Emma Rheinberger an Alois Rheinberger über die Zusendung von Fotografien der Verwandten, die missliche Wein-, Mais- und Kartoffelernte in Vaduz, ihre Winterkur in Masescha sowie einen Überfall auf ihren Bruder Egon Rheinberger


Handschriftliches Originalschreiben der Emma Rheinberger, Masescha, an Alois Rheinberger, Nauvoo (Illinois), mit einem Nachtrag von Bertha Schauer [1]

05.12.1909, Masescha

Lieber Herr Vetter!

Die Vaduzer-Rhein-
berger sind aber langsame, nicht wahr?
Zu den Photographien, die ich Ihnen ge-
sandt, brachte ich nicht einmal ein Brief-
lein zu standt. Dagegen haben Sie uns
wieder einen so lieben, interessanten Brief
geschenkt, dass wir uns nicht genug da-
ran erfreuen können, ganz besonders über Ihr
gutes Ergehen freuen wir uns. Sie erwähnten
dies so schön, wir waren ganz ergriffen
über Ihre Worte: „die Hand fest, die Füsse
fling, der Kopf klar, im Herzen Ruh u.
Friede.“ Gott erhalte das noch lange, lange
so! – Möchte er doch viele solcher Menschen-
kinder haben.
Haben Sie vielen, warmen Dank für diesen
lb. Brief. Wir besitzen durch diese Briefe [2]
wohl ein Abbild Ihres eigenen „Ich‘s“ u.
freuen uns immer wieder daran. – Was dürfen
Ihre Kinder u. Enkel in Ihnen besitzen u. wir –
– wir mussten unsern lieben Vater [Peter Rheinberger] schon
mit 62 Jahren hergeben. – Ich wollte es
dann nicht verstehen, nicht begreifen, dass der
liebe Vater von uns gehen sollte, aber der liebe Gott
versteht Alles so viel besser, als wir, – auch
wenn sich das Herz zusammenkrampft, – einmal
wird es doch einsehen, dass es gut ist wie u.
was der liebe Gott getan. – Der Tod des
geliebten Mütterleins [Theresia Rheinberger [-Rheinberger]] dann – das war wohl
die Mitursache meines nach Arosa müssens.
Schon als Kind zuckte mein Innerstes auf, beim
Gedanke, unsere liebe Mutter könnte einmal
sterben, – als dann die Wirklichkeit kam u.
die Tage u. die Jahre darauf, – lieber, guter
Gott im Himmel, Du kennst jene Zeit, – nimm
sie an. –

Sie erzählten uns so schön u. liebevoll von
Ihrer lieben Frau [Margarethe Rheinberger [-Brasser]], das war wohl eine Ehe
von so viel Glück im gemeinsamen Ertra-
gen von guten u. von bösen Tagen, wie [3]
gewiss wenige nur sie kennen in den Tage des
sich Angehörendürfens. – Ich erlebte es als
eines der höchsten Erdengüter, jemand ange-
hören zu dürfen, ihm viel sein zu dürfen,
den man lieb hat. – Aber nicht alle Menschen
dürfen so glücklich sein. –

Die Ihnen zugeschickten Bilder aus Ihrer alten
Heimat haben Ihnen wohl viel Spass ge-
macht, gewiss mussten sie lachen über
meinen Einfall. – Er war gut gemeint, Sie
sollten doch wenigstens ein paar der Angehöri-
gen von uns sehen. – Das kostete ein Bitten u.
Betteln, besonders bei den eitlen Dämchen,
bis ich die wenigen nur zusammengebracht,
es wären natürlich viel, viel mehr der Verwandten,
aber sie im Bilde wieder zu bekommen, ist
bei uns eine schwierige Sache. Alle möglichen
Ausreden u. Entschuldigungen erscheinen da, nur
nicht das Gewünschte. – Nehmen Sie halt mit
meinem guten Willen für lieb u. zürnen Sie
nicht über die sonderbare Gesellschaft, die ich
da von d. verschiedenen Vettern u. Basen zu-
zusammengebettelt. – Das Bild der Cousine Hedwig [Hedwig Theresia Hiener [-Rheinberger]] [4]
der Frau Ingenieur Hiener ist auf dem Weg zu
mir verloren gegangen u. sieht desshalb leider
so vertretten u. unproper aus, was ich zu ent-
schuldigen bitte. – Haben Sie den Sohn [Theodor Rheinberger] des
Georg Rheinberger [Johann Georg Rheinberger] (Küferle) wieder erkannt?
Vielleicht gelingt es mir,  mit weiterm zähen
Bitten noch eine, oder andere Photographie
der Angehörigen herauszubringen, Küferles
(sie heissen jetzt noch so) versprachen mir zum
Beispiel ein Familienbild später für Sie. –

