Die Liechtensteiner Nachrichten berichten über das Freilichtspiel "Der letzte Gutenberger" von Karl Josef Minst, das auf Burg Gutenberg aufgeführt wurde


Zeitungsbericht, nicht gez. [1]

1.7.1925

„Der letzte Gutenberger".
Freilichtspiel auf Schloss Gutenberg.
Von Karl Jos. Minst.

Vergangenen Sonntag hat die Erstaufführung stattgefunden. Die Berichte, die der Premiere vorausgingen, waren nicht vielversprechend und gar nicht "auf Erfolg" eingestellt und konnten den Reporter veranlassen, sich ein paar nette Glossen zurechtzulegen. Gleich sei es gesagt, dass die Glossen umsonst zurecht gelegt worden sind. Die Sache ist nämlich prächtig gegangen, und von den bedenklichen Dingen, die Berufene und Unberufene von dem Spiel Tage vorher noch berichteten, ist einiges und zwar das Unbedenklichste eingetroffen.

Die Rollen seien in schlechten Händen und die Zusammenarbeit sei mehr als mangelhaft; die Musik sei überhaupt Zukunftsmusik, insofern als sie noch gar nicht geboren sei; der Dialekt mache sich nicht gut und andere Sachen. Wahr ist etwas an der Zukunftsmusik. Die Gesangseinlagen sind teils ausgeblieben. Nächsten Sonntag allerdings sollen sie alle restlos zum Vortrag kommen. Und wahr ist: wenn die Musik schön und passend wird, wird es willkommene Einlagen mehr geben. Aber die Tatsache des Erfolges muss nicht mehr geschaffen werden. Der schöne Erfolg ist da.

Die Rollen sind nicht in schlechten, sondern in guten, einige sogar in sehr guten Händen. Wir erwähnen allen voran die Titelrolle Wirnt (vom Autor Minst selbst gegeben), ferner Roswitha, der Burgvogt, der Kaplan, Königseck und andere. Die Zusammenarbeit war eine klaglose. Premierenfieber war nicht ersichtlich, wohl aber lag über dem ganzen eine köstliche Spielfreude, ein Eifer, das Beste zu geben. Und was als Schwäche, als verunglückte Idee des Autors vermerkt war, hat sich als guter Einfall erwiesen: Die Verwendung des Dialektes, und von geläufigen Wendungen d. Dialektrede. Dass der Autor dies glücklich getroffen hat, bewies der flotte, flüssige Gang der Gespräche, die Sicherheit und Freude, mit der Spieler Dialektstellen widergaben.

Das Spiel ist von grosser Lebendigkeit. Man erinnert sich unwillkürlich an den letztjährigen „Walther von der Vogelweide", [2] der andere Stärken, aber die Stärke der Lebendigkeit nicht besass u. damit als „Schauspiel" vom neuen Spiel übertroffen wird. „Den letzten Gutenberger" werten wir als Spiel, nicht so sehr der gedanklichen Tiefe und der exaktesten dramatischen Regel, sondern als Spiel, das Lebendigkeit und Farben und Bewegung als Kleid eines interessanten, menschlich sympathischen und ergreifenden Begebnisses geben will. Dieses Ziel eines guten „Schauspieles“ ist vergangenen Sonntag, wie der Erfolg zweifellos bewies, erreicht worden und wird an allen Aufführungen erreicht werden. Dem Autor gebührt die Anerkennung, geschickt und klug Packendes in packender Form auf die Bühne gebracht zu haben.

Über Stärke und Schwäche einiger Szenen, die schon beim Durchlesen und noch mehr beim Spiel hervortraten, über einzelne Charaktere des Stückes sei später einmal berichtet. Wir bringen im nachstehenden eine kurze Inhaltsangabe (in Abschrift aus dem Textbuch) und empfehlen mit gutem Gewissen jedem den baldigen Besuch auf Gutenberg. Es gilt dem Gutenberger dem Helden und dem „Gutenberger" im Keller, bei dem allerdings, Gott sei Dank, noch keine Gefahr ist, dass es „der letzte" werde.

