25.9.1920, gez. Jakob Stammler, Georg Schmid von Grüneck, Robert Bürkler, Aurelio Bacciarini, Viktor Bieler, Marius Besson und Joseph-Tobie Mariétan [1]

29.7.1920, Luzern

Ansprache der schweizerischen Bischöfe an die Gläubigen ihrer Diözesen auf den Eidgenössischen Bettag 1920 [2]

Die vereinigten Bischöfe der Schweiz allen Gläubigen ihrer Diözesen Gruss und Segen im Herrn.

Geliebte Diözesanen!

Am Tage, da das gesamte Volk der Eidgenossen dem Allmächtigen im Gebete huldigt, ihm dafür dankt, dass mitten in der Brandung des Weltkrieges die Schweiz ein Eiland des Friedens und der versöhnenden Liebe bleiben durfte, empfinden wir es als unsere Pflicht, auf das Hirtenschreiben des Hl. Vaters [Benedikt XV.] vom 23. Mai 1920 [3] hinzuweisen. In wahrhaft apostol. Worten redet er darin vom Frieden. Der Stern des Friedens, von den Guten gewünscht, von den Frommen erbetet, von den Tränen der Mütter herbeigefleht, habe endlich begonnen, den Völkern aufzugehen. Aber noch seien viele Keime alten Grolles vorhanden. Wenn gegenseitige Liebe den Hass nicht lösche, könnte der Friede trotz aller Verträge keinen Bestand haben. Nun sei aber das Christentum das "Evangelium des Friedens". Einander lieben, einander verzeihen, einander Gutes tun, sei eine Pflicht, die der Heiland und die Apostel mit allem Nachdruck eingeschärft. Solcher Liebe Vorbild sei der barmherzige Samaritan. Mit bewegten Worten mahnt der Papst einerseits nichts zu unterlassen, um den Armen zu helfen, die Betrübten zu trösten, die Kranken zu heilen, die Opfer des Krieges zu unterstützen; anderseits alles zu vermeiden, was gegenseitig reizen und verbittern könnte. Diese Mahnung richtet der Hl. Vater besonders eindringlich an die Männer der Presse. Der Geist der Liebe müsse herrschen nicht nur von Mensch zu Mensch, sondern auch von Volk zu Volk und müsse auch die Seele der Völkerverträge bilden.

Indem wir, vielgeliebte Brüder, mit diesem hochherzigen Ruf nach Friede und Versöhnung, der vom Stuhle Petri in die Welt erging, auch unsere Stimme vereinigen, sehen wir uns veranlasst, Euch vor einem Geist zu warnen, der mehr als jeder andere den Frieden und die Versöhnung zu stören sucht. Es ist der Geist der Revolution, des Umsturzes, als dessen vordersten Träger heute der Sozialismus oder Kommunismus sich selbst bezeichnet. Obschon die Kirche schon oft vor ihm gewarnt, gilt doch das Wort des Propheten: "Rufe ohne Aufhören, wie eine Posaune erhebe deine Stimme" (Js. 58, 1). Dazu kommt der Umstand, dass der Sozialismus sein wahres Antlitz weder immer noch überall ganz sehen lässt, ja sogar dass er Unerfahrene mit dem Schmeichellaut zu betören sucht, er, der Sozialismus, sei der wahre Sohn des Christentums. In Wirklichkeit ist er sowohl in seiner Grundlage, als in seinen Hauptzielen und in seiner vollen Auswirkung der schärfste Abfall und Gegensatz zum Christentum.

1. Der grosse Papst Leo XIII. erklärte in seinem Rundschreiben vom 28. Dezember 1878 "Über die Sekte der Sozialisten oder Kommunisten" [4] : "Zwischen ihren falschen Lehrsätzen und der reinen Lehre Christi ist ein so grosser Widerspruch, wie er grösser gar nicht sein könnte. Denn, welche Gemeinschaft hat die Gerechtigkeit mit der Ungerechtigkeit? Oder wie kann sich Licht zur Finsternis gesellen?" (2 Cor. 6, 14.)

