Alois Biedermann an die Familie Ulrich Öhri über die schlechte wirtschaftliche Lage in Liechtenstein, den Kanalbau im Unterland und die Verwendung von Geldern der in Ruggell eingekauften und eingebürgerten „Millionäre“ zur Regulierung des Mühlbachs


Handschriftliches Schreiben von Alois Biedermann, Ruggell, an Ulrich Öhri, Spencer (Nebraska) [1]

19.12.1935, Ruggell

Liebe Famili Ohri!

Ich komme nun endlich dazu Euch
Lieben einmal zu shreiben. Meine Eltern
haben mir sehr oft gesagt, ich soll jetzt
doch einmal zu Euch shreiben, aber Ihr wisst [2]
ja, dass ich jede andere Arbeit lieber tue
als shreiben und rasieren.

Es wundert mich sehr wie es Euch Lieben
geht. [3] Wier sind gegenwärtig gesund
und hoffen dasselbe auch von Euch Allen.
Es wundert mich ob Ihr dieses Jahr eine gute Ernte
gehabt haben und wie stehen jetzt die Vieh Preise
u. Schweine Preise habt Ihr immer noch so
viel Vieh und Schweine u. habt Ihr noch alle Pferde
u. Miuls [4] welche Ihr damals gehabt haben
u. habt Ihr auch immer Wasser.

Wir haben hier immer Wasser genug, nur kein Geld
die Vieh Preise u. Schweine Preise sind auch weit
herunter gekommen. Gewöhnliche Kühe gelten noch
450 – 500 Fr. per Stük u. schöne Kühe 600 – 700 per St. Ein 2 Jahres altes
Rind 300 – 350 Fr. per St. Ein jähriges Kalb 200 Fr.
(Ein shönes Pferd
800 – 900 Fr. [5]
Fette Schweine 80 – 110 Fr. per St.
(20 Wochen alte Schweine
40 – 45 Fr. per St.
u. 6 Wochen alte Schweine 15 Fr. per St. [6]
u. die andern Verdienste sind auch shlecht zum ersten
darf aus einem Hause nur einer auf Arbeit gehen
heisst das auf solche Arbeit welche vom Lande
gemacht oder das Land etwas daran bezahlt
u. sonstige Arbeit giebt es ja keine oder wenigstens
nicht viel im Winter. Als ich von Amerika
zurück kam war der neue Kanal zum grössten
Teil fertig von der Ausmündung bis zur
Gampriner Grenze hinauf u. so wird er jeden
Winter etwas weiter hinauf gemacht bis nach
Bendern, u. im Sinn haben die Oberländer
den Kanal durchs ganze Land hinauf zu machen
u. so alles Wasser vom ganzen Land nach
Ruggell herunter zu richten u. erst hier
in den Rhein zu richten. u. wir hätten
gewiss shon genug wen wir jetzt das Eschner u.
Maurer Wasser bekommen. Ich denke gegen das
Oberländer Wasser werden wir Unterländer
uns dan schon noch wehren sonst müssten
wir ja beim shönsten Wetter ertrinken. [7]

Der Kanal hat sein Bett von der Mündung herauf
überal 100 meter vom Rheindam weg er geht also
durch die Neukrüta [8], u. Grossenteil [9] herauf
diesen Boden hat das Land müssen auslösen
man hat aber den Ruggellern Bauern dafür nur
einen kleinen Preis bezahlt.  
  
