Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über die Zusendung von Bildern ihrer Eltern, ihren neuerlichen Kuraufenthalt in Arosa sowie die Tätigkeit des Bruders Egon Rheinberger als Architekt


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Arosa, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois) [1]

März / April 1909 (möglicherweise 05.04.1909), Inner-Arosa

Lieber Herr Vetter

wie soll ich Ihnen das
vergelten, diese grosse, grosse Freude u. Über-
raschung? Eine Freude für mein ganzes Leben ha-
ben Sie mir in so liebenswürdiger Weise durch die
Bilder meiner lb. Eltern [Peter Rheinberger, Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] gemacht. War das eine
Überraschung gestern, als ich das amerikanische Pa-
ketchen öffnete u. ich auf die lb. Gesichtchen sah!!! …
Lieber, guter, treuer Herr Vetter, all meinen warmen
Herzensdank möchte ich Ihnen jetzt senden, – aber
das ist viel zu wenig für so viel Liebes, wie soll
ich Ihnen nur herzlich genug danken für so eine liebe
Tat? – Kommen Sie nehmen Sie einen warmen
dankbaren Händedruck u. die Versicherung, dass
ich Ihnen das nie vergessen werde
[2].  
Stellen Sie sich vor, was für Augen meine Lieben
daheim machen werden, wenn ich mit den lb. Bildchen
heim komme!! – Hurra! freue ich mich auf diesen
Moment! – Auch Ihrem Sohne Franz [Rheinberger] danken [3]
Sie bitte vielmals für sein Bild mit freundl.
Gruss. Es muss dies ein Mann von grossem Geiste
u. viel vermögender Arbeitskraft sein, der im
Stande ist ein enormes Arbeitsfeld zu bewälti-
gen. –

Und Ihr lieber Brief! Es ist mir ein solcher
stets, wie ein Stückchen von Ihnen selbst u.
ganz wehmütig möchte es mich beim Lesen
Ihrer lb., treuen Worte erfassen, dass ich Sie nie
nie [4] sehen soll. – Auch in diesem lb. Brieflein
war noch etwas, was mich freute, die hübschen
Ansichts Karten von der verehrt. Superiorin
Mutter Ottilie, von der unsre Schwester Olga [Rheinberger]
jetzt immer noch in so grosser Verehrung spricht.
„Ich sage Euch“, erzählt sie uns immer wieder,
„eine so liebe, liebe, hochinteligente Dame war
das.“ Freilich, wäre ich damals dabei gewesen, hätte
ich die gute Mutte Ottilie noch viel, viel mehr
gefragt u. geplagt, bis ich jeden Einzelnen
Ihrer Lieben ganz genau gekannt. Wenn wie-
der einmal jemand Ihrer lb. Angehörigen od. Be-
kannten über das grosse Meer herüber kommt, [5]
dann soll er aber in Vaduz, im roten Haus ab-
steigen, – nicht vergessen das, lb. H. Vetter! –
Ich freue mich, dass Sie alle gesund. Kaum auf
einem Stückchen Erde lernt man die Gesund-
heit so schätzen, wie hier heroben, ein Dörfchen
voll lauter Lungenkranker. 1, 2, 3, 4 Jahre müssen
sie in diesen riesigen Schneebergen heroben aus-
halten, manche dürfen gar nicht mehr [6] heim,
sie beginnen dann ein Geschäftchen, od. irgendein
andrer kl. Verdienst, wenn schliesslich die Mittel
nach so [7] langer Krankenheit nicht mehr reichen.
Meine (nur die notwendigsten) Ausgaben pro
Tag belaufen sich auf 10 frs. [8], viel mehr als
ich wert bin. – Doch was nützt das schnöde Geld
alles ohne die richtige Lebens- u. Arbeitskraft? –
Ich kann mir ein wahres Lebensglück, ohne Arbeit
u. einem schönen Wirkungskreis, der unsere Schaf-
fenskraft verlangt [9], nicht denken, desshalb be-
neide ich einen gesunden Bettler viel mehr,
als einen kranken Millionär.

Meine Lunge heilt langsam, aber mit Gottes [10]
Gnade sicher. Die Jahre seit 1905 in Arosa forderten
nicht nur eine [11] Geduldsprobe, – ach wie manches
Thränlein galt es niederzukämpfen, aber was
u. wie Gott es will, das panzert auch wieder. –
Ende April darf ich heim u. so Gott will nicht mehr
zurück. – Vielleicht nütze ich nächsten Winter noch
das doch 1200 Mtr. hohe Masescha. – Leider habe
ich diesmal in Arosa nicht die beste Witterung erreicht,
Schnee u. Nebel u. Kälte wechselten ab, so hatten wir
noch gestern vom 3.-4. März noch 18 ° Cel. [12] Kälte,
was mich für uns. Weinreiben daheim recht beunruhigt,
die Zeit d. Frühlingsfröste ist ja bei uns eine sehr
gefährliche. Und Ihre Weinstöcke treiben gewiss ja
viel früher an, der grosse Frühlingsschaden den Sie
letztes Jahr zu bestehen hatten, erneuert sich hoffentl.
nicht so bald wieder. – Gott schütze Ihre u. uns.
Pflanzen davor. – In uns. Hochgebirge heroben
ist es 9 Monate Winter u. 3 Monate kalt, Schnee
fällt durchschnittlich 7 Mt. pro Winter. – Unter unserer Veranda
wo ich jetzt beim diesjähr. seltenen Sonnenschein
schreibe, sind 9 Mann beflissen, den Schnee u. d. Eis
von der Poststrasse wegzupickeln u. schaufeln,
ganze Eis- und Schneeberge müssen sie fortschaffen.
Olga u. Egon [Rheinberger] sind Gott Lob munter, ich
bekomme alle 8 Tage so ein lieb‘ heimatlich‘ [13]
Brieflein. – Egon
hat sich von der
Bildhauerei ganz
auf die Arhitek-
tur gegeben u. hat
jüngst wieder den
Plan zu einer rei-
zenden Villa in
Buchs entworfen.
Die andern Verwand-
ten gedenken Ihrer
herzlich.
Der lb. Heiland
segne Sie am
Ostern morgen, er
segne Ihre Lieben
alle!! –
In Dank u. Treuen
Emma Rheinberger. [14]

Grüssen Sie jedes Einzelne Ihre
lb. Kinder u. Enkel. [15]

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift.
[2] Doppelt unterstrichen.  
[3] Seitenwechsel.
[4] Unterstrichen.
[5] Seitenwechsel.
[6] Unterstrichen.
[7] Doppelt unterstrichen.
[8] Unterstrichen.
[9] Dreifach unterstrichen.
[10] Seitenwechsel.
[11] Unterstrichen.
[12] Dreifach unterstrichen.
[13] Seitenwechsel.
[14] Die Textpassage „Brieflein … Emma Rheinberger“ auf der 1. Briefseite hinzugefügt.
[15] Satz am Rand der 1. Seite hinzugefügt.