Unvereinbar mit dem Christentum ist die Hauptgrundlage des Sozialismus: der vollendete Unglaube oder Atheismus. Keine gottesgestiftete Kirche, keine übernatürliche Erlösung durch Christus, kein jenseitiges Gericht, keine Willensfreiheit, keine Unsterblichkeit, keine geistige Menschenseele, keine Vorsehung, kein Gott: dieses furchtbare Nein, diese entsetzliche Empörung gegen den Himmel ruft der Sozialismus in die Welt. Da können die Worte des Propheten gelten: "Er wird sich erheben und gross tun wider jeden Gott und wider den Gott der Götter wird er gross sprechen … er wird den Gott seiner Väter nicht achten … und nach keinem Gotte fragen; denn er wird sich wider alles auflehnen." (Daniel 11, 36, 37). Wohl sagen sie: "Religion ist Privatsache." Es ist, als wenn die Lawine beteuern würde: "Für Mensch und Baum und Haus, die ich im Sturz berühre, ist es Privatsache, weiter zu existieren" – die Lawine fegt sie fort. Und wie einst Holofernes auf seinem Siegeszuge alles verwüstete, auch die religiösen Stätten, die heiligen Haine umhieb, so liegt es in der Folgerichtigkeit und im System des Sozialismus, nicht nur dem Christentum immer fremd und fern zu sein, sondern es zu bekämpfen und auszurotten.

Unvereinbar mit dem Christentum sind gewisse Grundforderungen des Sozialismus. Es soll das Privateigentum abgeschafft werden; nur so schaffe man Gleichheit und banne die Armut. Was lehrt aber das Christentum? Freilich, es brandmarkt den sündhaften Erwerb, den ungerechten Besitz und die Verwendung des Vermögens ohne Rücksicht auf das Gebot der christlichen Nächstenliebe. Feierlich verkündet aber das Gebot vom Sinai auch: "Du sollst nicht stehlen; du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus ... noch alles, was sein ist" (Exodus 20). Christus hat dieses Gebot ausdrücklich bestätigt (Mt. 19, 18). Die Kirche hat das Recht auf Privateigentum stets geschützt.

In seinem berühmten Rundschreiben über die Arbeiterfrage [5] hat Leo XIII. die Forderung des Sozialismus auf Abschaffung des Privateigentums verworfen und erklärt, wer die soziale Frage lösen wolle, müsse von dem Punkte ausgehen, der gerechte Privatbesitz sei unantastbar. Auch Papst Pius X. betonte, der Mensch habe einen naturrechtlichen Anspruch nicht nur auf den Gebrauch, sondern auch auf den Besitz von Gütern, nicht nur auf Verbrauchsgüter, sondern auch auf andere, gleichviel ob sie durch Erbschaft, durch Arbeit oder Schenkung erworben seien (Motu Proprio 18. Dezember 1903). [6]

Unvereinbar mit dem Christentum ist der Sozialismus, weil er die Familie in der Wurzel zerstören will. Der Ehe nimmt er die Heiligkeit, indem er sie des sakramentalen Charakters und der unantastbaren Würde entkleidet. Die Hl. Schrift aber sagt: "Die Ehe ist ein grosses Sakrament, ich sage aber in Christus und in der Kirche" (Ephes. 5, 32); und wiederum: "Ehrbar sei die Ehe in allem" (Hebr. 13, 4). Der Sozialismus nimmt der Ehe die Unauflöslichkeit. Die Hl. Schrift aber sagt: "Was Gott verbunden, soll der Mensch nicht trennen" (Mt. 19, 6).

Der Sozialismus zerstört das vierte Gebot Gottes, die Rechte und Pflichten der Eltern und Kinder gegeneinander, indem er die unbedingte Gleichheit aller verkündet. Das Christentum aber sagt, dass die Menschen zwar gleich sind, insofern alle die gleiche Natur haben, zur gleichen Würde der Gotteskindschaft berufen sind, bestimmt für das gleiche ewige Ziel, unterworfen der gleichen Gerechtigkeit im Diesseits und Jenseits, dass es aber dabei gerade in der Familie eine Verschiedenheit an Recht und Gewalt gibt, die von Gott stammt, "von dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden herkommt" (Ephes. 3, 15). Es gebietet: "Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn … Ehre deinen Vater und deine Mutter, denn das ist das erste Gebot mit der Verheissung, dass es dir wohl gehe und du lange lebst auf Erden. Und ihr Väter, erbittert eure Kinder nicht, sondern erziehet sie in der Lehre und Zucht des Herrn" (Ephes. 6, 1-4).