Der junge Wirnt, der letzte Sprössling des verarmten Geschlechtes derer von Gutenberg, hat auf Schloss Gutenberg, dem ehemaligen Sitze seiner Familie, Unterkunft gefunden. Herangewachsen, verbindet ihn innige Liebe mit Roswitha, der Tochter des Burgvogtes. Sein zartes Gewissen kann es auf die Dauer nicht ertragen, sich heimlicher Liebe zu erfreuen, seine ritterlich stolze Gesinnung macht ihm eine Werbung um Roswitha, die vom Vater sicher abschlägig beschieden würde, unmöglich, und seine selbstlose Liebe verbietet ihm, das geliebte Mädchen an seine Armut zu ketten. Er verlässt die Burg fluchtartig, wandert in die weite Welt hinaus, und der Gram, der ihm das Herz zernagt, reift ihn zum Sänger.

Nach Jahren, da der Schwabenkrieg ausbricht und der Gutenberg vom Feinde bedroht ist, eilt er wieder zurück an die Stätte seiner Kindheit, um mit ihr zu stehen und zu fallen. Sein Verhältnis zum Vogt ist ein etwas unsicheres. Er vermeidet es ängstlich, mit ihm zusammenzukommen, aber auch den übrigen Burgbewohnern gegenüber ist er verschlossen. Nur dem Kaplan, der mit ihm verwandt ist, öffnet er sein Herz. Der „tragische Konflikt“ des Spieles tritt zutage: es ist der Widerstreit der beiden Pflichten: einerseits auf der Burg seiner Väter auszuharren und sie schützen zu helfen, anderseits die Burg ungesäumt zu verlassen, um nicht verheerend in den stillen Frieden der Roswitha einzudringen, die mit dem kaiserlichen Feldhauptmann Hans von Königseck, einem etwas rauhen, aber herzensguten, goldtreuen Menschen, verlobt ist. Beide, Roswitha und Wirnt, sind sich darüber klar, dass ihre Liebe zueinander wieder verderblich aufflammt. Sein seelischer Zwiespalt wird noch dadurch gesteigert, dass er in dem österreichischen Vogt bald seinen Vater und Freund, bald den Räuber seiner Burg sieht. Er ist bereit, sie gegen Habsburgs Feinde zu verteidigen, dann wieder kommt die Versuchung, sie an sich zu reissen.

Gutenberg ist belagert und wird bestürmt. Die kriegerischen Ereignisse bilden den Untergrund für die Handlung, in die sich auch das Liebesidyll zwischen Donat, dem Sohne des Burgvogts, der verwundet vom Zuge auf die Steig zurückgekehrt ist, und Praxedis, der Tochter des Freiherrn von Brandis einflicht, das in seiner heitern, lebensfrohen Art in grellem Gegensatze zum düstern Geschick des Gutenbergers und Roswithas steht. Königseck, der als Besatzungskommandant mit Landsknechten auf Gutenberg eingerückt ist, erfährt hievon, braust erst heftig auf, dann kommt ein plötzliches Verstehen und Erkennen über ihn, er schliesst innige Freundschaft mit Wirnt; er will ihm sein hartes Los tragen helfen, ihm und Roswitha.

Für Wirnt bedeutet der Heldentod, den er bei der Verteidigung der Burg seiner Väter findet, als durch Verrat des „Grafen“ Thüring von Rüttinen die Feinde in die Vorburg eingedrungen sind, Erlösung. Sterbend legt er die Hand seiner Geliebten in die seines Freundes. Er weiss sie geborgen und die Burg seiner Väter gerettet und frei: — sein Lebenszweck ist erfüllt.

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[1] L.N. 1.7.1925, S. 1.
[2] Im Sommer 1924 wurde das Stück "Herr Walther von der Vogelweide. Vaterländisches Burgenspiel" von Rudolf Lorenz aufgeführt. Vgl. dazu den Bericht im L.Vo.  5.7.1924, S. 1.