Martina Gstöhl an ihre Schwester Balbina Gstöhl über die Zusendung eines Hilfspaketes aus Amerika, die Bitte um Schafwolle, Fett und andere Waren, die Arbeitsunfälle des Mannes sowie die Inflation in Österreich


Handschriftliches Originalschreiben der Martina Hartmann [-Gstöhl], Ludesch (Vorarlberg), an ihre Schwester Balbina (Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]), Spencer (Nebraska) [1]

15.12.1920, Ludesch (Vorarlberg)

Liebe Schwester u. Famielie! [2]

Haben Deine beiden Briefe
erhalten, der erste schon vor
einigen Tagen, wollte eben noch
vorher das Paket abwarten, der andere
gestern Abend. Habe auch am
Abend vorher von Malie [Amalia Öhri [-Heeb]] ein
Schreiben mit Chek Dollar [3] 6 be-
kommen. Werde selben auch sofort
Antwort senden. Haben eben von
Dir vernommen, dass [4] das Paket
wieder zurük ging wegen Überge-
wicht. War gewiss von Insbruk
zurük gesendet worden so was kommt
nur im schönen Österreich vor.
Weil Du mir nicht geschrieben, was Du
im Paket gesendet werde es Dir anführen
den ich bin sehr neugierig ob nicht eine
fremde Hand zu gegriffen. Also es waren
im Paket: 4 farbene Saktücher, 4 kleine
u. 5 grössere weisse Saktücher. [5]
5 Schachteln je 12 Spulen Faden, 1 Brief Nadeln
(3 Paar Socken 2 Paar rote u. 1 ganz fein)
2 Paar schwarze Strümpfe
3 Stüke Stoff von 4 ½ - 5 m lang je 1 Stk.
2 Stük Gesichtsseife 4 Stük Waschseife
die Waschseife ist eine sehr ausgezeichnete
solche man hier keine bekommt.
Sagen euch vielmal Vergelt’s Gott u.
möchte Dich zugleich schon wieder
anbetteln. Ihr habt gewiss auch Schafe
auf eurer Farm, würde Dich gerne
um Schafwolle bitten, dann könnte
man hier selbe richten lassen u.
würde man Wollstoffe od. Garn
zu Strümpfen u. Socken bekommen
Ich habe der Tochter [Katharina] ano 14 noch ein
Kostüm machen lassen, jetzt aber
kann sie es leider nicht mehr tragen,
es ist ihr zur klein. Ich würde des-
halb gerne einen langen Mantel
machen, dann wäre alles zugedekt.
Mit Schafwolle käme man ganz gut
durch. [6]
Aber der Stoff dazu würde 2000 Kr. [Kronen]
kosten. Hast Du von Dir keinen
alten Rok für mich auf Werktage,
wenn er nur noch zum fliken ist, denn
der meine hält nicht mehr beisamen,
u. mehr habe ich nicht als der eine.
Wen Du kannst sende mir nochmals
gedrukter Stoff für mich zu Schürze,
wenn ich’s aber erst bekomme im
Frühjahr für ins Feld. Ich würde
Dich auch gerne nochmals um farbene
Saktücher bitten, hier, sagt mir eine
Frau sei ein Hausierer gekommen,
habe auch Saktücher gehabt für 60 u. 80
Kr. per Stk. Wenn Du vielleicht alte
Hemden hättest, wenn sie nicht mehr
gut sind, wenn man nur noch aus
2 Stk - 1 Stk machen könnte, mein
Mann [Johann Josef Hartmann] hat so keine Hemden, er
hatte sie alle mit ins Feld unterm
Krieg u. nichts mehr zurük gebracht. [7]
Habe Dir jetzt wieder einen ganz
unverschämten Bettelbrief geschrieben,
aber Du kannst Dir nicht vorstellen
wie hier die arbeitende Klasse herrum
gehen muss, solche, welche keine Schaf-
wolle, kein Butter, kein Milch, kein
Käs, kein Fleisch, kein Eier u. nichts zum
tauschen haben. Um obige Sachen
bekommt man Alles, sogar noch neue
Schuhe vom Schuhmacher, aber mit Geld
kannst Du nicht immer was haben, so, was
man etwa mit den Karten bekommt. Es
ist hier bekannt gemacht worden, dass
man sich melden könne, solche welche
nichts eigenes haben, bekommen Liebes-
gaben von Amerika. Ich sagte zum
Manne melde Dich auch, denn er ist jetzt
in kurzer Zeit zum 2mal verunglückt
erstemal glaube habe es Dir geschrieben
wegen der Hand u. jetzt wieder den
Knochen ausgekegelt, geht auch wieder
5-6 Wochen bis er dem Verdienst nach
gehen kann. [8] 
Der Vorsteher sagte zu ihm, Du wirst
wohl nichts bekommen, Mir scheint
mit diesen Liebesgaben wird es wohl
gehen, wie mit denen aus der Schweiz,
dort haben zuerst die reichen bekommen,
solche welche ein Stall voll Vieh haben.
Du schreibst mir auch, dass Du eine
geschwollenns Gesicht bekommen, ist das
nicht etwa der Mums, musst Dich
recht warm halten.