Endlich verkündet der Sozialismus das unbedingte Recht auf Revolution und die Abschaffung der staatlichen Regierungsgewalt. Unter steter Aufpeitschung des Klassenhasses treibt er zur Gewalttätigkeit gegen Schuldlose, zum entsetzlichsten aller Kriege, zum Bürgerkrieg. Die Hl. Schrift aber sagt: "Jedermann unterwerfe sich der obrigkeitlichen Gewalt; denn es gibt keine Gewalt ausser von Gott, und die, welche besteht, ist von Gott angeordnet. Wer sich demnach der obrigkeitlichen Gewalt widersetzt, der widersetzt sich der Anordnung Gottes; und die sich widersetzen, ziehen sich selbst die Verdammnis zu ... Gebet also jedem, was ihr schuldig seid: Steuer wem Steuer, Zoll wem Zoll, Ehrfurcht wem Ehrfurcht, Ehre wem Ehre gebührt" (Röm. 13, 1 f.). "Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" (Mt. 22, 21). Eigenmächtige, willkürliche Revolution gegen die rechtmässige Regierung erklärt die katholische Kirche für unerlaubt. Anderseits ermahnt die Hl. Schrift die Inhaber der Gewalt: "Von dem Herrn ist euch die Macht gegeben ... der eure Werke untersuchen und eure Gedanken erforschen wird. Denn wenn ihr als Diener seines Reiches nicht recht gerichtet, das Gesetz der Gerechtigkeit nicht beobachtet und nach dem Willen Gottes nicht gehandelt habet, wird er schrecklich und schnell über euch kommen … denn einem Geringen widerfährt Barmherzigkeit; aber die Mächtigen werden mächtig gestraft werden." (Weisheit 6, 4-7).

So liegt es im System und in der Folgerichtigkeit des Sozialismus, mit allem aufzuräumen, was das Christentum stets wie seinen Lebensnerv gehütet hat: Gott, Seele, Religion, christliche Schule, Privateigentum, Ehe, Autorität, väterliche und staatliche Gewalt, Gesetze und Einrichtungen, soweit sie nicht sozialistischen Ursprunges sind, sind der Abschaffung und Zerstörung geweiht. Der Sozialismus hält sich für den Herrn der nächsten Zukunft. Was er durch den ehernen Gang der Dinge nicht erreicht, will er erzwingen durch Drohung und Gewalt. Kühn erhebt er sein Haupt, rastlos ist sein Mühen, gross die Zahl seiner bewussten und unbewussten Helfer. Und wenn dann am Bau der bürgerlichen Gesellschaft der Mörtel abgeschlagen, die Fugen gelöst, die Wächter auf der Zinne betört sind, wenn die Stützen wanken, die den Giebel trugen, wenn selbst die Fundamente bersten, dann droht weithin jäher Einsturz.

2. Bei dieser Sachlage bitten und beschwören wir diejenigen, in deren Hand das öffentliche Leben liegt, dem Sozialismus oder Kommunismus als solchem jede Förderung zu versagen.