Durch den neuen Kanal ist auch der inseitige
Dam überal versetzt worden, der Kanal ist
also überal 100 meter vom Rheindam, und somit
wurde der neue Dam inseit dem Kanal
hingemacht. u. dan wider inseits von diesem
noch ein kleinerer Kanal welcher das Dam Abwasser
von der ganzen Au [10] wegnimmt. Dieser läuft
aber an der Bangser Grenze in den Mühlbach
u. ist weit aus der nützlichste Kanal den wir haben
dadurch wurde die Au entwässert wird jetzt wieder
der Gemeinde [11] also in der Au ein grosser Teil
angepflanzt als Kartoffell, Mais, Hafer, Gerste, Fesa
Roggen, Weizen. u. es keine Wasserstauungen
giebt so wird es bald ein shönes Feld geben
letztes Jahr hat mans herum gepflückt
das war aber harte Arbeit.
Zum Teil mit Pferden
Zu Teil mit Tragtoren [12]
und im August 1935 wurde auch der Mühlbach
von der Bangser Grenze herauf, reguliert u. in
gerade Richtung genommen ein Stük weit sogar ganz neu
u. wird vorläufig gemacht bis in den Neuwiesenzipfel [13]
herauf. Letztes Jahr haben ihn die Österreicher
angefangen von der Ill durch Bangs herauf bis zur
Ruggeller Grenze. Die Österreicher wurden dan im
August fertig, u. dan haben gleich die Ruggell
mit derselben Backermashine forwertz gemacht.
Die Backermashine gehört den Liechtensteinern
Es wird mit dieser Mashine sehr viel Arbeit
geleistet u. sehr shöne Arbeit shöner als von Hand.
u. somit komt der Mühlbach jetzt, mehr als noch einmal
so tief hinunter als er vorher war u. auf diese Art
kann nun bei uns wieder viel Land besser hergestellt
u. einen grösseren Nutzen daraus erziehlt werden.
Die Ruggell haben halt in den letzten 15 Jahre einige fremde
Millionär (eingekauft oder eingebürgert) u. nun wird
dieses Geld [14] verwendet zur Mühlbach Regulierung.
Es hat sich hier shon sehr vieles geändert seit den Jahren
als ich nach Americka reiste, [15] ich wollte nur Ihr könt
einmal heraus kommen u. alles sehen das würde mich
sehr freuen u. Euch würde es gewiss auch freuen die alte Heimat
zu sehen.

Also die herzlichsten Grüsse an Euch Alle aufs Wiedersehn. [16]            

u. ich wünshe Euch Allen ein fröhliches Weihnachtsfest
u. wünshe Euch auch ein recht glückliches neues Jahr. [17]

Auch sende ich die besten Grüss u. Glückwünshe auf Weihnacht
u. Neujahr. An Mali u. Leo. An Famili Conot.
An Famili Fränk. u. Pia. [18]

Also schreibet mir auch bald, dann werde ich Euch wieder mehr neues shreiben. [19]

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[1] LI LA PA 016/3/02/08.
[2] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[3] Es folgt durchgestrichen: „ich bin“.
[4] Vgl. englisch: mule (Muli).  
[5] Seitenwechsel.
[6] Die Passage „Ein shönes Pferd … 15 Fr. per St.“ wurde nachträglich eingefügt. 
[7] Seitenwechsel.
[8] Neugrütt: Wiesen und Äcker nördlich des Dorfes Ruggell, im Altneufeld, östlich des Kanals. Stricker, Namenbuch, Bd. 4, S. 391.
[9] Grosse Teile: Wiesen und Äcker nördlich des Dorfes Ruggell, im Altneufeld. Stricker, Namenbuch, Bd. 4, S. 343.
[10] Au: Wiesen und Äcker nördlich des Dorfes Ruggell, zwischen Kanal und Mölibach, von der Widau bis zur Weienau. Stricker, Namenbuch, Bd. 4, S. 295.
[11] Es folgt ein durchgestrichenes Wort: „Au“.
[12] Seitenwechsel.
[13] Neuwesazepfel: Wiesen nördlich des Dorfes Ruggell am Mölibach. Stricker, Namenbuch, Bd. 4, S. 393.
[14] Es folgt ein durchgestrichenes Wort.
[15] Alois Biedermann weilte zwischen 1928 und 1934 in den USA.
[16] Am Seitenrand hinzugefügt.
[17] Nachträglich hinzugefügt.
[18] Nachträglich hinzugefügt.
[19] Am Seitenrand hinzugefügt.