Landesvikar Johann Baptist Büchel bittet die Regierung namens des Liechtensteinischen Priesterkapitels gegen öffentliche Belustigungen vorzugehen, Kindern den Kinobesuch zu verbieten und die Gratifikation des Klerus für die staatliche Matrikenführung in Franken auszubezahlen


Maschinenschriftliches Schreiben des bischöflichen Landesvikars Johann Baptist Büchel, gez. ders., an die Regierung [1]

6.6.1920, Vaduz

Hohe fürstliche Regierung!

In der am 1. d. M. stattgefundenen Konferenz der Pfarrer des Landes [Liechtensteinisches Priesterkapitel] wurde Klage geführt wegen der überhandnehmenden Genusssucht und dem daraus hervorgehenden sittlichen Verfall besonders unserer heranwachsenden Jugend beiderlei Geschlechtes und wurde der Unterzeichnete beauftragt, im Namen aller Seelsorger des Lands an die hohe Regierung die dringende Bitte zu richten, diesem Übel auch ihrerseits nach Möglichkeit steuern und den Seelsorgern hierin an die Hand gehen zu wollen.

Ganz besonders wurde Klage geführt über die bis in die Nacht hinein dauernden öffentlichen Belustigungen, Trinkgelagen, Tanzunterhaltungen, Theatern u. dgl., wodurch nicht nur viel Geld verschwendet, sondern, was noch schlimmer ist, die Jugend dem sittlichen Verderben entgegen geführt wird.

Es wird daher an die hohe Regierung die dringende Bitte gerichtet, mit der Lizenz für solche sittenverderbende, bis in die Nacht hinein dauernde Unterhaltungen sparsamer zu sein, die Polizeistunden strenger überwachen zu lassen und Übertreter der öffentlichen Ordnung strenge zu bestrafen. Wie weit die Roheit unter unserer Jugend gediehen ist, beleuchtet grell der Vorfall, der sich am Montag d. 31. morgens 3 Uhr vor dem Gasthaus z. Adler in Vaduz ereignet hat, wo die abreisenden Gutenberger Schwestern [2] in gröbster Weise belästigt worden sind. Solche Exzesse machen Schule, wen sie nicht exemplarisch bestraft werden. Es unterliegt auch keinem Zweifel, dass das, was die Genusssucht nährt, auch die Zufriedenheit und die Bürgertugenden untergräbt.

Auch wird die hohe Regierung ersucht, der Frage nähe zu treten, ob die Kinovorstellungen nicht für Kinder verboten werden sollten, wie das in andern Ländern bereits geschehen ist. [3]  

Endlich haben die Herren Pfarrer auch den Wunsch, es möchte ihnen die Gratifikation für die Führung der Civilstandsbücher statt in 120 Kronen [4] in ebensovielen Franken gegeben werden, [5] solange die Krone so entwertet ist.

Mit der Versicherung ausgezeichneter Hochachtung der hohen fürstlichen Regierung ergebenster

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[1] LI LA RE 1920/2611. Stempel des bischöflichen Landesvikariates des Fürstentums Liechtenstein. Eingangsstempel der Regierung vom 8.6.1920. Stenographische Randbemerkungen.
[2] Es handelte sich um die Schwestern der Christlichen Liebe vom Haus Gutenberg in Balzers. 
[3] Die Regierung bzw. Landesverweser Karl von Liechtenstein erliess am 12.6.1920 ein strenges, an alle Schulen, Ortsvorstehungen, Landwaibel und Hilfspolizisten gerichtetes Kinoverbot für Sonntags- und Werktagsschüler. Verstösse waren sofort zur Anzeige zu bringen (LI LA RE 1920/2611).   
[4] Vgl. § 1 des Gesetzes vom 4.12.1917 betreffend die staatliche Matrikenführung, LGBl. 1917 Nr. 12.
[5] Vgl. in diesem Zusammenhang das Gesetz vom 31.1.1921 betreffend die Festsetzung von Mindestgehalten für die Liechtensteinischen Seelsorgegeistlichen, LGBl. 1921 Nr. 3: Rückwirkend auf den 1.4.1920 wurde den Pfarrern ein jährliches Mindestgehalt von 2800 Franken bzw. den Kaplänen ein solches von 2500 Franken zuerkannt.