Eine Förderung wäre es aber, wollte man das Staats- und Familienleben, das Unterrichts- und Erziehungswesen in der Weise gestalten, dass die christliche Religion dabei zu Schaden käme. Das Ungeheuer der Revolution von Zeit zu Zeit mit dem Bajonett zurückdrängen, hilft nicht. Den Wildbach bändigt man nicht, indem man unten im Tal rasche Notdämme aufwirft; im Gebirg, im ersten Einzugsgebiet sind Verbauungen anzulegen. Viel Idealismus lebt im Volke. Aber wird es Ordnung und Obrigkeit gebührend achten, wenn auf den Lehrstühlen und in der Presse ein Geist herrscht, der das Christentum herabwürdigt, wenn die Autorität von heute aus der Revolution von gestern stammt, wenn der Besitz von heute den Raub von gestern verherrlicht? Wird das Volk in seiner Lebenshaltung bescheiden, genügsam sein, wenn die oberen Schichten masslos geuden? Wird es zufrieden und opferwillig arbeiten, wenn andere in unersättlicher Selbstsucht dem Wucher und der Ausbeutung ungeahndet fröhnen dürfen? Wird es Pietät und Anhänglichkeit nach oben betätigen, wenn von dort nur Unverstand, Geringschätzung, Missachtung kommen, wenn es nur Sockel sein soll für die Reichen und Grossen? Soll das öffentliche Leben, soll Staat und Gesetz anders und besser werden, so müssen zuerst die Menschen anders und besser werden. Denn Verfassung und Gesetz wachsen, wie ein Philosoph des heidnischen Altertums sagt, nicht aus den Felsen und Eichen heraus, sondern aus der Sinnesart der Staatsbürger (Plato, der Staat 8, 2). Soll wieder ein Geschlecht erstehen, das opferwillig, vaterländisch denkt und handelt, wird in Gesellschaft, in Familie und Schule ein neuer Geist, ein neues Pfingsten flammen müssen. Oder will man, hartnäckiger als Antiochus, auch dann seinen Sinn nicht ändern, wenn die Gesellschaft bereits gelähmt und in Zersetzung ist? Scheut man denn das Heilmittel mehr, als man die Heilung wünscht?

Eine Förderung des Sozialismus oder Kommunismus wäre es auch, wollte man die Freiheit der Kirche unterbinden und sie hindern, unter den Menschen ihre vollen Segenskräfte der Wahrheit und Gnade zu entfalten. Die Perle der Freiheit ist zu kostbar und zu teuer erkauft, als dass sie jedem wahllos und schrankenlos preisgegeben würde. Die Freiheit darf nicht gehen bis zur Selbstvernichtung. Wo sie die Fahne des allgemeinen Umsturzes entrollt, wo sie die Brandfackel der Zerstörung schwingt, wo sie den Rahmen der öffentlichen Ruhe und Ordnung leichtfertig sprengt, wo sie zur "Freiheit des Unterganges" werden will, möge ihr ein Halt geboten werden. Aber unbegreiflich wäre es, wollte der Staat die Freiheit derjenigen beschränken, die Ruhe und Ordnung halten und schützen, in deren Herz und Kirche neben der hl. Ampel der Gottesliebe auch die geweihte Ampel der Vaterlandsliebe leuchtet. Dass diese Einsicht im Geist und Gemüte aller Eidgenossen sich immer mehr Bahn breche, ist unser Wunsch und unser inniges Gebet zu Gott am hochfeierlichen Tage, da die Eidgenossen gemeinsam vor Gott, dem Herrn, sich betend neigen.

Euch aber, hochwürdige Seelsorger, bitten wir, erkläret dem Volke, dass wir jederzeit für die soziale Besserstellung des Volkes einzustehen bereit sind, dass wir aber niemals billigen können, dass dieses Ziel mit unerlaubten Mitteln angestrebt werde, wie Aufruhr, ungerechte Arbeitseinstellung, Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten gegen Arbeitswillige und dergleichen mehr; machet das Volk aufmerksam auf die Gefahren, die von Seite des Sozialismus drohen. Die Aufklärung eines Volkes ist schwer, aber möglich, und heute leichter als früher. Tage des Leidens sind Tage der Erleuchtung. Eine einzige Sturmnacht lässt tausend Keime reifen. Manches Feld ist reif geworden zur Ernte. Der Brand des Weltkrieges hat Licht auf Wahrheiten geworfen, die früher dunkel schienen und nicht verstanden werden wollten. Mögen alle Christen es immer wieder beherzigen: Die irdischen Güter sind weder die einzigen, noch die höchsten. Der Heiland, der, da er reich war, selbst arm geworden ist (2 Cor. 8, 9), ruft uns zu: "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird auch hinzugelegt werden" (Mt. 6, 33). Der hl. Paulus brandmarkt das masslose Streben nach Geld und Gut mit den Worten: "Die Wurzel aller Übel ist die Habsucht; einige, die sich ihr ergaben, sind vom Glauben abgefallen" (1 Timoth. 6, 10). Und der Prophet Jsaias ermuntert zu tatkräftigem Christentum mit den Worten: "O dass du in Acht genommen meine Gebote! Dann wäre dein Friede wie ein Strom geworden, und deine Gerechtigkeit wie die Abgründe des Meeres" (Js. 48,18).