In Amerika photographiert man viel eleganter
u. grossartiger, ich glaube dass sich dort die
Menschen hie u. da eigens schön kleiden
u. frisieren zu diesem Zwecke. – Ich habe
eine Vorliebe für das Einfache u. Natürliche.
Ihre Berichte über die Wetter- u. Ernte-
verhältnisse waren recht befriedigende. – Bei
uns war das anders, – ein armes, nicht frucht-
bares Jährle. – Die Witterung natürlich eine
Folge dessen, fast den ganzen Sommer Regen,
Regen u. wieder Regen, ich mag [5] mich
wohl kaum eines so nassen [6], unfruchtbaren
Sommers erinnern, – der Schaden war für Vaduz
allein ein empfindlicher. – Der Rebstock [7]
hatte im Frühling Hoffnungsreich angesetz,
aber dann litt er unter diesen Wetterverhältnissen
zusehends. Und nicht nur die Wein-, auch
die Mais u. Kartoffelernte war eine be-
trübende u. viele arme Mensche, die auf diese
letzten beiden gewartet, missen es wohl schmerz-
lich. Das Jahr 1909 wird vielen, od. allen
Liechtensteiner in betrübender Erinnerung bleiben. –
Wir bekamen an Wein ungefähr 1/3 des vorigen
Jahres. – Fürst [Johann II. von] Liechtenstein besitzt ein Wein-
berg in Vaduz, (der Bocker [8], oder Heerrawingert [9])
von dem er letztes Jahr 24‘000 Ltr. bekam
u. dieses Jahr 4000 Ltr. – Doch dem steinreichen
Männle tut das nichts, empfindlicher ist der
diesjähr. Herbst für unsre Bauern u. auch für
uns Rebenbesitzer. – Gott gebe uns ein besseres
"1910". –

Ich erzählte Ihnen aber noch gar nicht, dass
ich vor 14 Tagen nach Masescha heraufgewe-
wandert bin zu einer kl. Winterkur. – Statt
nach Arosa wollte ich es diesen Winter ein-
mal in unsern heimatlichen Bergen versuchen.
Masescha liegt 1250 Mtr. hoch, nur [10]
ist es ein wenig windig, das heisst in Liech-
tenstein haben wir halt überall diesen schreck-
lichen Föhn, der zum wütensten Sturm aus-
artet u. Tage, ja Wochen lang dauern kann.
Die letzten Zeit wussten wir uns hier oben sei-
netwegen fast nicht mehr zu schützen, – ganz
furchtbar. – Erinnern Sie sich seiner? – Kennen
Sie ihn bei Ihnen nicht? – Dann danken Sie
Gott! – Die lb. Frl. Schauer [Bertha Schauer, Ida Schauer] u. ich sind die
Einzigen Maseschner-Bewohner (ausser einem
Bauer noch). Aber bei den lb. Schauerlein lässt
sich gut sein, es ist so ein richtiger Schlag
Edelleute. – In grosser Menschenliebe denken
Sie jetzt an Christkindchens – Armen, trotz
dem sie selbst ein wenig dürftig, stricken sie
für die Armen, deren es 1 Stunde weiter unten
ach so viele giebt, kleine u. grosse Strümpfe, wie
man’s haben will. – Solche erbarmende u. aufopfern-
de Nächstenliebe in so grosser Selbstlosigkeit
ausgeführt, muss Gott lieb haben. –

Ich bleibe vorläufig bis Weihnachten u. nacher
noch einmal auf 2, 3 Monate heroben. – Lei-
der gehen Schauers nun bald in ihr etwa 10 Minnuten
weiter unten stehendes Häuschen, das Waldi, um
erst etwa im Mai in das Kurhaus u. Pension
Masescha herauf ziehen wieder. –  Dann bin ich ganz [11]
allein in dem Haus da heroben u. wohl so
einsam, wie Sie in Ihrem Haus in Nauvoo.
Jedoch zum Schlafen gehe ich dann vielleicht
doch zu den lb. Schauerlein hinunter. – Sonst
mache ich ja den ganzen Tag fast so wie so
Liegekur im Freien u. bin gewöhnt mich zu
fügen, allein, od. unter Menschen. – Gott sei
Dank ist meine Gesundheit auch wieder eine
solche, dass ich daheim wieder tüchtig zu ar-
beiten vermag in Haus u. Garten. – Ich hege
eine besondere Freude mit den Pflänzlein aller
Sorten für Garten, Bäme, Blumen, Gemüse, so
dass ich daheim oft belächelt [12] werde, welche
Wichtigkeit ich mit den Pflänzlein hätte u. als
ich solche vor meiner Abreise nach Masescha
noch sorgsam u. keuchend Trepp auf, Trepp ab
unter Dach u. Fach vor der winterlichen Kälte
bringen wollte (ich habe etwa 2-300 [13] Pflänz-
lein in Töpfen) spotteten sie meiner noch,
ich hätte lauter gemeines Zeug, während ich
der Überzeugung war, sie wären doch so wunder-
schön, wenn auch tatsächlich nicht kostbar. –

