Die Vorarlberger Wacht mokiert sich über die mangelnden demokratischen Rechte in Liechtenstein, die vom Landtag nicht angemahnt werden


Zeitungsbericht der Vorarlberger Wacht, nicht gez.[1]

15.11.1917

Sogar Neuorientierung in Liechtenstein

Der Landtag unseres Nachbarländchens Liechtenstein, dem kein guter Ruf in Bezug auf demokratische Einrichtungen vorausgeht, tagt gegenwärtig. Seine Hauptarbeit besteht in Erhöhung der Gehälter bezw. Gewährung von Teuerungszulagen an die Angestellten des Landes. Geistlichen und auch den vielgeplagten Vorstehern will der Regierungskommissär Baron [Leopold] v. Imhof finanzielle Hilfe gewährt wissen. Aber die bedeutungsvollste Aufgabe stellte die Regierung dem kleinen Landtage, indem der Regierungsvertreter eine neue Landtagswahlordnung [2] ankündigte. Bis jetzt hatten die Liechtensteiner ein indirektes Wahlrecht; sie mussten erst Wahlmänner wählen, welch letztere dann den Landtagsabgeordneten erklärten. Dieses junkerliche Wahlrecht, das wir Vorarlberger ein gutes Jahrzehnt früher aus der Welt geschafft haben, soll durch ein direktes und geheimes Wahlrecht (das gleiche haben sie schon, meinte in der Debatte der Regierungsvertreter v. Imhof) noch in dieser Landtagssession beschlossen werden, damit der nächste Landtag auf Grund des „modernen“ Wahlrechtes gewählt werden könne. Möchte der Liechtensteiner Landtag nicht auch ein modernes Vereins- und Versammlungsgesetz beschliessen, ein Koalitionsrechtder Arbeiter, die in den Liechtensteiner Fabriken geradezu rechtlos sind, schaffen?

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[1] Vorarlberger Wacht 15.11.1917, Nr. 4.
[2] Gesetz vom 21.1.1918 betreffend die Abänderung der Landtagswahlordnung, LGBl. 1918 Nr. 4. Das Gesetz wurde in den Landtagssitzungen vom 27.12.1917 und 31.12.1917 vom Landtag behandelt und verabschiedet.