Dem siegreichen Holofernes unterwarfen sich einst die Länder und Städte der Reihe nach; sie empfingen ihn sogar freudig mit Fackeln, mit Reigen und Kränzen. Aber obwohl sie dieses taten, konnten sie doch die Grausamkeit seines Herzens nicht besänftigen (Judith 3, 9-11). Nur eine kleine Stadt, der Schlüssel zum hl. Lande, Bethulia rüstete sich mutig zum Widerstand. Hier scheiterte die Kriegsmacht des gewaltigen Holofernes, hier fiel sein Ruhm und sein Haupt.

Bethulia, das sich dem Holofernes von heute, dem Sozialismus, entgegenstellt, sei du, katholisches Volk! Das feste Bollwerk deines Gewissens soll dem Herold des Antichrist trotzen. Erkenne unter dem Schafskleide der Schmeichelreden den reissenden Wolf, der alles verschlingen will: Privateigentum, Familie, Autorität, Religion. Wenn er dir die ganze Welt verspricht, falle nicht nieder, ihm zu huldigen. Verteidige, baue den Tempel katholischen Lebens. Baue ihn wie die Israeliten in angustia temporum – trotz der Zeiten Ungunst (Dan. 9, 25); baue ihn, auch wenn man dich bedroht und umzingelt; denn nicht dem Furchtsamen, sondern dem Mutigen ist der Himmel verheissen. Baue ihn nicht neben, sondern auf das Kreuz. "Das Kreuz", sagt der hl. Hieronymus, "ist die Säule des menschlichen Geschlechtes; an dieser Säule ist sein Haus errichtet" (Über den Psalm 95). Und der hl. Geist gibt uns die Versicherung: "Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube" (1 Jo. 5, 4).

Als einst über das mächtige Römerreich die Sturmwoge der Völkerwanderung hereinbrach, klagte der hl. Hieronymus: "Durch unsere Sünden sind die Barbaren stark, durch unsere Fehler wird das römische Heer besiegt. Das Römerreich bricht zusammen, aber die Ursachen unserer Übel schneiden wir nicht ab" (Epist. 35). Um das Unheil des Sozialismus fern zu halten, scheuet auch Opfer nicht. Wir sagen daher denjenigen, die in den Reihen des Sozialismus stehen, sei es, dass sie sich zu dessen Lehranschauung und Wesen bekennen, sei es, dass sie aus gewissen Rücksichten und Befürchtungen widerwillig mitmachen, ihnen allen sagen wir mit dem Propheten: "Fliehet aus Babylon!" (Jeremias 50, 8). Bildet eine gemeinsame, eine geschlossene, eine katholische Front gegen den Umsturz. Oder was wollet ihr, auch nur als Mitläufer, unter einem Banner marschieren, das die Kirche nicht segnet, sondern verurteilt? Was wollt ihr durch irgendwelche Mitwirkung die Reihen derjenigen verstärken, deren Weltanschauung und deren Hauptziele durchaus widerchristlich sind?

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Auf Grund obiger Darlegung sehen wir uns, wie die Bischöfe anderer Länder, veranlasst, unsere Glaubensbrüder vor dem Eintritt in sozialistische Vereine und Verbände ernstlich zu warnen und für den Bereich unserer Bistümer folgende Richtlinien aufzustellen:

1. Wer zum Sozialismus als System, zu seinen Grundanschauungen und Hauptzielen sich offen bekennt, oder wer offen für die sozialistische Sache kämpft und wirbt, entbehrt, solange er in dieser Gesinnung unbelehrbar verharren will und verharrt, derjenigen Vorbedingung, welche zum würdigen Empfang eines Sakramentes unerlässlich ist.

2. Wer glaubt, aus schwerwiegenden Gründen gezwungen zu sein, einem sozialistischen Verbande anzugehören, ohne dass er zum Sozialismus als System sich bekennt oder für die sozialistische Sache wirkt (agitiert), der hat sich darüber mit seinem Pfarramte zu verständigen.