Was meinst Du, dürfte ich Malie nicht
bitten, mir etwas Korn, Roggen,
Weizen, Gerste wäre ganz gleich was
od. alles untereinander zu senden
nur zum Kaffee machen. Hier be-
kommt man ein solcher Zeug, dass ich
Magenweh bekomme davon, es beklagen
sich viele Leute wegen dem Gemisch,
aber Bauern die können Milch trinken.
Von Bohnen weiss man seit Kriegsbe-
ginn nichts mehr. Man würde schon
bekommen, aber Kilo ich weiss nicht wie theuer
160 od 200 Kr. [9]
Malie u. Du schreiben, dass bei euch
alles billiger geworden u. hier schlägt
alles täglich auf. z.B. Schuh haben Zeit
in 14 Tagen 1000 Kr. aufgeschlagen,
der Stoff nur Baumwoll od. Barchet [10] schlägt
jede Woche 30-50-100 Kr. auf, je
nach Qualität. Wollstoff das doppelte
in kurzer Zeit was vorher 400-500
Kr. kostet hat, jetzt 800-1000 ja von 700
ist gleich auf 1600 Kr. der Metter gestiegen.
Und so geht es mit den Lebensmittel,
Fleisch nur Not geschlachet 40-50 Kr. per Kilo
Diese Tage ist hier ein Ochs geschlachtet
worden, kam 1 vier Theil auf 9000 Kr.
Unser Hausherr sagt zu mir, dass in
der Zeitung gestanden 1 Kilo Mehl
komme in nächster Zeit auf 60 Kr,
gegenwärtig kostet es 10’75 per Kilo,
der Mais 12’75 Brotmehl 3’65 aber man
weisst wirklich nicht was es ist, nur
sieht man, dass es kein Mehl ist.
Grüsche [11] u. aber was bei gemengt kann man
nicht erkennen. [12]
Schreibe mir auch was Ihr alles anpflanzt
was für Getreide, was für Gemüse.
Habt Ihr vielleicht eine andere Sorte
Bohnen wie wir sie haben, das weisst
Du schon was wir haben, dann sende mir
nur etwa ein Boschen [13] von jeder Sorte
ob Stangen- od. Buschbohnen. Habt Ihr
auch andere Sorte Kartoffel, sende mir
auch etwa 2-3 Stk. auf Frühjahr.
Was betreibt Lena [Magdalena Connot [-Öhri]] u. Famielie haben
selbe auch eine Farm. Wenn Du eine
Blechbüchs bekommen kannst, sende mir
Fett, nur eine Kleinigkeit, nur schauen
ob wir selbes bekommen. Im freien Handel
kostet Kilo Fett hier 280 Kr. Wir kommen
schon hie u. da zu getheilt vom Land aber
halt viel zu wenig, letztes mal kostet selbes
128 kr Kilo, aber nächstes mal wahrscheinlich
150-160 Kr. nun, es ist immerhin noch viel
billiger als das im freien Handel. Wir
bekommen peer Woche pro Kopf 25 dg. Mehl
zum kochen, ½ Kg. Mais u. 1'05 dg. Brotmehl. [14]
Bin nun auch so frei die Nummer
von Tochter Schuh einzusenden. – 6 ½
Haben 2 Kreuze
gemacht bei der
Numer [15]
Ich könnte diese Schuhe nicht brauchen
zu meinen Füssen. Auf Sommer trage
ich Halbschuhe, im Winter hätte ich
schon gerne aus Tuch recht warme, denn
mich friert immer an die Füsse. Vom
Mann sende ich Nummer auch ein 11 mit 3 Kreuz, der
hat keine Sonntagschuhe, nur furchbar
schwere auf Werktag, aber wann Du ihm
die von Ulrich [Öhri] sendest, dann genügt es ja.