Sie haben gewiss in der Liechtensteiner-Zeitung
von dem Überfall gelesen, [14] der im roten Haus von
den 2 Strolchen ausgeführt wurde meinem Bruder [Egon Rheinberger]
gegenüber. – Es hätte dies furchtbar enden können,
wenn Egon nicht von Gott mit besonderm Schutz [15]
beschützt worden wäre. Ihm, diesem lieben Guten
Gott sei unser ganzes Leben Dank! – [16] Gott
hat Egon mit ganz aussergewöhnlicher Kraft ausge-
rüstet, so dass er d. Strolch zu besiegen vermochte,
aber er sagte, welche Angst er ausgestanden, der 2. Strolch
springe ihm in Rücken bis Hilfe kam. – Gott Lob u.
Dank ist Egon nicht im Geringsten verletzt. –

Ich freue mich hier heroben ganz besonders, von der lb. Bertha
Schauer so viel von Ihnen erzählen zu hören, wir sprechen
so gerne von Ihnen u. wünschen Sie oft 1 Ründchen zu uns.
Nun kommt schon Christkindchen balde schon, es bringe Ihnen all
seinen Segen, all‘ seine Gnade für’s neue Jahr u. alle
diese Gnaden auch Ihren Lieben Gross u. Klein. – Einem
jeden von diesen sagen Sie einen herzlichen Gruss von uns
allen. – Seien Sie der Liebe – Gottes empfohlen! Und schenken
Sie bitte, bitte hie u. da ein Ave /

Ihrer
herzlich ergebenen
Emma Rheinberger.

Wie mag es doch Ihrer Nichte Karolina [Maria Josefa Karolina Good [-Marxer]] [17] u. Ihrer Familie ergehen? [18]  

Lieber Herr Rheinberger!

Empfangen Sie auch von
mir und meinen Schwestern, die
herzlichsten Grüsse [19], die liebe Emma
hat Ihnen wahrscheinlich schon so zimlich
alle Neuigkeiten mitgetheilt, welche
sich in Vaduz zugetragen, daher
werden Sie von mir ein Briefchen
etwas später erhalten.

Wünsche Ihnen von Herzen recht frohe
Feiertage im Kreise Ihrer lb. Kinder.

Nochmals also die herzlichsten Grüsse von
Ihrer ergebnen [20] Berta Schauer.

______________

[1] LI LA AFRh Ha 18. Brief in lateinischer Schrift. Der Nachtrag in Kurrentschrift.
[2] Seitenwechsel.
[3] Seitenwechsel.
[4] Seitenwechsel.
[5] Durchstreichung.
[6] Unterstrichen.
[7] Seitenwechsel.
[8] Bock- oder Herawingert: Weinberg in Vaduz nordwestlich des Metteldorfs, westlich unterhalb von Bünt und Winkel. Vgl. Hans Stricker: Liechtensteiner Namenbuch, Bd. 2, S. 281.   
[9] Unterstrichen.
[10] Seitenwechsel.
[11] Seitenwechsel.
[12] Durchstreichung.
[13] Durchstreichung.
[14] Vgl. L.Vo., Nr. 49, 3.12.1909, S. 1 („Überfall“).
[15] Seitenwechsel.
[16] Durchstreichung.
[17] Alois Rheinberger wanderte 1850 gemeinsam mit seiner Schwester Anna Maria Marxer [-Rheinberger], der Mutter von Karolina Good [-Marxer], und seinem Vater Josef Ferdinand Rheinberger nach Amerika aus. Karolina blieb in Nendeln zurück. Vgl. Vaduzer Familienchronik, Bd. IV, S. 186; Eschner Familienbuch, Bd. II, S. 307.
[18] Dieser Satz am Rande der 8. Briefseite hinzugefügt.
[19] Ursprüngliche Fassung: „Grüẞe“. Das Eszett wird zu „ss“ umgewandelt.
[20] Die Textpassage „Empfangen Sie … Ihrer ergebnen“ in Kurrentschrift.