3. Wird vom Pfarramte ein vorläufiges Verbleiben als duldbar erklärt, so ist unterdessen alles zu tun und zu meiden, hauptsächlich in Bezug auf sozialistische Presserzeugnisse – damit für ihn oder andere keine schweren Gefahren der Seele erwachsen.

Wir haben pflichtschuldig diese Weisungen erlassen, um euch, geliebte Diözesanen, vor dem zeitlichen und ewigen Verderben zu bewahren, das die sozialistische Irrlehre in ihrer Auswirkung mit sich bringt.

Bei der Liebe Christi aber und bei der Wohlfahrt des Vaterlandes bitten wir euch: Betet für jene, die, von falschen Propheten umworben, in Gefahr sind, wegen zeitlicher Vorteile ihrem hl. Glauben und der Kirche Christi untreu zu werden.

Betet für jene, die bereits in die Schlingen der sozialistischen Vereine geraten sind, auf dass sie im Vertrauen auf Gott und Seine Vorsehung, Mut und Kraft finden, die Fesseln zu sprengen und sich von der Gesellschaft von Menschen loszusagen, die, wie die Schrift sagt, "stets murren und klagen. Ihr Mund redet stolze Worte, und sie schmeicheln den Menschen um des Gewinnes willen" (Jud. 16).

Betet für unser geliebtes Vaterland mit dem seligen Canisius, dass Gott, der Herr, von ihm abwende wohlverdiente Strafen, gegenwärtige und zukünftige Gefahren, schädliche Empörung, Kriege, Teuerung, Krankheiten und betrübte armselige Zeiten.

Betet für die Obrigkeit, auf dass Gott sie erleuchte und stärke in allem Guten, damit sie alles fördere, was zur göttlichen Ehre, zu unserem Heile und zum gemeinen Frieden und zur Wohlfahrt der Christenheit gedeihen mag.

Und dem Gebete folge die soziale Tat. Zur Erhaltung des hl. Glaubens und zur Linderung der vielfachen sozialen Not empfehlen wir eurer Mildtätigkeit insbesondere das Werk der Inländischen Mission, das jährliche Charitasopfer, sowie die christlich-sozialen Werke.

Möge Gott, der gütige Lenker aller Geschicke, unser geliebtes Heimatland auch im Wogendrang der gegenwärtigen Zeit gnädig beschirmen, wie er unsere Väter behütet hat in den Fährnissen vergangener Jahrhunderte!

"Ihm, dem alleinigen Gott, unserem Heilands sei durch Jesum Christum Ehre und Preis, Macht und Gewalt jetzt und in alle Ewigkeit. Amen" (Jud. 25).

Gegeben zu Luzern, den 29. Juli 1920, anlässlich der Konferenz der schweizerischen Bischöfe.

Jakobius [Jakob Stammler], Bischof von Basel und Lugano, Dekan.
Georgius [Georg Schmid von Grüneck], Bischof von Chur.
Robertus [Robert Bürkler], Bischof von St. Gallen.
Aurelius [Aurelio Bacciarini], Bischof von Daulia, apostolischer Administrator im Tessin.
Viktor [Bieler], Bischof von Sitten.
Marius [Besson], Bischof von Lausanne und Genf.
Joseph [Joseph-Tobie Mariétan], Bischof von Bethlehelm, Abt von St. Maurice.

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[1] L.Vo., Nr. 77, 25.9.1920, S. 1-2. Vgl. in diesem Zusammenhang L.Vo., Nr. 96, S. 2 ("Christentum und Sozialismus"); Nr. 97, 4.12.1920, S. 1 ("Christentum und Sozialismus"); Nr. 98, 11.12.1920, S. 1-2 ("Christentum und Sozialismus") und Nr. 99, 14.12.1920, S. 1 ("Christentum und Sozialismus").
[2] Der Eidgenössische Bettag fand am 19.9.1920 statt.
[3] Vgl. die Enzyklika "Pacem Dei munus Pulcherrimum".
[4] Vgl. die Enzyklika "Quod apostolici muneris ratio".
[5] Vgl. die Enzyklika "Rerum novarum" vom 15.5.1891.
[6] Vgl. das Motu proprio "Fin dalla prima nostra".