Wünschen Dir eine gute Besserung.
Euch Allen wünschen wir eine recht
fröhliche Weihnachten u. ein gutes gesegnetes
neues Jahr. Alles Gute was Ihr Euch selber
nur wünschen könnte, dass Euch der lb. Herr-
gott, gesund u. wohl erhalte um das
wollen wir ihn bitten. Auch dass Ihr ein
gesegnetes 1921 empfangen möget.
Nochmals ein Tausendfaches Vergelt’s
Gott nebst vielen Grüssen an Euch Alle
von Mann u. Tochter besonders aber von
Deiner Schwester. [16]
Möchte Dich nachträglich noch bitten,
um Schuhbendel, hier bekommt man
nur Papierbendel u. diese halten
bei dem Wetter nicht einmal immer
1 Tag. Sende mir auch wenn Du hast,
Flek von alten Hosen von Ulrich u.
Buben zum fliken, u. würde gerne auch
Hausschuhe haben daraus, denn hier
bekommt man keine u. in den Leder-
schuhen den ganzen Tag muss ich soviel
frieren. Tochter hätte gerne Gumi-
strumpfband, Du verstehst es schon wie
ich meine, nicht wahr breite Gumiband
zu Strumpfband. Noch etwas: Wenn
Du hast, sende mir auch Flek von
alten Hemden, für uns zum fliken
Tochter hätte noch alte Hosen zum [17]
fliken, aber mir fehlen immer die Flik.
Österreich ist heute so arm daran, dass man
nicht einmal mehr ein Putzlumpen hat,
zum Boden putzen, alles nur Papier.
Wie teuer ist bei Euch der Zucker? Bei
uns kostet das Kg 100 K, aber man be-
kommt gar keinen mehr. Wir schreiben
alles untereinander, bald kommt demm etwas
in den Sin, bald diesem. Tochter sagt grad
jetzt: Ich würde der Bea [18] gerne schreiben
aber ich getraue ihr nicht, wenn nur sie
mir zuerst schreiben würde, ich mit
meiner schlechten Schrift in ein Institut
in eine Hochschule. Du siehst es oben
wie schlecht sie schreibt, blos zum lesen
u. soll diesen Winter von der Schule entlassen
werden. Muss Dir noch berichten wegen
dem Rezept vom Schmarn, das kannst Du
schon eine Krazate machen, wie man
bei uns sagt. Jetzt will ich aber schliessen
mit vielen Grüssen an Alle u. mit einem
herzlichen Vergelt’s Gott.  

Hier wird gegenwärtig furchbar gestohlen. [19]

______________

[1] LI LA PA 016/3/11/09.
[2] In lateinischer Schrift.
[3] In lateinischer Schrift.
[4] Ursprüngliche Fassung: „daẞ“. Das Eszett wird im Folgenden zu „ss“ umgewandelt.
[5] Seitenwechsel.
[6] Seitenwechsel.
[7] Seitenwechsel.
[8] Seitenwechsel.
[9] Seitenwechsel.
[10] Barchent: grober Stoff aus Baumwolle und Leinen.
[11] Grüsche: Die beim Getreidemahlen abfallenden Schalen und Keime des Getreidekorns, eigentlich Viehfutter.  
[12] Seitenwechsel.
[13] Boschen: Busch, Strauch.
[14] Seitenwechsel.
[15] Satz nachträglich hinzugefügt.
[16] Seitenwechsel.
[17] Seitenwechsel.
[18] Beatrice: Tochter des Ulrich Öhri und der Marie Balbina Öhri [-Gstöhl]. – In lateinischer Schrift.
[19] Nachträglich auf der 2. Seite des Briefes hinzugefügt.